Juni 1996 |
960605 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die ostdeutschen Stadtwerke haben dem Verbundunternehmen Veag erneut Preismißbrauch vorgeworfen (siehe auch 960103). Die Preise pro Kilowattstunde seien "mehr als zwei Pfennig zu hoch", behauptete Jörg Henning, Chef der Stadtwerke Halle und Vorsitzender des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) in Sachsen-Anhalt. Falls es nicht zu Preissenkungen komme, sähen sich die Stadtwerke genötigt, ihre Rechnungen gegenüber den Vorlieferanten zu kürzen oder nur unter Vorbehalt zu bezahlen. Es werde dann Sache der Gerichte sein, die Preispolitik der Veag zu durchleuchten.
Henning untermauerte die Vorwürfe mit zwei Gutachten, die im Auftrag der 168 ostdeutschen VKU-Mitglieder erstellt wurden. Danach soll die Veag den regionalen Stromversorgern Preisnachlässe von gut einem Pfennig pro Kilowattstunde gewährt haben, die nicht an die Stadtwerke weitergereicht worden seien. Ein anderer Vorwurf lautet, daß die Veag ihre Braunkohle-Kraftwerke nicht nur im Grundlastbereich einsetze, sondern auch im wirtschaftlich ungünstigeren Mittel- und Spitzenlastbereich, um den Stadtwerken Großkunden abspenstig zu machen.
Die Veag bezeichnete die Vorwürfe als unberechtigt. Die Gutachten des VKU stützten sich auf zum Teil veraltete Daten. Vermutlich wollten die Kommunen mit der Kampagne gegen die Strompreise von ihren eigenen Problemen ablenken.
Das Bundeskartellamt konnte bei jüngsten Prüfungen keinen Preismißbrauch durch die Veag feststellen. Seinen Ermittlungen zufolge liegen die Veag-Konditionen für die Regionalversorger nur noch um 1,7 Pfennig pro Kilowattstunde über dem Preis, den im Durchschnitt die westdeutschen Verbundunternehmen verlangen. Schon die Verpflichtung zur Braunkohleverstromung bewirke eine Preisdifferenz von einem Pfennig (Handelsblatt, 14.6.; SZ, 14.6.; Tagesspiegel, 14.6.).
Für das Handelsblatt (14.6.) macht der erneute Vorstoß der Stadtwerke deutlich, daß es in dieser Auseinandersetzung um weit mehr als nur die Strompreise geht - "etwa um unverheilte Wunden aus der Vergangenheit, als die ostdeutsche Stromwirtschaft neu strukturiert wurde, und um die Angst vor einem liberalisierten europäischen Energiemarkt der Zukunft". Die Vorwürfe der Kommunen gegen das ostdeutsche Verbundunternehmen seien aber nicht besonders überzeugend: "Niemand kann ernsthaft behaupten, daß sich die Veag nicht um eine möglichst zügige und betriebswirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierung der Stromerzeugung kümmert. Die Entscheidung für die Braunkohleverstromung hat nicht die Veag, sondern die Politik gefällt, und zwar aus sozialpolitischen Gründen, die gerade in Ostdeutschland auf großes Verständnis stoßen müßten."