November 2012 |
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ENERGIE-CHRONIK |
Der Finanzchef der Gazprom-Germania, Felix Strehober, wollte einen Internet-Artikel löschen lassen, der durchaus wahrheitsgemäß darüber informiert, daß er eine falsche eidesstattliche Versicherung zu seiner Vergangenheit als Stasi-Offizier abgegeben hat. Der Bundesgerichtshof wies dieses Ansinnen jetzt in letzter Instanz zurück. Er annullierte damit ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, das die Zeitung "Die Welt" verpflichten wollte, einen diesbezüglichen Bericht aus dem Jahr 2008 von ihren Online-Seiten zu entfernen. Ähnliches hat Strehober auch von der ENERGIE-CHRONIK und anderen Medien verlangt (siehe Hintergrund).
Seit 2005 wurde in verschiedenen Medien wiederholt über den Stasi-Filz bei Gazprom berichtet, wie er etwa bei der Pipeline-Gesellschaft "Nordstream" durch deren Geschäftsführer Matthias Warnig sowie an der Spitze von Gazprom Germania durch Finanzchef Felix Strehober und Personalchef Hans-Uve Kreher repräsentiert wurde (080804). Daraufhin hatte Strehober im September 2007 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Köln eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, wonach er "niemals Angestellter oder sonstwie hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit" gewesen sei. Er wollte auf diese Weise der "Welt" untersagen lassen, ihn weiterhin als früheren Stasi-Mitarbeiter zu bezeichnen.
Diese eidesstattliche Versicherung war freilich falsch. Wie die "Welt" anhand von Unterlagen der Stasi-Behörde belegen konnte, war Strehober von 1985 bis zum Ende der DDR als "Offizier im besonderen Einsatz" für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tätig. Als er 1985 mit dem Studium der Finanzwirtschaft an der Berliner Humbold-Universität begann, geschah dies im dienstlichen Auftrag und auf Kosten des Ministeriums für Staatssicherheit. Nebenbei bespitzelte er auch Kommilitonen. Zuletzt bezog er von der Stasi ein Jahresgehalt von 15.317,50 Mark, was für DDR-Verhältnisse ein überdurchschnittliches Einkommen war.
Als die Richter des Landgerichts Köln die Auszüge aus den Stasi-Akten vorgelegt bekamen, die Strehobers eidesstattliche Versicherung widerlegten, schalteten sie die Staatsanwaltschaft ein. Nach § 156 StGB wird die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet. Strehober kam aber glimpflich davon: Am 2. Oktober 2008 wurde das Verfahren nach Zahlung eines Geldbetrags gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt. Die Höhe des Geldbetrags gab die Staatsanwaltschaft nicht bekannt.
Die glimpfliche Behandlung durch die Staatsanwaltschaft ermunterte Strehober, nun auf andere Weise die ihm lästige Berichterstattung zu unterbinden: Er klagte erneut gegen die "Welt", weil ihre Online-Seite seit Mai 2008 einen Artikel enthielt, der über die Einleitung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen berichtete sowie – in einem Nachtrag vom Oktober 2008 – über die Einstellung des Verfahrens informierte. Er verlangte die Löschung dieses Artikels, weil die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafrechtlich kein Verbrechen, sondern lediglich ein Vergehen darstelle und er überdies nicht einmal rechtskräftig verurteilt worden sei. Das weitere Bereithalten dieses Artikels im Internet stelle deshalb eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.
Vor dem Landgericht Hamburg hatten Strehober und seine Anwälte damit keinen Erfolg. "Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der die Kammer folgt, müssen wahre Tatsachenbehauptungen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht", befand das Gericht am 12. August 2011. Die Abwägung zwischen den grundrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsbelangen des Klägers und der ebenfalls im Grundgesetz verankerten Pressefreiheit falle hier zugunsten der letzteren aus. Die Strehober vorgeworfene Straftat sei ferner von so erheblichem Gewicht, daß die Berichterstattung darüber – auch mit Namensnennung – "durch ein legitimes öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt war".
