Januar 2002 |
020102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Zuge seiner Ermittlungen gegen 22 Stromnetzbetreiber (010902) hat das Bundeskartellamt Mißbrauchsverfahren gegen zehn regionale und kommunale Netzbetreiber eingeleitet. Das Amt hält ihre Netznutzungsentgelte für überhöht. Nach den bereits eingeleiteten Mißbrauchsverfahren gegen die Übertragungsnetzbetreiber Bewag, EnBW, HEW und VEAG (011006) geht die Behörde damit nun auch gegen die Betreiber von Verteilnetzen vor. Hinzu kommt ein Mißbrauchsverfahren gegen die E.ON-Tochter e.dis Energie Nord AG, das bereits seit einem Jahr anhängig ist (010202).
Wie das Kartellamt am 29. Januar mitteilte, richten sich die Mißbrauchsverfahren gegen die Regionalversorger Avacon AG, TEAG Thüringer Energie AG, Energie Aktiengesellschaft Mitteldeutschland EAM, envia Energie Sachsen Brandenburg AG, Mitteldeutsche Energieversorgung AG (MEAG), Elektrizitätswerk Wesertal und HEAG Versorgungs AG sowie um die Stadtwerke Mainz, Lindau und Lauenburg. Die Regionalversorger Avacon und TEAG gehören zum E.ON-Konzern, der außerdem an EAM mit 46 Prozent beteiligt ist. Envia und MEAG sind RWE-Töchter.
Einige der 22 Unternehmen, die von der Behörde ins Visier genommen wurden, hätten daraufhin ihre Netznutzungsentgelte um bis zu zwanzig Prozent gesenkt. Unabhängig davon habe sich gegenüber den zehn genannten Unternehmen der Verdacht mißbräuchlich überhöhter Netznutzungsentgelte erhärtet. Trotz teilweise vorgenommener Senkungen lägen ihre Entgelte noch immer um 30 bis 70 Prozent über denen von Vergleichsunternehmen. Diese Abweichung lasse sich nach einer vorläufigen Bewertung auch nicht durch gebietsstrukturelle Unterscheide zwischen den Netzbetreibern oder Besonderheiten in den neuen Bundesländern rechtfertigen.
In weiteren Fällen ermittelten noch die Landeskartellbehörden. Hierbei handele es sich um solche Netzbetreiber, die nur innerhalb eines Bundeslandes tätig sind. So habe das Bundeskartellamt aus Zuständigkeitsgründen das Verfahren gegen die Stadtwerke Bonn an die Landeskartellbehörde Nordrhein-Westfalen abgegeben. Umgekehrt habe es das Verfahren gegen die länderübergreifend tätigen Allgäuer Überlandwerke (Kempten) von der bayerischen Landeskartellbehörde übernommen.
Kartellamtspräsident Ulf Böge erneuerte bei dieser Gelegenheit seine Forderung, die sofortige Vollziehbarkeit kartellrechtlicher Entscheidungen im Gesetz zu verankern. Die anstehende Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes biete dafür die Gelegenheit.
"Der deutsche Weg zum Wettbewerb am Strom- und Gasmarkt führt offensichtlich in die Sackgasse", kommentierte die "Financial Times Deutschland" (30.1.) "Dem Kartellamt fehlen für eine effiziente Aufsicht Personal und Instrumente. Der Ausweg ist eine Regulierungsbehörde, ausgestattet mit strengen Sanktionsmöglichkeiten. Die Politik sollte sich die Fehlentwicklung eingestehen - andernfalls wird sich das Kartellamt noch Jahre mit Verfahren beschäftigen, für die es nicht geschaffen wurde."