Mai 2015 |
150501 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im "Entenschnabel", wie die deutsche Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee auch genannt wird, bekommen die Planer von Windparks derzeit die neue Gesetzeslage zu spüren, die mit der Absenkung der Offshore-Ausbauziele in § 3 EEG und der Änderung der Vorschriften zur Umsetzung des Offshore-Netzentwicklungsplans in § 17d EnWG im August 2014 in Kraft trat (140601). Aussichten auf Verwirklichung haben vorläufig nur die Projekte in den Entfernungszonen 1 und 2 bzw. in den mit 1 bis 8 bezeichneten "Clustern". Die fünf Entfernungszonen wurden schon mit dem Offshore-Netzentwicklungsplan 2013 eingeführt. Die Entfernung von der Küste ist seitdem das wichtigste Kriterium für den Ausbau der Netzanbindungen, ohne die kein Windpark den Betrieb aufnehmen kann. |
Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH) wird in den Entfernungszonen 3, 4 und 5 der deutschen Nordsee bis auf weiteres keine Windparks genehmigen. Bereits eingeleitete Planfeststellungsverfahren werden ausgesetzt. Die Behörde hat den betroffenen Projektierern schon am 6. März entsprechende Schreiben zukommen lassen. Sie reagierte damit auf die Kürzungen, die von der schwarz-roten Koalition bei der Offshore-Windenergie vorgenommen wurden: Bis zum Jahr 2030 sollen anstelle von 25 nur noch 15 Gigawatt Windkraft-Leistung vor der deutschen Küste installiert werden. Bis 2020 sind sogar allenfalls 7,7 Gigawatt zulässig. Um dieses minimierte Ausbauziel zu erreichen, genügen aber die in den Entfernungszonen 1 und 2 der Nordsee genehmigten bzw. noch geplanten Anlagen.
Zuletzt waren beim BSH noch rund siebzig Genehmigungsverfahren anhängig. Es handelt sich durchweg um solche Windparks, die in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der Nord- und Ostsee geplant sind. Für die Genehmigung von Anlagen innerhalb der maximal zwölf Seemeilen großen Hoheitsgewässer vor der Küste sind die jeweiligen Bundesländer zuständig.
Der jetzt erlassene Genehmigungsstopp betrifft rund vierzig Projekte im nördlichen Teil des "Entenschnabels", wie die deutsche AWZ in der Nordsee auch genannt wird. Die Zahl der weiter anhängigen Genehmigungsverfahren reduziert sich damit auf rund dreißig. In den Entfernungszonen 3 bis 5 wurde bisher nur der Windpark "Kaikas" genehmigt, der am südöstlichen Rand der Entfernungszone 3 liegt und bis 2019 fertig sein sollte. Dazu wird es aber trotz der Genehmigung nicht kommen, da die Bundesnetzagentur nur soviel Netzanschlußkapazitäten beim Übertragungsnetzbetreiber TenneT anfordert und zuweist, wie zur Umsetzung des festgelegten Ausbauziels gemäß Offshore-Netzentwicklungsplan erforderlich ist. Sogar der genehmigte und baureife Windpark "Nördlicher Grund" in der Entfernungszone 2, der dem Finanzinvestor Blackstone gehört, kann aus diesem Grund bis auf weiteres nicht realisiert werden. Der ursprünglich geplante Netzanschluß "SylWin 2" wurde nämlich auf Eis gelegt, und der nächstgelegene HGÜ-Konverter "SylWin alpha" ist bereits voll ausgelastet.
Die Entfernungszonen wurden mit dem Offshore-Netzentwicklungsplan 2013 eingeführt. Die "Küstenentfernung" ist seitdem das wichtigste Kriterium für den Ausbau der Offshore-Netzanbindungen, gefolgt von "Erzeugungspotential" und "Geplante Inbetriebnahme der Netzverknüpfungspunkte". Erst dann spielt der "Realisierungsfortschritt der anzubindenden Offshore-Windparks" eine Rolle. Entsprechend verfährt die Bundesnetzagentur bei der Zuweisung von Offshore-Anschlusskapazitäten.
Die bisher in der Nordsee vom zuständigen Netzbetreiber TenneT installierte Übertragungskapazität beläuft sich auf insgesamt 2.815 MW. Davon entfallen 2.640 MW auf die HGÜ-Verbindungen BorWin 1 (400 MW für Bard 1), BorWin 2 (800 MW für Global Tech 1 und Veja Mate), HelWin 1 (576 MW für Meerwind und Nordsee Ost) und SylWin 1 (864 MW für Dan Tysk, Sandbank, und Butendiek). Der Rest sind die Drehstrom-Anbindungen der Windparks Riffgat (108 MW) und Alpha ventus (60 MW).