In zweiter Instanz folgte das Hamburger Oberlandesgericht am 29. November 2011aber tatsächlich der Argumentation von Strehobers Anwälten. "Das dem Kläger zur Last gelegte Delikt berührt die Öffentlichkeit nur gering und ist eher der weniger schweren Kriminalität zuzurechnen", hieß es in der Urteilsbegründung. Zwar bestehe ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit an der Aufarbeitung des Stasi-Systems. Das beantragte Verbot betreffe aber nicht unmittelbar diese Aufarbeitung, sondern ausschließlich die Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Der Bericht hätte in jedem Falle aus dem Internet entfernt werden müssen, als das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Sogar im Falle einer Verurteilung hätte Strehober dies verlangen können, ohne daß dadurch ein "abschreckender Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Pressefreiheit" entstanden wäre.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs, das am 30. Oktober verkündet wurde (Aktenzeichen VI ZR 4/12), hat diese Entscheidung jetzt revidiert und die Geltung des erstinstanzlichen Urteils wiederhergestellt. "Zwar liegt in dem Bereithalten der den Kläger identifizierenden Meldung zum Abruf im Internet ein Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht", hieß es dazu in der Pressemitteilung des Gerichtshofs. "Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig, da das Schutzinteresse des Klägers hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten hat."
Angriff auf die PressefreiheitGazprom-Finanzchef Strehober wollte seine Stasi-Vergangenheit auch in der ENERGIE-CHRONIK tilgen lassen (siehe oben) In Journalistenkreisen ist die Hamburger Justiz bekannt dafür, daß sie im Zweifelsfall das Persönlichkeitsrecht höher bewertet als die Presse- und Meinungsfreiheit – und zwar noch eifriger als die Berliner Justiz, die ebenfalls einen einschlägigen Ruf genießt. Das war wohl der Grund, weshalb der Gazprom-Finanzchef Strehober seine Klage gegen die "Welt" in Hamburg einreichte, obwohl der Kläger wie die Beklagte ihren Sitz eigentlich in Berlin haben. Zu den Absurditäten des Presserechts gehört nun mal, daß überall gegen eine Veröffentlichung geklagt werden kann, wo sie erschienen ist. Bei einem Druckerzeugnis also in aller Regel bundesweit. Und bei einer Internet-Veröffentlichung können sich die Anwälte des Klägers erst recht jenes Gericht aussuchen, von dessen Rechtsprechung sie sich die größten Chancen erhoffen. Dieser "fliegende Gerichtsstand" macht es sogar möglich, eine mißliebige Veröffentlichung gewissermaßen per Schrotschuß zu erledigen, indem man gleich ein halbes Dutzend Gerichte bemüht, um sich dann die passende Entscheidung herauszusuchen. Was Strehobers Anwälte verlangten, war allerdings auch für das Hamburger Landgericht zu starker Tobak: Die "Welt" sollte von ihren Internet-Seiten eine absolut wahrheitsgemäße Meldung entfernen, aus der hervorgeht, daß der frühere Stasi-Offizier vor dem Landgericht Köln eine falsche eidesstattliche Versicherung zu seiner Vergangenheit abgegeben hat. Zumindest sollte ihr verboten werden, über die Affäre unter Nennung des Namens zu berichten oder sonstige Details zu erwähnen, die Rückschlüsse auf den heutigen Gazprom-Manager ermöglichen. Das war nicht weniger als ein Angriff auf die Pressefreiheit. Zum Glück leben wir aber nicht in Rußland, wo Gazprom auf eine willfährige Justiz vertrauen darf und sowieso einen großen Teil der Medien direkt beherrscht. Sogar das Hamburger Landgericht wollte in diesem Fall das Persönlichkeitsrecht nicht noch weiter strapazieren. Es wies die Klage ab, weil das öffentliche Interesse an der Berichterstattung überwiege. Prompt sorgte das Hamburger Oberlandesgericht aber dafür, daß die Pressefreiheit wieder mal mit dem Persönlichkeitsrecht ausgehebelt wurde. Und zwar so gründlich, daß Strehobers Anwälte noch vor der