Oktober 2018

181004

ENERGIE-CHRONIK




Abgesehen von kleineren Schwankungen haben sich die deutschen CO2-Emissionen außerhalb jenes Bereichs, der vom Emissionshandelssystem (ETS) erfaßt wird, seit 26 Jahren praktisch nicht verändert. Auch der in dieser Grafik noch nicht enthaltene Wert für 2017 dürfte den des Vorjahrs wieder übertreffen. Das liegt hauptsächlich an den verkehrsbedingten Emissionen, die 2016 um 167 Millionen Tonnen über dem Stand von 1990 lagen (180105). Die Erreichung der bis 2020 und 2030 vorgeschriebenen Minderungsziele setzt deshalb eine möglichst raschen Abschied vom herkömmlichen Verbrennungsmotor bei Straßenfahrzeugen voraus.

In der Gesamtbilanz der deutschen Treibhausgas-Emissionen sind seit 2009 ebenfalls keine Fortschritte mehr zu verzeichnen (180105). Nicht viel besser ist die Gesamtbilanz aller EU-Staaten (180507). Eine signifikante Verringerung der CO2-Emissionen läßt sich in Deutschland nur im Bereich der Energiewirtschaft feststellen, der seit 2005 vom Emissionshandel erfaßt wird. Die Ursache dafür war freilich nicht der Emissionshandel, der bislang so gut wie keine klimaschützende Wirkung entfalten konnte. Es handelt sich vielmehr um ein erfreuliches Nebenprodukt der Energiewende, die den Primärenergieverbrauch von fossil befeuerten Kraftwerken zurückgedrängt hat (171202).

Quelle: Europäische Umweltagentur

Deutschland drohen Milliarden-Belastungen durch Nichterfüllung von CO2-Minderungsverpflichtungen

Deutschland und Frankreich haben am 9. Oktober im EU-Ministerrat gemeinsam den Versuch des EU-Parlaments und anderer EU-Staaten abgeblockt, die CO2-Emissionen neuer Straßenfahrzeuge bis 2030 um 40 Prozent zu senken (181006). Als führende Automobilhersteller der EU wollen sie damit eine Schlüsselindustrie vor zu raschem Umbau schützen. Sie vermehren damit aber auch die Milliarden-Lasten, die ihnen durch die Nichterfüllung ihrer CO2-Minderungsverpflichtungen im Verkehrbereich entstehen. Darauf verweist eine Studie, die von den beiden Initiativen Agora Energiewende und Agora Verkehrswende (180510) mit Blick auf die bevorstehenden Verhandlungen im EU-Ministerrat veröffentlicht wurde (siehe PDF).

Der Nicht-ETS-Sektor umfaßt vor allem die Kohlendioxid-Emissionen des Verkehrs


Aus den Abgasen des Verkehrs stammen 35 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen, die nicht vom Emissionshandel erfasst werden.

Die politische Protektion des Verbrennungsmotors kollidiert nämlich mit den CO2-Minderungsverpflichtungen, welche die EU ihren Mitgliedsstaaten in jenen Bereichen abverlangt, die nicht dem Handel mit Emissionszertifikaten (ETS) unterliegen. Dieser Nicht-ETS-Sektor macht ungefähr die Hälfte aller Treibhausgas-Emissionen aus und umfaßt vor allem die Kohlendioxid-Emissionen des Verkehrs (siehe Grafik 2). Schon jetzt läßt sich vorhersehen, dass Deutschland die bis ins Jahr 2030 reichenden Verpflichtungen zur Minderung der CO2-Emissionen in diesem Sektor nicht erfüllen kann. Die Bundesregierung wird deshalb ab 2020 jährlich Milliarden aufwenden müssen, um anderen Mitgliedsländern ihre ungenutzten Emissionsrechte für teures Geld oder gegen politische Zugeständnisse abzukaufen.

Beim Emissionshandel gibt es keine Sanktionen

Der 2005 gestartete Handel mit Emissionszertifikaten (ETS) erfaßt grundsätzlich nur Kraftwerke und ähnliche Großfeuerungsanlagen, die mit der Verbrennung von Kohle, Gas oder Öl große Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Er ist als "marktwirtschaftliches" Instrument konzipiert. Er kennt deshalb keine Sanktionen, falls der erwünschte Effekt der Treibhausgas-Minimierung nicht eintritt. Die EU-Gremien blamierten sich zwar gewaltig, weil sie es über viele Jahre hinweg nicht schafften, die Stellschrauben des ETS-Systems einigermaßen so zu justieren, dass es tatsächlich eine klimaschützende Wirkung entfalten konnte (siehe Hintergrund, November 2017). Sie mußten aber nie befürchten, für ihre Unfähigkeit zur Rechenschaft gezogen zu werden, und sei es nur finanziell.

