März 2017 |
170304 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das ungarische Kernkraftwerk Paks wurde in den Jahren 1982 bis 1987 mit vier baugleichen sowjetischen Reaktoren errichtet. Die beiden neuen Reaktoren kommen ebenfalls aus Rußland und sollen die Leistung mehr als verdoppeln. |
Die EU-Kommission genehmigte am 6. März die staatlichen Beihilfen zur Erweiterung des ungarischen Kernkraftwerks Paks, die vor drei Jahren zwischen den Regierungen in Budapest und Moskau vereinbart wurde (140113). Anders als bei den Milliarden-Subventionen für das britische Kernkraftwerk Hinkley Point, die sie vor zweieinhalb Jahren einfach durchgewunken hat (141020), verknüpfte sie dieses Mal die Genehmigung mit einigen Bedingungen. Außerdem hat sie der ungarischen Regierung in einem separaten Verfahren auferlegt, den exklusiven Vertrag mit dem russischen Staatskonzern Rosatom wieder aufdröseln und gut die Hälfte der Bausumme für Paks II nach EU-Vergaberichtlinien auszuschreiben.
Paks ist der einzige KKW-Standort in Ungarn. Die vier baugleichen Reaktoren sowjetischer Bauart gingen von 1982 bis 1987 in Betrieb und verfügen über eine Leistung von insgesamt 2.000 MW (brutto). Sie sollen nun bis 2025 bzw. 2030 durch zwei weitere russische Reaktoren mit einer Leistung von insgesamt 2.400 MW ergänzt werden. Das wird nicht nur die Stromverbraucher in Ungarn belasten, die für die hohen Kosten der Atomstromerzeugung aufkommen müssen, sondern auch Auswirkungen auf Deutschland haben.
Paks deckt schon jetzt rund vierzig Prozent des ungarischen Strombedarfs. Den Rest liefern größtenteils Gas- und Kohlekraftwerke. Die vier alten Blöcke sollen frühestens in den Jahren 2032 bis 2036 vom Netz gehen. Somit entstünde jahrelang ein erheblicher Kapazitätsüberschuß. Der vom ungarischen Staat subventionierte Atomstrom würde dann voraussichtlich zu einem erheblichen Teil nach Deutschland exportiert. Laut einer Studie, die Greenpeace Energy gemeinsam mit den Stadtwerken Schwäbisch Hall und Mainz in Auftrag gegeben hat, würden dadurch vor allem die Anbieter von Strom aus erneuerbaren Energien benachteiligt.
Als Ergebnis ihrer im November 2015 eingeleiteten Beihilfe-Untersuchung stellte die Kommission fest, daß das Vorhaben den Tatbestand einer staatlichen Beihilfe erfüllt, weil kein privater Kapitalgeber die ungünstigen finanziellen Konditionen akzeptieren würde, die Ungarn mit dem russischen Staatskonzern Rosatom vereinbart hat. Solche staatlichen Beihilfen könnten nach EU-Recht nur dann genehmigt werden, wenn sie auf das zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderliche Maß beschränkt und angemessen sind. Das sei hier zunächst nicht der Fall gewesen. Die Genehmigung habe dann aber doch erteilt werden können, nachdem die ungarische Regierung eine Reihe von Verpflichtungszusagen abgegeben habe.
Die Kommission hatte frühzeitig erkennen lassen, daß sie das KKW-Projekt zwar grundsätzlich genehmigen, aber nicht sämtliche Eigenmächtigkeiten akzeptieren würde, mit denen die autoritäre Rechtsregierung des ungarischen Ministerpräsidenten Orban auch in diesem Fall gegen EU-Recht verstoßen hat. Parallel zum Beihilfeverfahren eröffnete sie im November 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, weil der Auftrag für die beiden Reaktoren ohne transparentes Verfahren an Rosatom vergeben worden sei. In der Tat hatten die Verhandlungen mit Rosatom exklusiv und unter strengster Geheimhaltung stattgefunden. Auch später ließ das Orban-Regime alle Details des Geschäfts als geheime Verschlußsache behandeln und sorgte sogar für einen entsprechenden Parlamentsbeschluß. Angeblich geschah dies aus Gründen der "nationalen Sicherheit". Tatsächlich schufen sich Orban und seine Parteifreunde so die Möglichkeit, einen Teil der vorläufig auf rund 13 Milliarden Euro geschätzten Baukosten in andere Kanäle oder sogar in private Taschen zu leiten.
Das von der EU eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wurde bereits im November 2016 abgeschlossen. Die Kommission veröffentlichte dazu keine Mitteilung. Sie überließ es so der Regierung in Budapest, am 17. November die Einstellung des Verfahrens zu verkünden und als politischen Erfolg zu verbuchen. Als Gegenleistung habe die Regierung eingewilligt, für 55 Prozent der Baukosten die Vergaberichtlinien der EU anzuwenden. Faktisch bedeutet dies, daß Rosatom zumindest im Bereich der konventionellen Kraftwerkstechnik bereit ist, auf die Rolle des Exklusiv-Lieferanten zu verzichten. Somit könnten nun auch Unternehmen wie Siemens oder General Electric für die Auftragsvergabe in Frage kommen. Den Anforderungen des EU-Vergaberechts entspricht dieser Kompromiß aber sicher noch immer nicht.
Um auch die Einstellung des Beihilfeverfahrens zu erreichen, mußte die ungarische Regierung ein paar weitere Zugeständnisse machen:
Das neue Kernkraftwerk muß mindestens 30 Prozent seiner gesamten Stromerzeugung an der Strombörse verkaufen. Der verbleibende Teil wird zu objektiven, transparenten und nicht diskriminierenden Bedingungen im Wege von Auktionen verkauft.
Insgesamt sind diese Auflagen darauf zugeschnitten, eine stärkere Privatisierung der ungarischen Stromerzeugung erreichen. Im Unterschied zur weitgehend privatisierten Vertriebsebene befindet sich diese noch weitgehend in staatlicher Hand. Da alte und neue Reaktoren in Paks nicht denselben Eigentümer haben dürfen, ergibt sich fast zwingend als Konsequenz, die abgeschriebene Altanlage privaten Investoren zu überlassen, während der ungarische Staat die verlustträchtige Neuanlage fortführt.