anstehenden Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs mit dem Urteil hausieren gingen und auch andere Medien unter Druck zu setzen versuchten, die in irgendeiner Weise über Strehobers Stasi-Vergangenheit berichtet hatten. Zum Beispiel ging im Januar dieses Jahres bei der ENERGIE-CHRONIK ein Schreiben ein, in dem ein Berliner Anwaltsbüro mitteilte, daß es "Herrn Felix Strehober in seinen persönlichkeitsrechtlichen Angelegenheiten anwaltlich vertrete". In dessen Auftrag habe man an den Redakteur das Ansinnen zu richten, aus dem Text unter der Internet-Adresse www.energie-chronik.de/080804.htm die "identifizierende Berichterstattung über unseren Mandanten" zu entfernen. Gemeint war die Notiz vom August 2008 zu einem "Spiegel"-Artikel, der den Chef der deutschen Gazprom verdächtigte, in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. In diesem Zusammenhang wird auch kurz erwähnt, daß Gazprom-Finanzchef Strehober Offizier der "Staatssicherheit" war. Daß die Staatsanwaltschaft Köln damals gegen Strehober wegen Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung ermittelte, läßt sich dieser Notiz jedoch nicht entnehmen, da sie sich auf eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte beschränkt. Dieses und andere Details standen lediglich im "Spiegel"-Artikel. Dennoch wedelten die Anwälte nun mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg herum, das einem "großen deutschen Verlagshaus" untersagt habe, "über im Jahr 2008 erhobene strafrechtliche Vorwürfe gegen unseren Mandaten aktuell zu berichten bzw. berichten zu lassen". In kühnem Bogen wurde sodann ein Zusammenhang mit dem Bericht in der ENERGIE-CHRONIK hergestellt: "Dieser – seit langem erledigte – strafrechtliche Vorwurf wird auch in dem Spiegel-Artikel thematisiert, auf den sich Ihre Zusammenfassung bezieht." Man bitte deshalb um Bestätigung, "daß der Name unseres Mandanten aus der von Ihnen bereitgehaltenen Berichterstattung entfernt wird". Andernfalls sehe man"das allgemeine Persönlichkeitsrecht unseres Mandanten" verletzt. Die Strehober-Anwälte setzten somit auf den Schelmen, den das Oberlandesgericht Hamburg fabriziert hatte, noch anderthalbe, indem sie gleich jeden Hinweis auf die Stasi-Vergangenheit ihres Mandanten aus den Medien zu entfernen versuchten. Schon der gewundene Stil des Schreibens verriet allerdings, daß ihnen ihre krause Logik selber nicht so recht einleuchten wollte. Die ENERGIE-CHRONIK lehnte das Ansinnen postwendend ab. Es war nicht das erste Mal, daß mehr oder weniger prominente Personen die Löschung oder Änderung einer Chronik-Meldung verlangten, weil es ihnen peinlich war, auch nach Jahren noch an zurückliegende Vorkommnisse erinnert zu werden. Ein typischer Fall ist etwa der Energie-Manager, der irgendwann eine Auseinandersetzung hatte, die nun seine Berufung auf einen neuen Posten gefährden könnte. Den Wahrheitsgehalt der Chronik-Notiz will er gar nicht bestreiten. Er will sie aber gelöscht oder zumindest geändert haben, weil sie seinem beruflichen Fortkommen schädlich sei. In der alten Welt der Print-Medien wäre das alles überhaupt kein Problem gewesen: Da wäre die Notiz in einem archivierten Zeitungsband verschwunden und allenfalls noch mit großer Mühe aufzufinden gewesen. Heute braucht man nur bei "Google" einen entsprechend präzisen Suchbegriff einzugeben, um über jeder beliebige Person das im Internet kursierende Material auf den Bildschirm zu holen. Das ist eigentlich ein enormer Fortschritt, wenn man mal davon absieht, daß "Google" inzwischen viel Schrott auf die vordersten Plätze der Suchergebnis-Liste befördert und auch der tauglich erscheinende Rest selbstverständlich sehr sorgsam geprüft werden muß. Etliche Gerichte sehen das leider anders, wie das skandalöse Urteil des Hamburger Oberlandesgerichts besonders eindringlich vor Augen führt. Manche Richter scheinen tatsächlich zu glauben, man könne im Internet-Zeitalter