November 2014

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


Die "Luxembourg Leaks"

Mit dem EU-Beihilfen-Verbot ist dem Mißbrauch steuerrechtlicher Regelungen zugunsten von Großunternehmen und Kleinstaaten nicht beizukommen

(siehe 141102)

Das Großherzogtum Luxemburg ist ein eigenartiges Gebilde. Seine Entstehung und die nominelle Staatsform einer Monarchie, die es bis heute bewahrt hat, verdankt es einem unentschiedenen Machtkampf zwischen Frankreich und Preußen. Es war bis 1919 Mitglied im Deutschen Zollverein. Die offizielle Amtssprache ist aber Französisch. Die tonangebende Zeitung "Luxemburger Wort" erscheint dagegen überwiegend in Deutsch. Umgangssprachlich bedienen sich die Einheimischen eines deutschen Dialekts, der von Hochdeutsch ungefähr so weit entfernt ist wie das "Schwyzerdütsch" der Eidgenossen.

In diesem Dialekt sprach auch der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna, als er am 14. November nach einer Kabinettsitzung vor die Presse trat. Eine Journalistin der Zeitung "Letzebuerger Land" fragte ihn, seit wann er und die Regierung von den Untersuchungen erfahren hätte, mit denen das internationale Journalisten-Konsortium ICIJ den Steuerbegünstigungen nachging, die das Großherzogtum einzelnen Unternehmen gewährt. Als die Journalistin mit seiner ausweichenden Antwort nicht zufrieden war und Nachfragen stellte, empörte er sich über diese "unglaubliche Unfreundlichkeit" und betonte, daß er sich "nicht in einem Verhör" befinde. Als sie dennoch die Hand zu einer erneuten Wortmeldung erhob, verlor er ganz die Contenance und schnitt ihr kurzerhand das Rederecht ab. Auf Letzebuergesch hörte sich das so an: "Lo haalt dach op ze gestikuléieren".

Kein Wunder, daß bei dem luxemburgischen Finanzminister die Nerven blank lagen: Die ICIJ-Journalisten hatten ihn in einem vom 14. Oktober datierten Brief höchstpersönlich von ihren Recherchen unterrichtet und gebeten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Er hatte aber die Brisanz der Angelegenheit völlig unterschätzt und geglaubt, sie irgendwie unter den Teppich kehren zu können. Vor allem hatte er nicht geahnt, daß 28.000 belastende Dokumente in einem Internetportal namens "Luxembourg Leaks" veröffentlicht und damit für jedermann einsehbar würden. Der Luxemburger Premier Xavier Bettel war deshalb kalt erwischt worden, als Anfang November führende Blätter wie "Süddeutsche", "Guardian", "Le Monde" und "Washington Post" sowie Sender wie BBC und ARD über die dubiosen Steuerpraktiken seines Landes berichteten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätte eigentlich zurücktreten müssen

Kalt erwischt wurde auch Bettels Vorgänger Jean-Claude Juncker, der bei den vergangenen Europa-Wahlen als Spitzenkandidat der Konservativen antrat und seit 1. November als Präsident der Europäischen Kommission amtiert. Nach den schwerwiegenden Mißgriffen, die er sich bei der Zusammenstellung seiner Kommission erlaubte (141008), wurde er nun auch noch als wichtigster Mitbegründer und Schirmherr der größten europäischen Steueroase diskreditiert. Denn in seiner Amtszeit als Finanzminister (1989 bis Juli 2009) und Ministerpräsident (1995 bis Ende 2003) war Luxemburg zum kommoden "Finanzplatz" für Steuerflüchtige ausgebaut worden.

Selbstverständlich geschah alles legal oder wenigstens halblegal, einschließlich der Schwarzgelder in Milliardenhöhe, die Gutbetuchte lange Zeit hinter dem Luxemburger Bankgeheimnis verstecken konnten. Das gilt auch für die jetzt enthüllten "tax rulings", mit denen Briefkastenfirmen von Großunternehmen aus der ganzen Welt eine steuerliche Belastung bis nahe null gewährt wurde. Daß dabei gegen Beihilfe-Richtlinien der EU verstoßen worden sein könnte, verharmlost die Sache eher und lenkt vom eigentlichen Problem ab (siehe weiter unten).

Außerdem waren die Praktiken, die jetzt mit den "Luxembourg Leaks" detailliert enthüllt wurden, im wesentlichen schon lange bekannt. Schließlich mußte es seine Gründe haben, wenn dieses Land in kurzer Zeit zum internationalen Finanzzentrum aufstieg und 2013 mit seinem nominellen Pro-Kopf-Einkommen an der Spitze aller EU-Staaten lag, während Deutschland – der realwirtschaftlich potenteste EU-Staat – erst auf dem siebten Platz rangierte. Deutschland und andere betroffene Länder hatten jedoch der finanzwirtschaftlichen Absahnerei in Luxemburg tatenlos zugesehen, anstatt wenigstens soviel politischen Druck zu machen, wie das bei dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz der Fall war.