Außerhalb des ETS hat jedes Land konkrete Minderungsverpflichungen zu erfüllen

Anders verhält es sich mit den seit 2009 geltenden Minderungsverpflichtungen für die CO2-Emissionen außerhalb des ETS-Systems. Hier werden den 28 Mitgliedsstaaten jeweils ganz konkrete Verpflichtungen auferlegt. Ausgangspunkt sind die im Jahr 2005 verursachten CO2-Emissionen durch Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Industrie und Abfällen. Für jedes Land gilt ein bestimmter Prozentsatz, um den es diese Emissionen bis 2020 reduzieren muss oder erhöhen darf. Die Höhe dieses Prozentsatzes richtete sich vor allem nach dem Pro-Kopf-Einkommen. Deshalb rangieren Dänemark und Luxemburg mit einer Minderungsverpflichtung von 20 Prozent an der Spitze, während Griechenland lediglich um vier Prozent verringern muss und Deutschland mit 14 Prozent eher im Mittelfeld jener Staaten liegt, denen Einsparungen abverlangt werden. Umgekehrt wurde knapp der Hälfte der Mitgliedsstaaten unter Berücksichtigung ihrer mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sogar ein Bonus eingeräumt. Aus diesem Grund brauchen alle osteuropäischen Länder überhaupt keine Abstriche vorzunehmen, sondern dürfen ihre Emissionen um bis zu 20 Prozent erhöhen (siehe Tabelle 2).

Um Strafzahlungen zu vermeiden, müßte Deutschland mit Osteuropäern handelseinig werden

Mit Ausnahme von Litauen, das bis 2016 im Nicht-ETS-Sektor gut 6 Prozent mehr Kohlendioxid emittierte als sein Bonus von 15 Prozent erlaubte, haben die von der EU-Lastenteilung (engl. Effort Sharing Regulation) begünstigten Staaten mehr oder minder große Guthaben an Emissionsberechtigungen angesammelt. Vermutlich wird das auch bis zum Ablauf der Regelung im Jahr 2020 so bleiben. Dagegen lässt sich für ein paar Staaten mit hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit schon jetzt mit Sicherheit sagen, dass sie ihre Reduktionsverpflichtungen in diesem Sektor nicht erfüllen werden. Dazu gehört Deutschland, das in den elf Jahren bis 2016 gerade mal die Hälfte seiner Zielvorgabe erreicht hat und die andere Hälfte in den verbleibenden vier Jahren gewiss nicht schaffen wird (siehe Grafik 1). Voraussichtlich fehlen bei der Schlussabrechnung um die 93 Millionen Tonnen CO2. Das entspricht ungefähr den jährlichen CO2-Emissionen aller deutschen Haushalte.

Wenn es der Bundesregierung nicht irgendwie doch gelingt, dieses Defizit auszugleichen, droht ihr deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren mit Strafzahlungen. Aber es bietet sich natürlich an, einfach wieder mal in die mit Steuergeldern gut gefüllte Staatskasse zu greifen und den Polen, Bulgaren oder Rumänen ihre unverbrauchten Emissionsrechte abzukaufen. Die Agora-Initiativen schätzen den dafür erforderlichen Aufwand auf bis zu zwei Milliarden Euro – je nachdem, ob der neuerdings wieder stark gestiegene Preis von CO2-Emissionszertifikaten im Rahmen des ETS angesetzt wird (180813) oder ob Deutschland dafür einen "politischen Preis" entrichtet, der beispielsweise in der Unterstützung eines anderen Mitgliedstaats bei einem für diesen wichtigen Thema besteht. Zum Beispiel würden sich die Machthaber in Polen, Ungarn, Rumänien oder Bulgarien über weniger Kritik an ihren autoritär-korrupten Systemen gewiss sehr freuen...

Voraussichtliche Gesamtkosten, die Deutschland durch mangelnde Erfüllung seiner CO2-Minderungsverpflichtungen im Nicht-ETS-Bereich von 2020 bis 2030 entstehen

  2013-2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 Summe 2021-2030
Erwartete Klimaschutzlücke (Mio. t CO2)

-93

-12 -23 -34 -45 -56

-67

-78 -89 -101 -112 -616
Kosten für den Bundeshaushalt (Mrd. Euro) 0-2 0,6-1,2 1,1-2,3 1,7-3,4 2,2-4,5 2,8-5,6 3,3-6,7 3,9-7,8 4,5-8,9 5-10,1 5,6-11,2 31-62
Quelle: Agora-Studie: Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt (S. 8)

 

Von 2021 bis 2030 gelten neue Anforderungen, die noch schwieriger zu erfüllen sind