unter Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht die wahrheitsgemäße Berichterstattung über aktuelle und erst recht über zurückliegende Ereignisse verbieten. Es wird so getan, als ob die Berichterstattung über weniger schöne Punkte in der Vita von Managern oder Politikern dieselbe Qualität habe wie die Intim-Fotos eines Paparazzi oder die Anprangerung eines in der Resozialisierung befindlichen Straftäters durch eine sensationserpichte Boulevard-Presse. Im Extremfall würde dies bedeuten, daß selbst in Archiven und Chroniken – zumindest soweit sie elektronisch durchsucht werden können – zurückliegende Ereignisse nach einer gewissen Frist gelöscht bzw. so unkenntlich gemacht werden müßten, daß sie von bestimmten Personen nicht mehr als lästig empfunden werden. Ja wo leben wir denn? Oder anders gefragt: In welcher Welt leben eigentlich Richter, die unsere Rechtsprechung in dieser Richtung entwickeln? – Da lobt man sich ja fast noch die Verhältnisse in China: Dort ist wenigstens sonnenklar, daß zensiert wird und man im Internet garantiert nichts findet, was den herrschenden Parteibonzen unangenehm sein könnte. Ein anpassungsfähiger DDR-Jungkarrierist wie Felix Strehober, der nach der Wende zum kapitalistischen "Leistungsträger" mutierte, möchte verständlicherweise nicht an seine Vergangenheit erinnern lassen. Es geht ihm heute wie damals um das ungehinderte persönliche Fortkommen. Und dafür nutzt er die jeweils zur Verfügung stehenden Mittel. In der DDR gehörte dazu der mephistophelische Pakt mit "Horch & Greif". Im heutigen Deutschland bedient er sich nicht minder geschickt einer zunehmend abwegigen, weil auf die Abgeschmacktheiten der Boulevard-Medien fixierten Rechtsprechung der Presse-Kammern, um sein "Persönlichkeitsrecht" geltend zu machen. In der Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg machte Strehober deshalb seine heutige Funktion bei Gazprom so klein wie nur möglich: Er sei "ein Mann der Zahlen", der seine Arbeit im Hintergrund verrichte und schon deshalb keine Person des öffentlichen Interesses sein könne. Dazu paßt, daß bei Eingabe des Suchworts "Strehober" auf der Internet-Seite der Gazprom Germania kein einziges Ergebnis erscheint. Und wenn man "Geschäftsführung" anklickt, werden lediglich die beiden russischen Manager an der Spitze des Unternehmens aufgeführt. Falls da jemand nachgeholfen haben sollte, hat man allerdings ein vom Mai 2009 datierendes firmenoffizielles Porträt des "Direktors Finanzen und Controlling" vergessen, das mit einiger Mühe noch auffindbar ist. Bei der jüngsten Bilanzpressekonferenz war es auch Strehober, der den Geschäftsbericht präsentierte, während der russische Hauptgeschäftsführer Krupenkov in holprigem Deutsch vom Blatt ablas und Stellvertreter Biryulin erst gar nicht den Mund aufmachte. Es geht nicht darum, Strehober seinen Posten streitig zu machen. Mit seiner Vergangenheit paßt er sogar wunderbar in das Gazprom-Imperium, dessen Schwefelgeruch auch die deutsche Tochter nicht los wird, obwohl sie jährlich Millionen für die Image-Pflege verausgabt. Es gibt außerdem schlimmere Karrieren mit größeren Brüchen. Man denke nur an den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der seit Jahren auf der Gehaltsliste der Gazprom-Gesellschaft "Nord Stream" steht und dank seines Gönners Putin noch andere lukrative Posten erlangte. Aber daß ein bundesdeutsches Gericht den Medien verbieten will, über Strehobers falsche eidesstattliche Versicherung zu seiner Vergangenheit als Stasi-Offizier zu berichten, schlägt nun wirklich dem Faß den Boden aus. Wenn dieses Urteil Gültigkeit erlangt hätte, wären ernsthafte Zweifel an der bundesdeutschen Rechtsprechung aufgetaucht. Mit der in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Pressefreiheit war die Entscheidung des Hamburger Oberlandesgerichts jedenfalls unvereinbar.
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