Juli 2012

120703

ENERGIE-CHRONIK


Staatsanwaltschaft ermittelt in der EnBW-Affäre gegen Mappus und drei Helfer

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt jetzt gegen den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, den früheren Finanzminister Willi Stächele und den "Neckarpri"-Geschäftsführer Helmut Rau wegen Verdachts der Untreue beim Erwerb der EDF-Beteiligung an der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Außerdem verdächtigt sie den früheren Geschäftsführer der Investmentbank Morgan Stanley, Dirk Notheis, der Beihilfe zur Untreue. Im Rahmen dieser Ermittlungsverfahren wurden am 11. Juli in Pforzheim, Mühlacker, Bad Soden, Ettlingen, Frankfurt, Düsseldorf, Karlsruhe und Stuttgart fünf Wohnungen und fünf Geschäfts- bzw. Büroräume durchsucht. An der Aktion waren neben der Staatsanwaltschaft rund 50 Beamte des Polizeipräsidiums Stuttgart und der örtlichen Polizei beteiligt. Die dabei sichergestellten schriftlichen Unterlagen und Datenträger werden nun ausgewertet.

Anlaß der Ermittlungen ist das 95-seitige Gutachten des Landesrechnungshofs, das am 26. Juni dem Landtag und der Landesregierung vorgelegt wurde (120603) und auch der Staatsanwaltschaft zuging. Zunächst teilte die Behörde am 11. Juli nur die Ermittlungen gegen Mappus und Notheis mit. Die Verfahren gegen Stächele und Rau wurden erst zwei Tage später bekannt, weil bei den beiden CDU-Landtagsabgeordneten erst noch die Immunität aufgehoben werden muß.

Landesregierung verstieß gegen Verfassung und Haushaltsrecht

Die Langfassung des Rechnungshofs-Gutachtens ist "zur Wahrung der Rechte der beteiligten Unternehmen" vertraulich. Für die Presse stellte die Behörde jedoch eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse zur Verfügung. Demnach hat die Landesregierung mit dem am 6. Dezember 2010 bekanntgegebenen Kauf des EDF-Aktienpakets an der EnBW gegen die Landesverfassung und vielfach gegen das Haushaltsrecht verstoßen. Die bereits vom Staatsgerichtshof festgestellte Verletzung der Landesverfassung (111002) bestand darin, daß die Landesregierung in dem am 6. Dezember 2010 abgeschlossenen Vertrag mit der EDF eine gesamtschuldnerische Haftung für die Erfüllung der Kaufpreisverpflichtung durch die "Neckarpri GmbH" übernahm. Um diese Verpflichtung eingehen zu können, hätte die Landesregierung nach der Landesverfassung zuvor durch Gesetz in Gestalt eines Nachtragshaushalts ermächtigt werden müssen. Die vom Finanzminister am 6. Dezember 2010 erklärte Notbewilligung reichte als haushaltsrechtliche Grundlage für den Vertragsabschluß nicht aus, da die Voraussetzungen für das Notbewilligungsrecht nicht vorlagen. Statt der vorherigen Ermächtigung wäre es auch möglich gewesen, in den Vertrag einen Parlamentsvorbehalt aufzunehmen.

Zur Abwicklung des Geschäfts wurde der Firmenmantel "Neckarpri GmbH" gekauft und umfunktioniert

Unter den Verstößen gegen das Haushaltsrecht rügt der Landesrechnungshof, daß die Landesregierung sich der "Neckarpri GmbH" bedient hat, anstatt die EnBW-Anteile unmittelbar durch das Land oder durch dessen bestehende Beteiligungsgesellschaft erwerben zu lassen. Die Neckarpri GmbH war ein Firmenmantel, den die Landesregierung gekauft hatte, um das Geschäft mit der EDF abzuwickeln. Laut Handelsregister Stuttgart übernahm am 20. Dezember 2010 der CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Rau die Geschäftsführung der GmbH, für die bis dahin ein gewisser Svend Kohnen aus Buxtehude verantwortlich zeichnete. Der Geschäftszweck wurde geändert in "Beteiligung an Unternehmen und die Verwaltung des eigenen Vermögens". Rau war von 2005 bis 2010 Kultusminister von Baden-Württemberg. Nach dem Amtsantritt von Mappus dirigierte er als "Staatsminister" die Staatskanzlei und war einer der engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten.

Es gab kein wichtiges Landesinteresse am Kauf das EnBW-Aktienpakets

Gravierender als das Manöver mit der Neckarpri GmbH sind jedoch die anderen Vorwürfe. So hat die Landesregierung das angeblich wichtige Landesinteresse am Erwerb des ENBW-Aktienpakets weder ausreichend geprüft noch überzeugend begründet. "Die gegenüber Landtag und Öffentlichkeit im Dezember 2010 vorgebrachten Argumente für das Landesinteresse erweisen sich entweder als nicht tragfähig oder haben nicht das von der Landeshaushaltsordnung geforderte besondere Gewicht", heißt es dazu in der Zusammenfassung des Landesrechnungshofs. "Eine konkrete Gefahr für die Versorgungssicherheit ist nicht dargelegt worden. Die Argumentation, für kurze Zeit als Anteilseigner einsteigen und die Anteile bald danach veräußern oder an die Börse bringen zu wollen, kann kein Landesinteresse begründen."

