November 2017

171104

ENERGIE-CHRONIK


FDP ließ Verhandlungen über "Jamaika"-Koalition scheitern

Die Koalitionsverhandlungen über die Bildung einer neuen Bundesregierung aus CDU, CSU, Grünen und FDP, die am 18. Oktober begannen, sind am 19. November gescheitert. Kurz vor Mitternacht erklärte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner die Gespräche für beendet. Ursprünglich hatte er dies bereits für 18 Uhr angekündigt, falls bis dahin kein der FDP genehmer Kompromiß gefunden werden sollte. Die SPD bekräftigte, daß sie nach wie vor nicht zu einer neuen Koalition mit der Union bereit sei. Damit bleibt die alte Bundesregierung mit der Kanzlerin Angela Merkel und ihrem schwarz-roten Kabinett vorläufig weiter geschäftsführend im Amt. Wenn die SPD ihre Haltung nicht doch noch ändert – und dafür gab es Ende November deutliche Anzeichen – kämen nur noch Neuwahlen oder die Bildung einer Minderheitsregierung in Betracht.

FDP wollte Kohlekraftwerke erhalten und ihre weitere Vorhaltung subventionieren


Mit diesem Satz begründete Lindner , weshalb er die Verhandlungen abbrach. Schon Minuten später wurde der fesche Spruch von der FDP auf "Facebook" in der neuen Parteifarbe Pink verbreitet. Die Grafik war allerdings schon drei bis vier Tage alt, denn aus ihren Metadaten ging hervor, daß sie am 16. November erstellt worden war. Die Öffentlichkeitsarbeiter der Partei versuchten die peinliche Panne zu reparieren, indem sie mitteilten, daß je nach Ausgang der Verhandlungen drei Sprüche vorbereitet worden seien. Die beiden anderen hätten gelautet: "Ein Anfang ist gemacht" und "Veränderung braucht Mut".

Erwartungsgemäß war die Klima- und Energiepolitik neben der Steuerpolitik oder der Bewältigung des Flüchtlingsproblems einer der wichtigsten Konfliktpunkte bei den Sondierungsgesprächen (170906). Grundsätzlich zeigten CDU und Grüne in allen Fragen eine große Bereitschaft zur Annäherung ihrer teilweise stark divergierenden Standpunkte. Dagegen erweckte die FDP den Eindruck, als ob sie die Gespräche nur pro forma führe, um sie an dann an Maximalforderungen scheitern zu lassen. So war die CDU bereit, weitere 7.000 MW an Kohle-Kraftwerkskapazitäten stillzulegen. Die FDP sah dadurch jedoch die Versorgungssicherheit gefährdet und verlangte die Einführung einer subventionierten "Kapazitätsreserve", wie sie seitens der betroffenen Kraftwerksbetreiber schon seit Jahren gefordert wird (130702). Sie ließ sich auch nicht dadurch beirren, daß weite Teile der Wirtschaft durchaus für den Kohleausstieg plädieren und der Siemens-Konzern dies sogar in Schreiben an die drei Parteien zum Ausdruck gebracht hat (171108).

Grüne sollten Abstriche am Minderungsziel für CO2-Emissionen akzeptieren

Ein weiterer Streitpunkt war das Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Faktisch ist dieses Ziel sowieso nicht mehr zu erreichen und steht nur noch auf dem Papier (161206). Trotzdem verlangte die FDP seine offizielle Herabsetzung auf 34 Prozent. Die Grünen wollten sich dagegen nicht nachsagen lassen, eine derart ambitionitierte Zielmarke, die vor vier Jahren im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition gesetzt wurde (131101), ausgerechnet bei den Verhandlungen über ihre eigene Regierungsbeteiligung tiefer gehängt zu haben. Als beide Seiten am 2. November über diesen Punkt verhandelten, geschah dies im Beisein von sachverständigen Parteifreunden: Die Grünen holten sich den für Energie zuständigen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Rainer Baake (131201). Die FDP ließ sich durch den BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer beraten, der unter der schwarz-gelben Koalition ebenfalls einmal Staatssekretär im Wirtschaftsministerium war (160115).

Aus Sicht der FDP ist die Opposition attraktiver als eine Regierungsbeteiligung

Anscheinend spekuliert der FDP-Chef Lindner darauf, daß seine unnachgiebige Haltung von den Wählern nicht als Starrsinn, sondern als Standhaftigkeit empfunden wird. Der eigentliche Grund für die fehlende Kompromißbereitschaft dürfte aber gewesen sein, daß die FDP lieber in der Opposition bleiben als in eine Vier-Parteien-Regierung eintreten möchte, in der sie voraussichtlich eine sehr blasse Figur abgeben würde. Hinzu hat sich die vierjährige Verbannung aus dem Bundestag von 2013 bis 2017 auf Finanzen, Personal und den schon immer etwas fragwürdigen Sachverstand der Partei verheerend ausgewirkt. Außer Lindner sind fast alle ehemaligen Parteigrößen von der Bildfläche verschwunden oder haben sich einen neuen Wirkungskreis gesucht. Zum Beispiel fand der einstige Parteivorsitzende, Minister und Vizekanzler Philipp Rösler einen neuen Job als Vorstandsmitglied beim sogenannten Weltwirtschaftsforum in der Schweiz. Sein Parteifreund Stefan Kapferer, der im Schlepptau Röslers zum beamteten Staatssekretär im Gesundheits- und dann im Wirtschaftsministerium avanciert war, wechselte nach dem Wahldebakel der Partei auf einen lukrativen Posten bei der OECD in Paris, bevor er Anfang 2016 die Nachfolge der früheren CDU-Politikerin Hildegard Müller als Hauptgeschäftsführer des BDEW antrat (160115).

 

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