August 2003

030805

ENERGIE-CHRONIK


Goll macht EDF und Bundesregierung für Schieflage der EnBW verantwortlich

Der frühere Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg, Gerhard Goll, sieht den Hauptgrund für die Schieflage des Unternehmens (030706) in nicht eingehaltenen Zusagen des Hauptaktionärs EDF und der Bundesregierung. In einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" (26.8.) sagte Goll, die EDF habe ihrer deutschen Tochter zunächst großzügige finanzielle Unterstützung aus dem Topf jener 19 Milliarden Euro zugesichert, die bis zum Jahr 2005 für ausländische Erwerbungen vorgesehen waren (020804). In Wirklichkeit habe die EnBW aber bis heute von der EDF "keinen Cent erhalten". Hinzu habe die Bundesregierung ihr Versprechen gebrochen, die Stromnetze zu neutralisieren. Daraus hätten sich für die Stromvertriebstochter Yello wesentlich höhere Anlaufverluste ergeben als bei einem funktionierenden Wettbewerb. "Yello würde heute schwarze Zahlen schreiben, wenn die Bundesregierung die Neutralisierung der Durchleitungsnetze durchgesetzt hätte", betonte Goll.

Goll wies ferner den Vorwurf zurück, Unternehmen überteuert eingekauft zu haben: Der Erwerb der Neckarwerke Stuttgart für mehr als sechs Milliarden Mark (000206) sei notwendig gewesen, um die drohende Konkurrenz von RWE in Baden-Württemberg abzuwenden und den Versorgungsbereich der EnBW zu arrondieren. Beim Kauf der Stadtwerke Düsseldorf habe RWE sogar eine höhere Summe geboten. Generell hätten damals die Stromkonzerne bei ihren Stadtwerkskäufen überhöhte Preise akzeptiert, ohne daß dies heute jedoch bei RWE oder E:ON zu solchen Verlustmeldungen führe wie bei der EnBW.

Mit dem Erwerb der Schuhfirma Salamander (000407) habe der EnBW-Vorstand das Ziel verfolgt, das Unternehmen - unter Abtrennung des Schuhbereichs - zu einem Dienstleistungskonzern zu machen. Im Frühjahr 2003 sei er fast so weit gewesen, Salamander ohne "Notverkäufe" in der EnBW-Bilanz zu entkonsolidieren. Die EDF habe dies jedoch nicht akzeptiert.

Das "Thermoselect"-Verfahren zur Abfallbeseitigung (000918) hält Goll weiterhin für praktikabel. Davon habe er sich im Herbst 2002 bei einem Besuch in Japan überzeugen können. Es sei sicher riskant gewesen, die Versuchsanlage im italienischen Verbania in zehnfacher Größe auf Karlsruhe zu übertragen. Dieses Risiko hätten Vorstand und Aufsichtsrat aber bewußt in Kauf genommen. Trotz der unerwarteten Kostensteigerung sei die Karlsruher Thermoselect-Anlage noch immer billiger gekommen als eine zunächst geplante konventionelle Anlage. Sie habe 2002 zwar noch nicht wirtschaftlich gearbeitet, doch seien die Maßnahmen zur Erreichung der Wirtschaftlichkeit eingeleitet worden.

EnBW widerspricht Goll und nimmt EDF in Schutz

Der neue EnBW-Vorstand erklärte dazu am 27. August, es gebe keinerlei Verpflichtungen der EDF gegenüber der EnBW, die von dieser nicht eingehalten worden seien. Die EDF sei auch nicht gebeten worden, sich an der Finanzierung des Erwerbs der Neckarwerke zu beteiligen. Außerdem sei die EDF erst im März 2001 rechtskräftig Aktionär der EnBW geworden. Die EnBW habe bisher jegliche Schuldzuweisung für die "im ersten Halbjahr 2003 überraschend entstandene Verlustsituation" vermieden. Sie distanziere sich jedoch ausdrücklich von "unfundierten oder unrichtigen Spekulationen über einzelne Aspekte der vorhandenen Ertragsbelastungen".

Opposition sieht Mitschuld Teufels

Die Oppositionsparteien im Stuttgarter Landtag nahmen das Goll-Interview zum Anlaß, um Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) eine Mitschuld an der Krise des Stromkonzerns zu geben. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Wolfgang Drexler, verwies darauf, daß der Verkauf der EnBW an die EDF von Teufel und Goll gemeinsam betrieben worden sei. Offenbar habe das Milliardengeschäft "von Anfang an auf tönernen Füßen gestanden". Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Wilfried Kretschmann, sah ebenfalls eine Mitschuld Teufels an dem "Desaster" bei der EnBW, weil er den Verkauf der Landesanteile an die EDF betrieben habe. Nun würden die Kosten des wirtschaftlichen und poliltischen Versagens auf die Stromkunden abgewälzt.

Kritische Rückblende auf Golls Personalpolitik

Einem weiteren Bericht der "Stuttgarter Zeitung" (27.8.) zufolge hat sich die Nähe des ehemaligen CDU-Politikers Gerhard Goll zur CDU und zur CDU-geführten Landesregierung auch in seiner Personalpolitik dokumentiert: So betreibe der CDU-Landtagsabgeordnete Dietrich Birk Lobbyarbeit für die EnBW in Berlin und Brüssel. Die einstige Fraktionsvizechefin Ingrid Blank sei bei der EnBW Projektleiterin für Veranstaltungsmanagement und anschließend Protokollchefin geworden. Der ehemalige Abgeordnete Dirk Ommeln, der nicht wieder aufgestellt wurde, sei inzwischen Pressesprecher der EnBW-Vertriebsgesellschaft. Den ehemaligen Umwelt- und Verkehrsminister Hermann Schaufler habe Goll als Berater für ein nicht näher bezeichnetes EnBW-Projekt angestellt, nachdem Schaufler wegen Untreue rechtskräftig verurteilt worden war und deshalb sein Ministeramt abgeben mußte (020613). Sogar bei der Werbekampagne für Yello ("Strom ist gelb") hätten parteipolitische Verbindungen und Präferenzen eine Rolle gespielt. Seit dem Wechsel von Goll zu Claassen gebe es "neue Akzente in der Personalpolitik, die manche Christdemokraten irritieren". Der neue EnBW-Chef Claassen sei indessen sehr um ein gutes Verhältnis zur CDU-Landesregierung bemüht - schließlich mische die Politik im Energiegeschäft kräftig mit, wie eben erst die Auseinandersetzung um die Kühlwasser-Entnahmen von Kraftwerken (030801) gezeigt habe.