Das Problem mit der Minderungsverpflichtung im Nicht-ETS-Sektor ist mit der Schlussabrechnung für das Jahr 2020 aber noch längst nicht vom Tisch, sondern beginnt erst so richtig: Im Mai dieses Jahres traten nämlich weitere Reduktionsverpflichtungen für sämtliche EU-Mitgliedsstaaten in Kraft. Die neue EU-Climate-Action-Verordnung bezieht sich ebenfalls auf die CO2-Emissionen im Jahr 2005 und verfügt nun zusätzliche Minderungen für den Zeitraum von 2021 bis 2030. Dabei gibt es keine Boni mehr. Die günstigsten Konditionen bekam wiederum Bulgarien, das sich nun aber mit null Prozent bescheiden muss, während ihm die vorangegangene Regelung eine Erhöhung der Emissionen um 20 Prozent zugestand. Für alle anderen Staaten gelten Minderungsvorgaben von 2 Prozent (Rumänien) bis 40 Prozent (Schweden, Luxemburg). Deutschland steht nun mit 38 Prozent CO2-Minderung gegenüber 2005 bei der EU-Lastenteilung an fünfter statt an zehnter Stelle (siehe Tabelle 2).

Abzüglich der bis 2020 erfüllten bzw. den osteuropäischen Ländern abgekauften CO2-Minderungsverpflichtungen wird Deutschland also weitere 14 Prozent an CO2-Einsparungen erbringen müssen. Und das in einem Zeitraum von nur zehn anstelle von 15 Jahren. Zugleich dürften bei den Osteuropäern, denen alle Boni gestrichen wurden, kaum noch Guthaben anfallen. Die Neuregelung gewährt ihnen deshalb vorsorglich ein paar Erleichterungen. Zum Beispiel dürfen sie Defizite auch durch den Ankauf einer entsprechenden Anzahl von Emissionsberechtigungen aus dem ETS-System ausgleichen. Deutschland hat diese Möglichkeit jedoch nicht. Und das Hinzukaufen von Emissionsrechten anderer Staaten wird, soweit möglich, zumindest sehr kostspielig. In einem "optimistischen Szenario" beziffern die Agora-Initativen die dafür notwendigen Kosten mit 31 bis 62 Milliarden Euro (siehe Tabelle 1). Grundsätzlich ist bislang jedoch unklar, wie Deutschland die mit Sicherheit wiederum entstehenden Defizite bei seinen Minderungsverpflichtungen im Nicht-ETS-Bereich ausgleichen kann, ohne dass es zu einem Vertragsverletzungsverfahren mit hohen Strafzahlungen kommt.

"Unterlassener Klimaschutz wird für den Steuerzahler zu einer teuren Angelegenheit"

Nach Ansicht der Agora-Autoren wäre es deshalb vernünftiger, schon jetzt mehr in den Klimaschutz zu investieren, anstatt viele Milliarden durch Nichteinhaltung von CO2-Minderungsverpflichtungen zu versenken. Agora-Direktor Patrick Graichen formulierte es so: "Klimaschutz ist von jetzt an auch Sache des Bundesfinanzministers. Unterlassene Klimaschutzbemühungen in Deutschland werden für den Steuerzahler zu einer teuren Angelegenheit."

 

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)

Die CO2-Minderungsverpflichtungen der 28 EU-Staaten im Nicht-ETS-Sektor
und der bis 2016 erreichte Stand ihrer Erfüllung

(Bezugsjahr für die Minderungsvorgaben bis 2020 bzw. 2030 ist jeweils2005)

 

 
Bis 2016 erreichte Minderung bzw. Anstieg in Prozent

Minderungsvorgabe bzw. erlaubter Anstieg bis 2020 in Prozent

 

Minderungsvorgabe bis 2030 in Prozent

 

Deutschland
-7.06
-14
-38
Österreich
-6.93
-16
-36
Luxemburg
-6.87
-20
-40
Slowakei
-5.91
+13
-12
Ungarn
-5.49
+10
-7
Großbritannien
-5.27
-16
-37
Griechenland
-4.28
-4
-16
Frankreich
-3.86
-14
-37
Italien
-3.79
-13
-33
Portugal
-3.69
+1
-17
Niederlande
-3.29
-16
-36
Tschechien
-3.14
+9
-14
Rumänien
-2.73
+19
-2
Belgien
-2.54
-15
-35
Schweden
-2.52
-17
-40
Irland
-0.52
-20
-30
Slowenien
+0.06
+4
-15
Dänemark
+0.33
-20
-39
Finnland
+1.12
-16
-39
Spanien
+1.70
-10
-26
Kroatien
+3.54
+11
-7
Bulgarien
+4.55
+20
0
Polen
+4.77
+14
-7
Estland
+4.96
+11
-13
Zypern
+6.85
-5
-24
Malta
+8.25
+5
-19
Lettland
+11.66
+17
-6
Litauen
+20.66
+15
-9
EU-28
-3,09
 
 
Quelle: Europäische Umweltagentur