September 2011

110902

ENERGIE-CHRONIK


Razzia bei Gazprom-Filialen und deren Vertragspartnern

Die Europäische Kommission startete am 27. September eine Razzia bei den europäischen Töchtern der russischen Gazprom und deren Vertragspartnern. Anscheinend sucht sie Beweismaterial dafür, daß die Gazprom ihre Lieferverträge mit wettbewerbswidrigen Klauseln versieht – etwa mit der Auflage, daß die Vertragspartner das Gas nicht weiterverkaufen dürfen und ihre wichtigsten Kunden gegenüber den russischen Lieferanten zu offenbaren haben.

In einer offiziellen Mitteilung bestätigte die Kommission lediglich, daß sie wettbewerbswidrige Praktiken beim Gasvertrieb in mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländern untersuche. Zu diesem Zweck hätten in zehn Staaten "unangekündigte Inspektionen" bei Gasunternehmen stattgefunden, wobei die Fahnder aus Brüssel von Vertretern der nationalen Kartellbehörden begleitet wurden. Der Verdacht ziele in Richtung Marktaufteilung, Behinderungen beim Netzzugang, unzulässige Vertriebsbeschränkungen und überhöhte Preise. Im Unterschied zur Razzia im Jahre 2006, bei der Gaskonzerne in fünf Ländern wegen Kartellverdachts durchsucht wurden (060503), betreffe die jetzige Untersuchung nicht nur etablierte Vertriebsunternehmen, sondern auch Zulieferer. In den meisten der zehn Staaten sei die Kommission bisher noch nicht als Wettbewerbsbehörde im Energiesektor tätig geworden. Für einige Länder sei es der erste kartellrechtliche Durchgriff aus Brüssel überhaupt.

In Deutschland wurden die Gashandelstöchter von E.ON und RWE sowie die Geschäftsräume der Gazprom Germania durchsucht. In Österreich waren neben dem Energiekonzern OMV und dessen Handelsgesellschaft Econgas die Gazprom-Unternehmen Centrex und GWH betroffen. In Tschechien standen die Gazprom-Tochter Vemex und die RWE-Tochter Transgaz auf der Liste der durchsuchten Unternehmen. Weitere Razzien wurden aus Polen, Litauen und Bulgarien bekannt.

Gazprom hätte die Dinge gern anders geregelt

Offenbar enthalten die Gazprom-Verträge tatsächlich wettbewerbsbehindernde Klauseln. In einer am 28. September veröffentlichten Erklärung beschwerte sich der russische Staatskonzern quasi darüber, daß er nicht vorab "über das Vorhandensein irgendwelcher Beanstandungen seitens der EU-Kommission in Kenntnis gesetzt" worden sei. Deshalb habe er eine Zusammenarbeit zur Klärung eventueller Fragen nicht anbieten können. Er werde nun jedoch im Rahmen der gesetzlichen Erfordernisse die Untersuchungen der EU unterstützen.

Zugleich äußerte Gazprom die Erwartung, daß die EU bei ihrer Untersuchung "strikt die Rechte und legitimen Interessen von Gazprom und aller Teile des Konzern respektieren" werde. In ähnlicher Weise forderte die russische Regierung in einer Mitteilung an die EU-Kommission die Einhaltung von Rechten und Interessen der Gazprom, die durch internationale Vereinbarungen über ausländische Geldgeber und Gaslieferungen geschützt würden. Angesichts der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in Rußland entbehrte diese Mahnung nicht einer gewissen Komik. Eine Sprecherin von EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia erklärte dazu, daß die Razzia keine politische Dimension habe, sondern nur unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten erfolgt sei.

Litauen drängte auf Untersuchung der Gazprom-Praktiken

Allerdings hat das Vorgehen der EU-Kommission sicher insoweit eine politische Dimension, als es die derzeit intensivierten Bemühungen des Kreml um einen direkten Einstieg in die westeuropäische Energiewirtschaft (101109, 110701, 110702, 110710) konterkariert. Zumindest wird damit den Russen signalisiert, daß sie bei einer wirtschaftlichen Betätigung innerhalb der EU auch deren Rechtsrahmen zu respektieren haben. Insbesondere geht es um die Unterbindung der bisherigen Praxis, die Erdgaslieferungen auch als Instrument der politischen Einflußnahme zu verwenden. Im Januar dieses Jahres hatte das litauische Energieministerium bei der EU-Kommission eine Untersuchung gegen die Gazprom beantragt, weil diese darauf aus sei, "mit Hilfe ökonomischen und politischen Drucks eine vollwertige Konkurrenz unter den Gaslieferanten zu unterbinden". Möglicherweise gab dies den Anstoß zu den jetzt durchgeführten Razzien.

Brüssel blockiert Gazprom-Beteiligung am Gas-Hub Baumgarten

Schon bisher verfolgte man in Brüssel die Gazprom-Expansion mit großen Vorbehalten. So zeigte die Kommission im Juni dieses Jahres dem österreichischen OMV-Konzern die Grenzen einer Zusammenarbeit mit den Russen auf, indem sie die vor vier Jahren vereinbarte Beteiligung von Gazprom am Gashandels-Knotenpunkt ("Hub") Baumgarten (070507) untersagte. Zumindest hängte sie die Hürden für eine Beteiligung so hoch, daß die Russen kein Interesse mehr hatten. "Sie haben uns unannehmbare Beteiligungsbedingungen gestellt", beklagte sich Gazprom-Vizechef Alexander Medwedew laut RIA Novosti (20.6.). Die Kommission habe "nach geheimen Zusammenhängen gesucht, denen zufolge wir vorhatten, Europa über diesen Hub zu unterjochen". Er hoffe nun, "daß die Geschäftslogik über kurz oder lang die Oberhand gewinnen wird". Bislang kam es jedoch nicht zu neuen Verhandlungen.

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