März 2010

100316

ENERGIE-CHRONIK


Personalia

Claudia Kemfert (41) lernte nun auch die unangenehme Seite des Medienbetriebs kennen. Die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) war bisher allgegenwärtig, wenn es galt, den Medien eine leicht verdauliche und nicht allzu weit vom "Mainstream" liegende Interpretation des energiepolitischen Geschehen zu liefern. Sie war sozusagen die Frau Kachelmann für die Hochs und Tiefs der Energiewirtschaft. Nun wurde sie ein Opfer dieser Umtriebigkeit und erfolgreichen Selbstdarstellung: In der "Süddeutschen Zeitung" vom 9. März enthüllte der Redakteur Felix Berth, daß Kemfert für einen geplanten Namensbeitrag im "Wochenbericht des DIW" knapp ein Viertel des Textes einfach aus dem Internet-Lexikon Wikipedia herauskopiert habe. Der 130 Zeilen lange Text trug die Überschrift "Die Privatisierung der Bahn - mehr Wettbewerb bitte". Kemfert soll unter anderem wörtlich den Satz übernommen haben: "Bei einer Herauslösung der Infrastruktur aus der DB-Holding könnten die Konzerntöchter vollständig privatisiert werden."

Das peinliche Plädoyer für die Privatisierung der Bahn scheint allerdings zumindest teilweise von einem anonym gebliebenen DIW-Mitarbeiter zusammengeschustert worden zu sein. Grundsätzlich seien die Wochenberichte Gemeinschaftswerk, heißt es beim DIW. Der für Anfang 2008 geplante Artikel wurde am Ende auch gar nicht veröffentlicht. Kemfert soll die Veröffentlichung des Textes selber abgelehnt haben. Der Artikel in der "Süddeutschen" sei deshalb diffamierend und bezwecke ausschließlich die "Herabsetzung der Forschungsleistungen von Prof. Kemfert", tönte das DIW am 22. März in einer Presssemitteilung. Kemfert habe mittlerweile auf Unterlassung und Richtigstellung geklagt. Am 19. März sperrte die "Süddeutsche Zeitung" den Artikel vorsichtshalber, noch ehe der eigentliche Streit um den Plagiatsvorwurf vor Gericht geklärt wurde.

"Der Spuk ist zu Ende – hoffentlich!" notierte Kemfert daraufhin auf ihrer Internet-Seite. Sie werde nun "auf Löschung aller Internetartikel zu diesem Thema" klagen. Sehr erfreut zeigte sie sich dagegen über einen Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen" (20.3.), der sie als "Die Frau fürs richtige Klima" porträtierte. Dieser Artikel läßt übrigens erahnen, wo sie es gelernt hat, Wissenschafts-, Polit- und Medienzirkus so perfekt zu verbinden: Bei ihrem Aufenthalt an der Stanford-Universität in den USA.

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Utz Claassen (46) ist seinen neuen Job als Vorstandsvorsitzender der Solar-Millenium AG (091217) schon nach zweieinhalb Monaten wieder los. Wie das Unternehmen am 15. März mitteilte, hatte er sich vor Antritt des Postens das Recht ausbedungen, innerhalb einer festgelegen Überlegungsfrist zurückzutreten. Davon habe er nun Gebrauch gemacht. Weitere Gründe habe er dem Unternehmen nicht mitgeteilt.

Der Sinneswandel des ehemaligen EnBW-Chefs dürfte mit einer Anzeige wegen Bilanzbetrugs zusammenhängen, die der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vorliegt. Solar Millenium hätte demnach durch Verkäufe an konzerneigene Gesellschaften Umsätze bloß vorgetäuscht. Auch soll der Verkauf von achtzig Prozent der Tochter Solar Millennium Beteiligungen GmbH an General Electric, über den die Mutter im Dezember 2006 stolz berichtete, gar nicht stattgefunden haben.

In einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel" (29.3.) erklärte Claassen, daß er dem Vorstand der Solar-Millenium AG sehr wohl die Gründe für sein Ausscheiden dargelegt habe. Er sei mit dessen Einwilligung auch gern bereit, sie publik zu machen: "Allein meine summarische Zusammenfassung der diesbezüglich relevanten Abläufe, Vorgänge und Hintergründe füllt 27 DIN-A4-Seiten." Erkenntnisse über eventuelle Falschbilanzierungen lägen ihm nicht vor. Es gebe aber auch Anstößiges, das mit dem Instrumentarium des Strafrechts nicht zu fassen sei: "Wenn Sie verheiratet sind und dennoch täglich mit fünf anderen Frauen schlafen, ist das nicht rechtswidrig und ganz sicher nicht strafbar, aber dennoch moralisch mehr als fragwürdig. Sie dürften sich also ganz sicher nicht wundern, wenn sich Ihre Frau, sobald sie davon erfährt, unverzüglich von Ihnen trennt."

Solar Millenium ist jetzt vollauf mit Schadensbegrenzung beschäftigt. Der Finanzvorstand Thomas Mayer trat die Nachfolge Claassens an. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft soll beauftragt werden, die zurückliegenden Geschäftsjahre zu durchleuchten. Der Aktienkurs, der mit dem Amtsantritt Claassens nach oben gegangen war, sank bis auf die Hälfte des Wertes.