Mit den "Luxembourg Leaks" erreicht nun das, was man im Grunde schon lange wußte, eine neue Qualität. Ungefähr so, als würde die Korrumpierbarkeit eines Beamten, über die bisher nur gemunkelt wurde, nun mit Quittungen über Bestechungsgelder auf Euro und Cent genau belegt.

Es gereicht einem Präsidenten der Europäischen Kommission – gelinde gesagt – nicht zur Zierde, jahrelang ein Steuerschlupfloch organisiert zu haben, mit dem den meisten Mitgliedsstaaten und damit dem Gesamtinteresse der Europäischen Union geschadet wurde. Deutlicher gesagt: Es wäre eine Frage der politischen Hygiene gewesen, Juncker zum Rücktritt zu bewegen. Sonst wird man nicht ausschließen können, daß der Kommissionspräsident eines Tages sogar aus den korruptionsverseuchten Seilschaften von EU-Staaten wie Rumänien oder Bulgarien kommt. Aber leider stellten sich im Europaparlament sowohl die Konservativen als auch die Sozialdemokraten geschlossen hinter Juncker. Unter diesen Umständen verzichteten auch Linke und Grüne auf die Einreichung oder Unterstützung eines Mißtrauensantrags. Es blieb den Rechtspopulisten vorbehalten, einen derartigen Antrag zu stellen, der am 27. November erwartungsgemäß abgelehnt wurde (mit 461 gegen 101 Stimmen bei 88 Enthaltungen).

Generell macht die politische Klasse Luxemburgs in dieser Affäre keine gute Figur. "Wir haben nichts falsch gemacht!" beteuerte Premier Bettel am 6. November in einer ersten Stellungnahme. Die mit den ausländischen Unternehmen vereinbarten "Tax Rulings" befänden sich im Einklang mit den Gesetzen. Finanzminister Granegma hielt es allenfalls für kritikwürdig, wenn die in Luxemburg ausgehandelte Steuersätze allzu dicht bei null lägen...

Brüssel will Steuer-Dumping einzelner Staaten weiterhin zulassen

Ähnliche Steuer-Schlupflöcher bieten die Niederlande und Irland. Die EU-Kommission hat deshalb im Juni dieses Jahres gegen Luxemburg und diese beiden Länder ein Verfahren eingeleitet. Sie hegt den Verdacht einer selektiven Steuervergünstigung, die einer verbotenen staatlichen Beihilfe entsprechen könnte. Konkret geht es um steuerliche Vereinbarungen mit Apple (Irland), Starbucks (Niederlande) und Fiat Finance and Trade (Luxemburg). "Angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Kassen ist es derzeit besonders wichtig, daß die großen multinationalen Konzerne ihren Steuerbeitrag leisten", erklärte Wettbewerbskommissar Almunia. Die Vereinbarung steuerlicher Sonderregelungen für einzelne Unternehmen sei nach den EU-Beihilfevorschriften unzulässig.

Die EU-Kommission will aber nicht die allgemeinen Steuervorschriften der Mitgliedstaaten infrage stellen. Das machte am 6. November die neue EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (Dänemark) nochmals deutlich: "Steuerentscheidungen als solche sind gängige Praxis in den Mitgliedsstaaten", erklärte sie. "Wenn jedoch die Steuerbehörden eines Mitgliedsstaats die von einem bestimmten Unternehmen zu zahlende Steuer günstiger bemessen als den Marktbedingungen entspricht, wird dieses Unternehmen dadurch gegenüber anderen bevorzugt und dies könnte eine staatliche Beihilfe darstellen."

Die Kommission hat somit keine Einwände gegen einen Steuerwettbewerb zwischen den EU-Staaten, obwohl davon nur Großunternehmen und Kleinstaaten profitieren würden, während die Masse der EU-Steuerzahler den entstehenden Schaden zu tragen hätte. Insbesondere Mini-Staaten wie Luxemburg, Malta oder Zypern könnten sich lächerlich geringe Steuersätze leisten: Dadurch entstehende Verluste bei der inländischen Besteuerung würden mehr als ausgeglichen durch eine Fülle ausländischer Unternehmen, die ihr Firmengeflecht auf die Steueroasen ausrichten. Das Nachsehen hätten die großen EU-Flächenstaaten, in denen diese Unternehmen nach wie vor ihr reales Hauptgeschäft tätigen und wo sie von einer Infrastruktur profitieren, die sich nur mit ausreichenden Steuereinnahmen aufrechterhalten läßt.

Dem Großherzogtum Luxemburg bräuchte deshalb nicht davor bangen, einen einheitlichen Steuersatz für alle Unternehmen einzuführen und diesen auch konsequent zu erheben. Derzeit beträgt die Unternehmensbesteuerung in Luxemburg nominell 30 Prozent. Je kräftiger dieser Satz gesenkt würde, umso attraktiver würde das Land als juristischer Firmensitz für ausländische Unternehmen. Da die Luxemburger Realwirtschaft seit dem Niedergang der Stahlindustrie sowieso nicht mehr viel einbringt und der Staatssäckel schon mit dem Bruchteil der Steuereinnahmen größerer Staaten randvoll wäre, würde sich die Niedrig-Besteuerung wahrscheinlich schnell lohnen...

