November 2012 |
121115 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Diese ABB-Darstellung verdeutlicht, wie der HGÜ-Strom normalerweise verlustarm am elektronischen Hauptschalter vorbeifließt. Bei einem Kurzschluß wird er aber dank eines sehr schnellen mechanischen Schalters über den elektronischen Leistungsschalter geführt und binnen fünf Mikrosekunden unterbrochen. |
Mit ungewöhnlichem Getöse und entsprechendem medialen Echo gab der ABB-Konzern am 7. November "eine bahnbrechende Entwicklung in der Schaltung von Gleichströmen bekannt": In mehrjähriger Forschung habe man den weltweit ersten Leistungsschalter für die Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) entwickelt. Dieser Durchbruch beseitige eine seit hundert Jahren bestehende Hürde für die Entwicklung von Gleichstromübertragungsnetzen. "Damit löst das Unternehmen ein 100 Jahre altes Rätsel der Elektrotechnik und ebnet den Weg für ein effizienteres Übertragungsnetz", hieß es in der Pressemitteilung.
Hintergrund der Ankündigung ist offenbar ein Wettlauf zwischen den Anbietern von Netztechnik um die bevorstehende Ausschreibung von HGÜ-Strecken, wie sie der von den Übertragungsnetzbetreibern vorgelegte "Netzentwicklungsplan" vorsieht, um das deutsche Transportnetz in Nord-Süd-Richtung zu verstärken (121106). Bisher sind diese HGÜ-Strecken nur als Verbindungen zwischen jeweils zwei Punkten geplant, obwohl es sinnvoller wäre, sie zu einem HGÜ-Transportnetz zu verknüpfen, das dem bestehenden Drehstrom-Transportnetz überlagert wird. Der Grund dafür ist, daß es bisher keine geeigneten Schalter für solche HGÜ-Strecken gibt, um im Notfall – das heißt bei einem Kurzschluß – den Stromfluß schnell genug unterbrechen zu können, ohne daß die Konverterstationen und andere Teile des Systems beschädigt werden.
Erst recht wäre eine Vernetzung bei jenen HGÜ-Strecken sinnvoll oder sogar Voraussetzung, die der Desertec-Plan vorsieht, um den in Nordafrika und in anderen weit entfernten Gebieten erzeugten Strom in die europäischen Verbrauchsschwerpunkte zu transportieren (090702). Auch diesem "Supernetz" fehlt bisher die dafür erforderliche Schalttechnik – mal abgesehen davon, daß es noch zahlreiche andere Probleme aufwirft, die nicht technischer Art sind, und insgesamt vorerst Zukunftsmusik bleibt.
Schon bei Wechselstrom-Hochspannung sind Lastschalter, die den normalen Stromfluß stoppen, recht aufwendige Anlagen. Noch mehr gilt dies für Leistungsschalter, die auch Kurzschlußströme bewältigen müssen. Bei Gleichstrom ist die Löschung des Lichtbogens zwischen den Kontakten des Schalters noch viel schwieriger, da der Nulldurchgang des Wechselstroms entfällt. Dabei muß gerade bei HGÜ der Strom mit Rücksicht auf die elektronischen Konverter binnen Mikrosekunden unterbrochen werden. Das Problem ließe sich zwar lösen, indem man anstelle der mechanischen Unterbrechung die Halbleiter-Technik verwendet. Das wäre aber bei einem entsprechend dimensionierten Schalter mit großen Verlusten und dem Problem der Wärme-Abfuhr verbunden. Der von ABB entwickelte "Hybrid-Schalter" löst das Problem, indem er einen sehr schnellen mechanischen Schalter mit elektronischen Schaltelementen kombiniert. Der Strom mit einer Spannung von 320 Kilovolt wird dabei nur zum Zweck der Abschaltung kurzfristig über den elektronischen Leistungsschalter geleitet. Im Normalfall fließ er verlustarm über einen "Bypass", der den Leistungsschalter umgeht. Dank eines superschnellen, aber sonst in konventioneller mechanischer Technik mit dem Schutzgas SF6 ausgeführten Schalters kann so nach ABB-Angaben der Kurzschlußstrom binnen fünf Mikrosekunden unterbrochen werden (siehe Grafik).
Im Prinzip ist das Konzept eines solchen Hybrid-Schalters nichts neues, und mit ziemlicher Sicherheit haben es alle großen Anbieter von Netztechnik im Visier. Neu ist lediglich, daß ABB nach eigenem Bekunden die Realisierung bereits gelungen ist. Allerdings konnte der Schweizer Konzern nicht mit Fotos einer fertigen Anlage dienen, und als die ENERGIE-CHRONIK nach technischen Details des Schaltvorgangs fragte, ging seine Pressestelle ziemlich schnell auf "Tauchstation". Wie er angibt, spricht er aber bereits mit Übertragungsnetzbetreibern über die Durchführung eines Pilotprojekts.