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Rudolf Schulten (54) verläßt die Energie Baden-Württemberg (EnBW) endgültig. "Aus gesundheitlichen Gründen", wie es in einer Pressemitteilung der EnBW vom 11. März hieß, habe er sein Amt als Finanzvorstand "im gegenseitigen Einvernehmen und mit sofortiger Wirkung niedergelegt". Man respektiere diese Entscheidung und wünsche ihm für die Zukunft alles Gute, vor allem Gesundheit und schnellstmögliche Genesung. Weder offiziell noch inoffiziell gibt es bisher Hinweise, woran Schulten erkrankt sein könnte.

Der ehemalige Bewag-Finanzvorstand hatte Anfang 2003 die Nachfolge von Roland Hartung als Vorstandsvorsitzender der Mannheimer MVV Energie angetreten (030216). Er wurde damals mit den Stimmen der SPD im Aufsichtsrat des kommunalen Unternehmens gewählt. Der unterlegene Gegenkandidat Karl-Heinz Trautmann, den die CDU stützte, durfte ersatzweise im MVV-Vorstand das neu geschaffene Marketing- und Vertriebsressort übernehmen (030216). Die persönlichen und kommunalpolitischen Spannungen ermöglichten indessen keine gedeihliche Zusammenarbeit, zumal Schulten die Geschäftspolitik seines Vorgänger Hartung weitgehend als "Altlasten" einstufte (040709). Im Herbst 2006 kam es einem öffentlich ausgetragenen Machtkampf mit Trautmann, aus dem Schulten als Sieger hervorging (061013). Unter seiner Führung versuchten die MVV vergebens, eine 15-prozentige Beteiligung der EnBW an dem teilprivatisierten Unternehmen zu durchkreuzen (041205). Sie verhinderten aber einen weiteren Ausbau der EnBW-Beteiligung (051009) und gingen eine strategische Partnerschaft mit der RheinEnergie ein (071009).

Kurz nach der Verlängerung seines Vertrags als MVV-Chef nahm Schulten dann überraschend die neue Stelle als Finanzvorstand der EnBW an (080715), worauf ihn die MVV für den Rest seiner Dienstzeit beurlaubte (080822). Die neue Tätigkeit übte er jedoch nur knapp ein Jahr lang aus. Im Dezember 2009 teilte die EnBW mit, daß er sein Amt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr wahrnehmen könne und die Aufgaben des Finanzvorstands auf die übrigen Vorstandsmitglieder verteilt worden seien. Zugleich wies der Konzern Berichte zurück, wonach es wegen der teuren Beteiligung an der EWE und des bislang erfolglosen Griffs nach der ostdeutschen VNG zu einem Zerwürfnis mit EnBW-Chef Hans-Peter Villis gekommen sei (091216).

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Wulf Bernotat (61), präsentierte als E.ON-Chef am 11. März wieder mal die Konzernbilanz, die jedoch weniger strahlend ausfiel als in den Vorjahren: Zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt 2003 bleibt den Aktionären ein Zuwachs bei der Dividende versagt. Ein zweites Mal wird das sicher nicht mehr vorkommen, da Bernotat nun abtritt und und ab 1. Mai die Leitung des Konzerns seinem bisherigen Stellvertreter Johannes Teyssen überläßt. Die Nachfolgeregelung war schon Ende 2007 eingefädelt worden (071217). Zuvor hatte man Bernotats Vertrag nochmals verlängert und mit einem zusätzlichen Goldrand versehen (070516): Mit rund fünf Millionen Euro gehörte er 2008 zu den bestbezahlten deutschen Managern.

Bernotat zählte seit 1996 zum Management des Veba-Konzerns und war bis 2002 Vorstandsvorsitzender der Stinnes AG. Als es zur Gründung von E.ON kam und Stinnes im Zuge der Konzentration aufs Kerngeschäft an die Deutsche Bahn verkauft wurde, rückte er zum Chef der Holding auf (020704). Er löste dort das Doppelgespann aus Ulrich Hartmann und Wilhelm Simson ab, das noch die Vorgängerkonzerne Veba und Viag repräsentierte (000306) und ihm als erste Aufgabe die Eingliederung der Ruhrgas hinterließ (030101). Unter Bernotat expandierte E.ON stark in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sowie in Großbritannien und Schweden. Seine erfolglosen Bemühungen um eine Übernahme der spanischen Endesa (070403) führten am Ende zu weiteren Neuerwerbungen in Spanien, Italien und Frankreich (080309). Nicht gerade erfolgreich war auch der Versuch, über die traditionell engen Beziehungen mit dem russischen Staatsmonopolisten Gazprom hinaus in Rußland selber Fuß zu fassen (081011). Als Gegenleistung für die Beteiligung an Erdgasfeld Juschno Russkoje mußte Bernotat der Gazprom bedeutende Geschäftsanteile am westeuropäischen Markt überlassen (071209). Mit dem Verkauf des Stromtransportnetzes (091101) und der Stadtwerke-Beteiligungstochter Thüga (090801) vollzog er zuletzt strategische Schwenks der Geschäftspolitik, die früher kaum vorstellbar gewesen wären. Dabei spielte auch der Druck seitens EU-Kommission und Bundeskartellamt eine Rolle. Ausschlaggebend war aber sicher das geschäftliche Kalkül, da sich im regulierten Bereich der Transport- und Verteilnetze neuerdings deutlich weniger Gewinne erzielen lassen als bei Erzeugung und Vertrieb.