Skandal ohnegleichen: Der Handel mit EU-Pässen und Aufenthaltsrechten

Die EU-Kommission ist also weit entfernt davon, innerhalb Europas für Steuergerechtigkeit zu sorgen, sondern begünstigt ausgesprochen parasitäre Konstruktionen. Dazu paßt ihre halbherzige Reaktion, nachdem verschiedene EU-Staaten begannen, ihre Staatsbürgerschaft an reiche Russen, Chinesen oder Araber zu verkaufen. Malta wollte seine Staatsbürgerschaft und damit den Zugang zum gesamten EU-Raum zunächst für 650.000 Euro anbieten. Der Einspruch von Kommission und EU-Parlament hat lediglich bewirkt, daß die Aspiranten nun einen Aufenthalt von einem Jahr nachweisen und insgesamt 1,15 Millionen Euro hinlegen müssen. Der Kleinstaat Zypern – die Lieblingsinsel der russischen Oligarchen – verkauft seine Staatsbürgerschaft sogar für drei Millionen Euro. Bulgarien gewährt die Einbürgerung dagegen schon für ein Sechstel dieser Summe. In Portugal, Lettland, Griechenland, Ungarn, Irland und Spanien ist für sechsstellige Beträge zumindest ein "Goldenes Visum" bzw. die Aufenthaltsgenehmigung zu haben.

Ähnlich halbherzig und impotent geht die Kommission nun das Problem der Steueroasen an, wenn sie es nur unter dem Blickwinkel einer verbotenen staatlichen Beilhilfe untersucht. Sie blendet damit die parasitären Konstruktionen aus, die sich aus einem "Steuerwettbewerb" der EU-Staaten notwendigerweise ergeben. Schon der Ansatz ist falsch: Schließlich gewährt ein Land wie Luxemburg ausländischen Unternehmen wie E.ON die Steuerspar-Modelle nicht deshalb, um diese zu unterstützen, sondern um sich selber eine Einnahmequelle zu verschaffen, die es sonst nicht hätte. Das ist etwas anderes als der klassische Fall einer staatlichen Beihilfe, wie sie etwa die französische Regierung ihrem Monopolisten EDF durch Steuervorteile und eine unbegrenzte Bürgschaft gewährt hat (031203).

In Deutschland witterte die Kommission hinter dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (020511) sowie der EEG-Entlastung für stromintensive Betriebe (131202) zunächst eine unzulässige Beihilfe. Diese Verfahren wurden jedoch alle eingestellt. Bei der Milliarden-Bürgschaft, welche die Schröder-Regierung dem Konsortium der Ostsee-Pipeline zuschanzen wollte (060406), kam es erst gar nicht zur Eröffnung eines Verfahrens, weil Gazprom und E.ON wohlweislich darauf verzichteten, diese Bürgschaft in Anspruch zu nehmen (060507).

EU darf stark eine differierende Unternehmens-Besteuerung nicht länger dulden

Die bisherigen Verlautbarungen aus Brüssel und Luxemburg lassen vermuten, daß man lediglich die individuellen Steuer-Absprachen mit einzelnen Unternehmen beenden will. Unzulässig sollen auch Besteuerungen sein, die bei null oder im Bereich von ein Prozent liegen. Im übrigen will man den Großunternehmen und Kleinstaaten aber so weit wie möglich entgegenkommen, damit sie weiterhin zum beiderseitigen Nutzen eine Steuervermeidung betreiben können, die logischerweise die Steuereinnahmen der großen EU-Staaten mindert. Formal beruft man sich dabei auf die Souveränität, die auch Kleinstaaten bei der Besteuerung weiterhin genießen. Diese Kleinstaaterei ist aber völlig unverträglich mit der Realität, die sich aus dem Zusammenwachsen der ehemaligen "Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" inzwischen ergeben hat. Nachdem es bereits gelungen ist, die traditionelle Schwarzgeld- und Steueroase Schweiz einigermaßen zu domestizieren – die offiziell nicht der EU angehört, aber faktisch deren Gesetzgebung nachvollzieht – müssen deshalb nun auch EU-Mitglieder wie Luxemburg an die Kandare genommen werden. Sonst ergibt sich aus diesem Widerspruch ein Anschlag auf den europäischen Gedanken, wie ihn Putin sich nicht besser hätte ausdenken können.

Mit dem Instrument des Verbots staatlicher Beihilfen, wie es in Artikel 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert ist, läßt sich das mit den "Luxembourg Leaks" sichtbar gewordene Problem jedenfalls nicht lösen. Das Ergebnis wäre ungefähr von derselben Qualität, wie wenn man die Einbürgerung reicher Russen, Chinesen und Araber nicht nur von der Zahlung einer siebenstelligen Summe, sondern von einer mindest einjährigen Aufenthaltsdauer in der EU abhängig macht. Der skandalöse Mißbrauch einzelstaatlicher Privilegien würde damit nicht beendet, sondern lediglich ein bißchen kaschiert.