August 1996

960801

ENERGIE-CHRONIK


Streit um Durchleitungsregelung verzögert nationale Energierechtsreform

Die von der Bundesregierung beabsichtigte nationale Reform des Energierechts verzögert sich. Das entsprechende Artikelgesetz, das Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP) bereits bis Ende dieses Jahres "unter Dach und Fach" haben wollte (siehe 960301), wird deshalb wohl erst im Frühjahr 1997 ins Parlament gelangen. Am 25.9. will das Bundeskabinett eine abgestimmte Vorlage präsentieren.

Hintergrund der Verzögerung ist die Auseinandersetzung um eine spezielle gesetzliche Durchleitungsregelung. Das Bundeswirtschaftsministerium hielt zunächst die geplante Beseitigung der Demarkationsverträge und des exklusiven Wegerechts für ausreichend. Dagegen ist die Europäische Kommission in Brüssel der Meinung, daß die grundsätzliche Möglichkeit des Neubaues von Leitungen durch Konkurrenten auf die Netzbetreiber keinen hinreichenden Druck zur Durchleitung ausübt. Auch der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) und der Bundesverband der Energie-Abnehmer (VEA) forderten erneut eine gesetzliche Regelung, welche die Netzbetreiber im Regelfall verpflichtet, ihre Netze für die Durchleitung des Stroms von Konkurrenten an Verteilerunternehmen und Endverbraucher zur Verfügung zu stellen (Hann. Allgemeine, 14.6.; Handelsblatt, 20.8.; VWD, 16.8.).

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat die geplante Energierechtsreform scharf kritisiert. Sein Präsident Hans Gottfried Bernrath warf Bundeswirtschaftsminister Rexrodt vor, er wolle ein Wettbewerbssystem einrichten, welches das kommunale Selbstverwaltungsrecht abschaffe, erhebliche Einschnitte in die Finanzmasse der Kommunen zur Folge habe und die Zukunft einer eigenständigen Kommunalwirtschaft erschwere. Die Reform bringe nur wenigen Großkunden Vorteile. Sie führe zu einer oligopolistischen Struktur mit wenigen großen Verteilerunternehmen. Den Nachteil hätten dabei mittlere und kleinere Kunden und sicher auch die Stadtwerke (FAZ, 15.8.).

Nach Meinung des Handelsblatts (6.8.) würden von Rexrodts Plänen "keineswegs nur Verbundunternehmen und Großverbraucher profitieren. Vielmehr könnten sich dann gleichfalls Vorteile für die Gesamtheit der Elektrizitätswirtschaft ergeben. Für die kommunalen Versorger würden sich die Abhängigkeiten auf der Bezugsseite verringen, weil eine überregionale Lieferantenbasis entstünde."

Nach Ansicht der Süddeutschen Zeitung (21.8.) werden die positiven Auswirkungen einer Liberalisierung des Strommarktes auf die stromverbrauchende Industrie übertrieben dargestellt: "Bemerkenswert ist es in diesem Zusammenhang ja schon, daß die Industriestrompreise in Japan etwa doppelt so hoch sind wie in Deutschland. Jede eindimensionale Erklärung des Strompreises als standortbestimmende Einflußgröße scheidet deshalb aus. Zweifellos sind die Stromkosten für einige Branchen von zentraler Bedeutung, doch ist es nicht zu übersehen, daß ihr Anteil in den meisten Wirtschaftszweigen hinter anderen Kostenfaktoren rangiert."