Mai 2008 |
080508 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die neue italienische Regierung will wieder Kernkraftwerke im eigenen Land errichten. Mit dem Bau mehrerer Anlagen soll noch innerhalb der soeben gestarteten Wahlperiode von fünf Jahren begonnen werden. Dies kündigte Industrieminister Claudio Scajola am 22. Mai auf der Hauptversammlung des italienischen Unternehmer- und Arbeitgeberverbandes Confindustria an. "Nur Kernkraftwerke erlauben es, Energie in großen Mengen sicher, zu wettbewerbsfähigen Kosten und umweltfreundlich zu produzieren", sagte Scajola. Das Land zahle derzeit 60 Milliarden Euro im Jahr für Energieeinfuhren. Die Rückkehr zur Kernenergie sei eine "feierliche Verpflichtung" der neuen Rechtsregierung unter Silvio Berlusconi.
Schon im Dezember 2007 beteiligte sich der teilstaatliche italienische Energiekonzern Enel mit 12,5 Prozent am ersten französischen EPR-Reaktor und sicherte sich darüber hinaus die Option auf Beteiligungen an fünf weiteren EPR-Reaktoren (071207). Bisher hatte es aber noch keine italienische Regierung gewagt, den nach der Katastrophe von Tschernobyl vollzogenen Ausstieg des Landes aus der Kernenergie so radikal in Frage zu stellen.
Die französische Regierung verabschiedete am 7. Mai ein Dekret zur Schaffung einer Agentur namens "France nucléaire international", die den Export französischer Nukleartechnologie ankurbeln soll. Die Agentur wird dem staatlichen Atomenergie-Kommissariat (CEA) angegliedert. Sie soll ausländischen Staaten dabei helfen, das "institutionelle, menschliche und technische Umfeld" für die Errichtung von Kernkraftwerken vorzubereiten. Der Ministerrat versicherte in seinem Kommuniqué, daß dies "unter striktester Beachtung der Regeln für Zuverlässigkeit, Sicherheit, der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und der Umwelterhaltung" erfolgen werde.
Vorgelegt wurde das Dekret vom Staatsminister für Umwelt, Energie, nachhaltige Entwicklung und Raumordnung, Jean-Louis Borloo. Der Direktor der neuen Agentur soll gemeinsam von ihm und dem Außenminister ernannt werden. Der Staat kontrolliert die Agentur über ein "Orientierungs-Komitee", das sich aus "hohen Funktionären und zwei qualifizierten Persönlichkeiten" zusammensetzt.
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy setzt damit seine Offensive zum Export des "Europäischen Druckwasser-Reaktors" und anderer Nukleartechnologie fort. Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte er die EU-Partner durch ein Kernenergie-Abkommen mit Lybien brüskiert, da dieses Land nicht als zuverlässiger Partner im Sinne des Atomwaffensperrvertrags gelten kann (070702). Befremden löste auch die Instinktlosigkeit aus, mit der er der Bundesregierung beiläufig bei einem Mittagessen die Beteiligung an der französischen "Force de frappe" angeboten haben soll (070912). Nach Verhandlungen mit Algerien, Marokko und Ägypten (071207) diente Sarkozy im Januar 2008 den Vereinigten Arabischen Emiraten zwei EPR-Reaktoren an, um deren Errichtung sich die französischen Konzerne Total, Suez und Areva bewerben. Außerdem schloß er mit Saudi-Arabien ein Kooperationsabkommen. Im März vereinbarte er mit dem britischen Premierminister Gordon Brown einen Atompakt, der sich auf die Kooperation bei Bau neuer Kernkraftwerke, die Ausbildung von Fachpersonal und den Export von Nukleartechnik erstreckt.
Die britische "Nuclear Decommissioning Authority" forderte am 6. März alle einschlägigen Unternehmen des In- und Auslandes auf, binnen vier Wochen mitzuteilen, ob und an welchen Standorten sie am Bau neuer Kernkraftwerke interessiert sind. Insgesamt will die Behörde 18 Standorte für die Errichtung von Reaktoren zur Verfügung stellen, um veraltete Kernkraftwerke vom Netz nehmen zu können. Offenbar geht es aber nicht nur um Ersatzbedarf, sondern auch um die Schaffung zusätzlicher KKW-Kapazitäten.
Vor diesem Hintergrund ist ein Bieterwettbewerb um die "British Energy" entbrannt, die mit acht Kernkraftwerken und einem Kohlekraftwerk etwa 19 Prozent des britischen Stroms erzeugt. Der Staat will seine noch 35,2 Prozent betragende Beteiligung an dem Atomstromproduzenten verkaufen. Unter anderem sollen EDF, Suez und RWE Angebote vorgelegt haben.
Rußland plant ein Kernkraftwerk im ehemaligen Ostpreußen, um einen Großteil des dort erzeugten Stroms in die EU zu exportieren. Wie die Moskauer Tageszeitung "Kommersant" am 17. März berichtete, sollen die beiden Reaktoren mit einer Leistung von jeweils 1150 MW in 120 Kilometer Entfernung von Kaliningrad (Königsberg) errichtet werden und bis 2015 ans Netz gehen. Zur Finanzierung sucht die staatliche Rosatom noch einen Investor, der bis zu 49 Prozent der Anteile an dem Projekt übernimmt.
Wie Frankreich ist auch Rußland um Nuklearexport bemüht und bei der Auswahl seiner Partner nicht wählerisch: Am 25. März vereinbarte der Kreml mit Ägypten, das den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat, eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie. Rußland wird sich nun an der Ausschreibung für den Bau des ersten ägyptischen Kernkraftwerks beteiligen, um dessen Errichtung sich auch Frankreich bewirbt. Die Anlage soll bis 2017 in El Dabaa, etwa 160 Kilometer von Alexandria entfernt, errichtet werden.
Die Ukraine möchte sich am Bau des geplanten Kernkraftwerks in Litauen beteiligen. Das teilte der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko am 13. Mai bei einem offiziellen Besuch in der litauischen Hauptstadt Vilnius mit. Das neue Kernkraftwerk wird bisher von Litauen, Lettland und Estland gemeinsam mit Polen geplant. Es soll das litauische Kernkraftwerk Ignalina ersetzen, das als unsicher gilt und Ende nächsten Jahres stillgelegt werden soll (060307).