Wirtschaftlichkeit des Kaufs wurde nicht ausreichend geprüft

Nach der Landeshaushaltsordnung wäre die Regierung verpflichtet, bei einem Anteilserwerb in der Größenordnung von 4,7 Milliarden Euro die Wirtschaftlichkeit sehr sorgfältig zu untersuchen. Dies ist nach Feststellung des Landesrechnungshofs unterblieben: "Die schlichte Fortschreibung der in den letzten 5 Jahren gezahlten Dividenden, die Morgan Stanley geliefert haben, genügt diesen Ansprüchen nicht. Vielmehr hätten alle damals erkennbaren Risiken der Unternehmensentwicklung in den Fokus genommen werden müssen. Wesentliche Risiken der künftigen Unternehmensentwicklung der EnBW wurden bei der Entscheidung im Dezember 2010 nicht berücksichtigt oder jedenfalls nicht mit konkreten Risikobewertungen unterlegt."

Trotz dieser Mängel bei der Kaufpreisfindung trifft der Landesrechnungshof jedoch keine Aussage dazu, ob der vereinbarte Kaufpreis von 41,50 Euro je Aktie zu hoch war. "Dies kann mit den uns zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht valide beurteilt werden", heißt es. Generell bleibe offen, "ob die Frage nach einem angemessenen Kaufpreis, wie sie sich im November/Dezember 2010 stellte, ex post objektiv beantwortet werden kann".

Finanzminister unterschrieb, ohne vorher einbezogen worden zu sein

Weiter moniert der Landesrechungshof, daß die Landesregierung die Verhandlungen mit der EDF um jeden Preis geheimhalten und binnen kürzester Frist abschließen wollte. Diesem Ziel habe sie die Vorgaben für ein rechtlich einwandfreies und wirtschaftlich interessengerechtes Vorgehen untergeordnet. "Insbesondere der ohne Not geschaffene Zeitdruck hat verhindert, daß ein solch bedeutendes Rechtsgeschäft mit der gebotenen Sorgfalt vorbereitet wurde."

In diesem Zusammenhang beanstandet der Landesrechnungshof, daß der eigentlich zuständige Finanzminister Willi Stächele über die Verhandlungen mit der EDF gar nicht informiert war und erst am späten Abend des 5. Dezember 2010 vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, weil Mappus seine Unterschrift unter den Kaufvertrag brauchte. Aufgrund des in Artikel 49 der Landesverfassung normierten Ressortprinzips und gemäß Paragraph 38 Abs. 3 der Landeshaushaltsordnung hätte der Finanzminister viel früher einbezogen werden müssen.

Honorar von Morgan Stanley stieg mit der Höhe des Kaufpreises

Dem im November 2010 abgeschlossenen Vertrag mit der Investmentbank Morgan Stanley fehlte nach Feststellung des Landesrechnungshofs die haushaltsrechtliche Ermächtigung, die bei einem Honorar in zweistelliger Millionenhöhe erforderlich gewesen wäre. Die vereinbarte Bemessung des Honorars als prozentualer Anteil des Kaufpreises habe zudem zu einem "massiven objektiven Interesse der Investmentbank am Zustandekommen des Kaufvertrags und an einem hohen Preis geführt".

Juristische Defizite im Kaufvertrag durch Hinzuziehung einer externen Anwaltskanzlei

"Nicht nachvollziehbar" ist für den Rechnungshof, daß die Landesregierung eine externe Rechtsanwaltskanzlei beauftragte, die Verfassungsmäßigkeit und andere rechtliche Fragen des Geschäfts mit der EDF zu prüfen, anstatt dies den Experten der zuständigen Ministerien zu überlassen. Als juristische Defizite, die dadurch bei der Ausgestaltung des Kaufvertrags zustande kamen, kritisiert der Rechnungshof neben der fehlenden Berücksichtigung des Parlamentsvorbehalts die Regelungen für den Fall einer Weiterveräußerung, zur Fälligkeit des Kaufpreises und zu Gewährleistungsansprüchen.

EDF soll jetzt nur noch 840 Millionen statt zwei Milliarden zurückzahlen

Die neue rot-grüne Landesregierung hält an ihrer Schiedsgerichtsklage gegen die EDF fest, will aber ihre Rückforderung stark ermäßigen. Wie Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) am 11. Juli mitteilte, liegt der Landesregierung ein Gutachten vor, das die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thorton in ihrem Auftrag erstellt hat. Demnach war das EnBW-Aktienpaket, für das die Vorgänger-Regierung 4,67 Milliarden Euro bezahlte, nur rund 3,83 Milliarden Euro wert. Die alte Landesregierung hätte somit 840 Millionen Euro zuviel bezahlt.

Die Landesregierung hatte die Schiedsklage im Februar bei der Internationalen Handelskammer in Paris eingereicht (120213). Die Höhe der Forderung blieb aber zunächst unbekannt. Sie wurde erst durch die EDF publiziert, die sich am 25. Mai in einer Presseerklärung überaus empört zeigte (120603). Als Kläger tritt die landeseigene Neckarpri GmbH auf. Ihr Kontrahent ist die Electricité de France International S.A. (EDFI). Die Landesregierung ist der Ansicht, daß der überhöhte Kaufpreis aufgrund der Staatsbeteiligung eine nach EU-Recht verbotene Beihilfe darstellt.

Notheis ist seinen Posten endgültig los

Die Investmentbank Morgan Stanley hatte ihren Deutschland-Chef Dirk Notheis aufgrund der Affäre zunächst nur in eine unbefristete "Auszeit" geschickt. Mitte Juli wurde bekannt, daß er mit Wirkung zum 6. Juli aus dem Vorstand ausgeschieden sei. Die endgültige Trennung wäre somit bereits vor der Einleitung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen erfolgt.

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