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ging in ihrem "Energiekonzept", das sie im September 2010 vorlegte, noch von einem notwendigen Ausbau der Offshore-Kapazitäten auf 25 Gigawatt bis zum Jahr 2030 aus (100902). Union und SPD vereinbarten dagegen in ihrem Koalitionsvertrag vom November 2013 eine deutliche Reduzierung dieses Ausbauziels (131101). Dies wiederholten sie in den Eckpunkten für die Reform des EEG, die sie im Januar 2014 vorlegten (140101). Entsprechend sieht das 2014 neugefaßte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in § 3 nur noch "eine Steigerung der installierten Leistung der Windenergieanlagen auf See auf insgesamt 6500 Megawatt im Jahr 2020 und 15000 Megawatt im Jahr 2030" vor. Faktisch dürfen es vorläufig allerdings 1,2 Gigawatt mehr sein. Der Grund dafür ist ebenfalls das "Gesetz zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts", das am 1. August 2014 in Kraft trat und neben dem neuen EEG noch 23 weitere Artikel enthält (140601). Unter anderem wurde den Übergangsbestimmungen in § 118 des Energiewirtschaftsgesetz ein neuer Absatz 14 eingefügt, wonach die Regulierungsbehörde vor dem 1. Januar 2018 bis zu 7,7 GW an Offshore-Kapazitäten zuweisen darf.
Die Bundesnetzagentur hat diesen Maximalwert von 7,7 Gigawatt Offshore-Kapazität für Nord- und Ostsee bis 2020 bereits ausgeschöpft. In ihrem ersten Zuweisungsverfahren, das sie am 27. August 2014 eröffnete, hat sie nach Berücksichtigung der bestehenden unbedingten Netzanbindungszusagen in Höhe von 5.977,3 MW weitere Anschlusskapazitäten in Höhe von 1.511,6 MW vergeben. Im zweiten Zuweisungsverfahren, das Anfang April begann, standen damit rechnerisch noch 211,1 MW zur Verfügung.
Praktisch geht es im derzeit laufenden Zuweisungsverfahren um die 190 MW, die im Cluster 6 um die Netzanbindungen BorWin 2 und 1 noch zu vergeben sind. Die Bundesnetzagentur hat nämlich die Anschlußkapazität des Windparks "Global Tech I" in Höhe von 400 Megawatt auf die Anbindungsleitung BorWin 3 im Cluster 8 verlagert. Mit der frei werdenden Kapazität von 400 MW auf BorWin 2 kann der Windpark "Deutsche Bucht" mit 210 Megawatt ans Netz angeschlossen werden, ohne daß der Bau des ursprünglich geplanten Anbindungssystems BorWin 4 erforderlich wird. Das spart etwa 1,8 Milliarden Euro, die sonst über die Netzkosten die Stromverbraucher tragen müßten.
Allerdings werden durch die veränderte Netzanbindung des Windparks Global Tech 1, der vorläufig über BorWin 2 angeschlossen ist (140905), die 900 MW von BorWin 3 nicht mehr reichen, um auch die geplanten Windparks "Hohe See" (492 MW) und "Albatros" (395 MW) komplett anzuschließen. Schließlich wären dafür in der Summe 1.287 MW erforderlich. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) klagte deshalb als Betreiber des Projekts "Hohe See" vor dem Oberlandesgericht Düsseldort gegen die Bundesnetzagentur. Sie erzielte einen Vergleich, wonach die auf BorWin 2 noch verfügbare Kapazität von 190 Megawatt nicht nur Windpark-Betreibern im Cluster 6, sondern auch solchen im Cluster 8 angeboten wird (150111). Sie hatte somit im derzeit laufenden Zuweisungsverfahren ebenfalls Gelegenheit, sich um diese 190 MW zu bewerben.
Ursprünglich wollte die Bundesnetzagentur die restlichen 500 MW, die nach der Verlagerung von Global Tech 1 auf BorWin 3 übrig bleiben, zwischen der EnBW und dem damaligen Betreiber des Projekts Albatros versteigern. Das war möglich, weil keines der beiden Projekte über eine unbedingte Netzanschlußzusage verfügt, die rechtlich so bindend wäre wie die Termine, die neuerdings im Offshore-Netzentwicklungsplan festgelegt werden. Das war auch der Grund, weshalb die EnBW im November 2012 ihre Investitionsentscheidung für "Hohe See" erst mal vertagte (121120). Nun aber durchkreuzte sie den Plan der Bundesnetzagentur, indem sie Albatros im Dezember 2014 kurzerhand für eine Summe kaufte, über deren Höhe Stillschweigen vereinbart wurde (141217). Inzwischen hat sie beide Windparks zu einem einzigen Projekt vereinigt (150409).
Die 190 MW von BorWin 2, die jetzt von der Bundesnetzagentur vergeben werden, reichen freilich nicht, um das kombinierte Projekt "Hohe See"/"Albatros" im ursprünglich geplanten Umfang zu verwirklichen. Es steht auch noch nicht fest, ob die EnBW die 190 MW tatsächlich bekommt. Die Windpark-Betreiber konnten ihre Teilnahme am Zuweisungsverfahren bis zum 6. Mai beantragen. Wie die Bundesnetzagentur auf Anfrage mitteite, sind insgesamt acht Anträge im Umfang von 895 MW eingegangen. Über die Zulässigkeit dieser Anträge werde jeweils durch Bescheid entschieden. Die diesbezügliche Prüfung inklusive der Beteiligung des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie sei aber noch nicht abgeschlossen. Wenn die Nachfrage der letztendlich zugelassenen Bewerber insgesamt 211,1 Megawatt bzw. die physikalisch maximal zur Verfügung stehende Kapazität (190 MW) überschreite, werde die Behörde eine Versteigerung anordnen.