Mai 1995

950505

ENERGIE-CHRONIK


Schröder sieht mehr Gemeinsamkeit mit Stromversorgern als mit Koalition

Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder hält eine Fortsetzung der Energiekonsensgespräche nur dann für sinnvoll, wenn sich die Bonner Regierungsparteien die "nüchterne, rationale Sicht der Stromwirtschaft als gemeinsame Gesprächsbasis" zueigen machen. Die Bundesregierung müsse akzeptieren, daß die Energiewirtschaft vor dem Jahr 2005 kein neues Kernkraftwerk errichten wolle, sagte Schröder am 15.5. in einem Vortrag über "Energiepolitik in der Wende" vor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Der nächsten Gesprächsrunde am 21.6. sehe er "skeptischer als jemals zuvor" entgegen. Ein Scheitern der Gespräche sei aber "von der Sache her nicht vorprogrammiert". Auch die von der Koalition geforderte Option auf den Neubau von Kernkraftwerken sei kein grundsätzliches Hindernis, um trotz der konträren Positionen in der Kernenergie zur Festlegung einer gemeinsamen Energiepolitik zu gelangen (VWD, 15.5.; FR, 16.5.; SZ, 17.5.; siehe auch 950406).

Der Vorstandschef des Bayernwerks, Otto Majewski, bezeichnete dies als eine "vollkommene Verdrehung der tatsächlichen Aussagen", die im Brief der Stromversorger an den Bundeskanzler enthalten sind, auf den sich Schröder bezogen hatte. In einem Brief an Schröder bekräftigte Majewski, "daß wir auch in Zukunft aus ökonomischen und ökologischen Gründen an der Nutzung der Kernenergie festhalten wollen und uneingeschränkt die Offenhaltung einer realen und belastbaren Option für die künftige Nutzung der Kernenergie befürworten" (SZ, 16.).

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) verlangte am 16.5. auf dem Handelsblatt-Forum "Energiewirtschaft", daß die Option auf den Neubau von Kernkraftwerken "realisierbar definiert" sein müsse. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, betonte am selben Tag anläßlich der Jahrestagung Kerntechnik in Nürnberg, die Kernenergie müsse in Deutschland wieder Eckpunkt einer strategischen Technologie- und Innovationspolitik werden (Handelsblatt, 17.5.; FAZ, 17.5.).

Nach Meinung des Spiegel (29.5.) vertraten Rexrodt und Henkel damit nicht die Position der Stromversorger: "Die atomfixierte Bundesregierung hat die Interessenlage der Mehrheit der Konzernchefs falsch eingeschätzt. Die deutschen Stromherren, mit der Regierung auch in Sachen Alternativenergie zerstritten, wollen neue Kernkraftwerke bauen, aber nur im Prinzip. Im Moment brauchen sie keine. ... Ein verbales Bekenntnis der SPD zur Atomzukunft ist der Branche ziemlich schnuppe. Genau das aber verlangen die Atom-Hardliner in der Koalition von den Genossen. Sie gieren nach Gelegenheit, die SPD als technikfeindliche Partei vorzuführen, der die von Rudolf Scharping und Schröder beanspruchte Wirtschaftskompetenz fehle. Und dafür wollten die Konservativen die Stromherren instrumentalisieren."