April 2014 |
140401 |
ENERGIE-CHRONIK |
Rußland hat im April den Konflikt um die Ukraine weiter verschärft. Nach der Einverleibung der Halbinsel Krim in die russische Föderation (140304) will Kremlchef Putin nun offenbar auch die Abtrennung des überwiegend russischsprachigen Ostteils der Ukraine erreichen. Bewaffnete Banden von einheimischen oder aus Rußland eingeschleusten Separatisten rissen an etlichen Orten die Macht an sich. Eine am 17. April mit der Ukraine, den USA und der EU getroffene Vereinbarung, wonach alle illegalen Kräfte ihre Waffen abgeben und besetzte Gebäude räumen sollten, wurde von Moskau nicht eingehalten. Stattdessen kam es zu demonstrativen "Manövern" russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine. Die Nato beschloß im Gegenzug, ihre militärische Präsenz in Osteuropa zu verstärken. Am 25. April haben Separatisten eine Gruppe von Militärbeobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gefangen genommen, um inhaftierte Kumpane freizupressen. Den von der Regierung in Kiew entsandten Sicherheitskräften ist es nicht gelungen, den Ostteil des Landes wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ministerpräsident Jazenjuk warf Moskau vor, einen "dritten Weltkrieg" beginnen zu wollen.
Für die Gasversorgung Westeuropas hat der Konflikt gravierende Folgen, auch wenn sie im einzelnen noch nicht absehbar sind. So scheint es nur eine Frage der Zeit sein, bis Rußland der Ukraine erneut die Gaslieferungen sperrt. Der Gazprom-Vize Alexander Medwedjew forderte am 25. April die Zahlung von umgerechnet 1,6 Milliarden Euro an Rückständen, die seit Anfang des Jahres aufgelaufen seien. Wenn die Ukraine das Geld nicht bis Mitte Mai überweise, werde sie nur noch gegen Vorkasse beliefert. Falls die Vorauszahlungen ausbleiben sollten, würden die Gaslieferungen ab 1. Juni komplett eingestellt.
Damit bahnt sich eine ähnliche Situation an wie im Januar 2009, als Rußland zwei Wochen lang den Gasfluß durch die Ukraine nach Westeuropa stoppte. Anlaß war damals, daß die Ukraine einen neuen Liefervertrag mit stark erhöhten Preisen nicht unterzeichnen wollte. Gazprom belegte die Ukraine deshalb mit einem Lieferstopp. Dieser war aber wenig wirksam, solange sich das Land ersatzweise an die für Westeuropa bestimmten Gasmengen halten konnte. Um diese Ausweichmöglichkeit zu unterbinden – und zusätzlich über die westlichen Staaten Druck auf die Ukraine auszuüben – ließ Gazprom auch die für Westeuropa bestimmten Gasmengen verringern und zeitweilig ganz versiegen (090101).
Die durch die Ukraine führenden "Brotherhood"-Transitleitungen verfügen über eine Kapazität von 100 Milliarden Kubikmetern jährlich. Hinzu kommt die "Jamal"-Pipeline durch Weißrußland und Polen mit 33 Milliarden Kubikmetern. Über diese beiden Leitungen flossen früher praktisch alle russischen Erdgaslieferungen für Westeuropa. Inzwischen ist durch die beiden Stränge der Ostsee-Pipeline "Nord Stream" eine weitere Verbindung mit einer Gesamtkapazität von 55 Milliarden Kubikmetern entstanden. Das würde es der Gazprom erleichtern, die Ukraine mit einem erneuten Lieferstopp unter Druck zu setzen, ohne dadurch ihre Lieferverpflichtungen gegenüber den westeuropäischen Kunden zu verletzen. Dieses Kalkül war auch der Hauptgrund für den Bau der Ostsee-Leitung gewesen (siehe Hintergrund).
Andererseits hat man in Brüssel wenigstens ein bißchen aus der damaligen Situation gelernt. Die EU hat zwar alle Bemühungen um eine größere Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen nur halbherzig betrieben. Insgesamt läßt sich ihre Haltung angesichts der übergroßen Abhängigkeit Westeuropas von russischen Gaslieferungen als konzeptionslos und lasch charakterisieren. Sie hat nicht einmal verhindern können, daß westliche Energiekonzerne – inklusive staatsnahen Konzernen wie ENI und GDF Suez – sich mit Gazprom verbündeten und ein erklärtes EU-Projekt wie "Nabucco" torpedierten. Aber sie hat immerhin dafür gesorgt, daß auf einigen Strecken des europäischen Pipelinenetzes, das bisher nur von Ost nach West transportierte, eine "Schubumkehr" möglich wurde. Dadurch können osteuropäische EU-Länder aus dem früheren Machtbereich der Sowjetunion, die beim Gas noch immer bis zu hundert Prozent auf russische Lieferungen angewiesen sind, inzwischen wenigstens teilweise auch von Westen her versorgt werden. Im Falle der Ukraine gab es bisher zwei solcher Verbindungen durch Polen und Ungarn, über die sie im vergangenen Jahr sieben Prozent ihres Importbedarfs deckte. Bis zum Herbst soll eine weitere durch die Slowakei hinzukommen, die im Endausbau rund neun Milliarden Kubikmeter jährlich transportieren kann (140402).
Indessen kommen auch diese Gaslieferungen aus einem westeuropäischen Pool, der zu rund einem Viertel aus russischen Lieferungen gespeist wird und nicht einfach ausgeweitet werden kann. Und auch sie müssen bezahlt werden, obwohl die westlichen Wiederverkäufer geringere Einstandskosten für das russische Gas haben und deshalb zu niedrigeren Preisen liefern können, als sie Gazprom von der Ukraine verlangt. Das praktisch bankrotte Land wird seine Gasrechnungen so oder so nur mit Hilfe von Milliardenkrediten begleichen können, die es auf lange Zeit zum Kostgänger des Westens machen. Der Internationale Währungsfonds hat für die kommenden zwei Jahre bereits 18 Milliarden Euro zugesagt. Falls die Ukraine sämtliche Forderungen erfüllen wollte, die bisher von Rußland angemeldet wurden – etwa eine angeblich fällige Vertragsstrafe von 18,4 Milliarden Dollar wegen zu geringer Gasabnahmen – könnte sie diesen Betrag gleich nach Moskau weiterreichen.
Unterdessen betreibt Gazprom mit Hochdruck den Bau der Pipeline "South Stream", die unter Umgehung der Ukraine eine weitere Verbindung zwischen Rußland und Mitteleuropa herstellt, die durch das Schwarze Meer und über die Balkanstaaten führt. Mit einer Kapazität von 63 Milliarden Kubikmeter jährlich im Endausbau würde sie die Ukraine als Transitland endgültig ausschalten und die Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen noch verstärken. Besondere politische Protektion genießt das Projekt in Bulgarien, wo Gazprom mindestens eine Milliarde Euro für Bestechungsgelder ausgegeben haben soll. Die EU-Kommission tritt momentan zwar etwas auf die Bremse, indem sie auf der Einhaltung von EU-Recht besteht. Zum Beispiel will sie nicht zulassen, daß die Gazprom gleichzeitig Lieferant und Netzbetreiber ist. Grundsätzlich verhindern will sie das Projekt aber nicht, zumal Gazprom zahlreiche westliche Konzerne miteingebunden hat.