Januar 2019

190101

ENERGIE-CHRONIK


 


Es geht auch ohne Entschädigung: Als vorläufig letztes großes Kohlekraftwerk wurden zum Jahresende 2018 die Steinkohle-Blöcke 6 und 7 in Lünen abgeschaltet – zwei Monate früher als geplant, denn der Betreiber STEAG hatte die endgültige Stilllegung zum 2. März 2019 beantragt (180312). Der Grund war mangelnde Rentabilität: Der Block 6 mit 157 MW produzierte Bahnstrom, und der Liefervertrag mit der Deutschen Bahn lief Ende Dezember endgültig aus. Der Block 7 mit 350 MW war wegen des wachsenden Angebots an Strom aus erneuerbaren Energien zuletzt immer seltener am Netz. Da im nördlichen Deutschland ohnehin ein Überschuss an Kohlestromerzeugung besteht, konnte die beantragte Stilllegung von der Bundesnetzagentur sofort genehmigt werden.
Foto: STEAG

Kommission empfiehlt Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038

Die vor sieben Monaten von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" (180612) hat am 26. Januar ihre Vorschläge zur Beendigung der Kohleverstromung vorgelegt. Als Abschlussdatum für den Ausstieg empfiehlt sie Ende des Jahres 2038. In den Jahren 2026 und 2029 soll ein unabhängiges Expertengremium dieses Abschlussdatum überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Untersucht werden dabei die Auswirkungen auf Erreichung der Klimaziele, Entwicklung der Strompreise und Versorgungssicherheit, Beschäftigung, strukturpolitische Ziele und regionalen Wertschöpfung (S. 75)

Bis 2022 soll die Leistung der am Markt aktiven Braun- und Steinkohlekraftwerke auf jeweils 15 Gigawatt sinken

Bis 2022 sollen Braunkohlekraftwerke und Steinkohlekraftwerke schrittweise in dem Umfang stillgelegt oder über das KWKG umgerüstet werden, dass die Leistung der im Markt aktiven Kraftwerke im Jahr 2022 auf rund 15 GW Braunkohle und rund 15 GW Steinkohle reduziert wird. Das entspricht im Vergleich zu Ende 2017 einem Rückgang von 4,9 GW bei Braunkohlekraftwerken und 7,7 GW bei Steinkohlekraftwerken. Darüber hinaus empfiehlt die Kommission die weitgehende Umstellung von Kohle auf Gas innerhalb der Netzreserve (derzeit 2,3 GW). Insgesamt käme es damit zu einer Reduzierung um mindestens 12,5 GW Kohlekraftwerke im Markt. (S. 73)

Reduzierung würde erreicht, wenn RWE sich auf die drei Boa-Blöcke beschränkt

Somit ergäbe sich bis 2022 bei den Braunkohlekraftwerken eine weitere Stilllegung von 3 Gigawatt (GW), wenn man von den 4,9 GW jene fünf Braunkohle-Blöcke abzieht, die ab 2018 in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft (151005) überführt wurden bzw. noch werden und die von der Kommission mit 1,9 GW veranschlagt werden (netto sind es 1,8 MW). Diese vorgeschlagenen Abstriche entsprechen wohl nicht ganz zufällig der Leistungsreduzierung, die sich an den beiden Kraftwerksstandorten Neurath und Niederaußem ergäbe, wenn RWE sich dort künftig auf den Betrieb der drei Boa-Blöcke beschränken und die älteren Blöcke stillegen würde (In Neurath die vier Blöcke A - E mit 1.773 MW und in Niederaußem die Blöcke D und G mit 950 MW, jeweils netto).

Verminderter Brennstoffbedarf würde auch dem Hambacher Forst helfen

Die Beschränkung auf die Boa-Blöcke würde den Braunkohlebedarf aus den noch in Betrieb befindlichen RWE-Tagebauen mindern und damit neue Perspektiven für die Erhaltung des restlichen Teils des "Hambacher Forsts" eröffnen, um den es im vergangenen Jahr heftige Auseinandersetzungen gab (180901). In ihrem Bericht vermeidet es die Kommission allerdings, bestimmte Kraftwerksstandorte oder gar einzelne Blöcke zu nennen. Auch die Auseinandersetzungen um die geplante Rodung des restlichen Baumbestands, welche die Kommission fast zum Scheitern gebracht hätten (180901), werden nur mit einem einzigen Satz erwähnt: "Die Kommission hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt." Darüber hinaus bittet die Kommission die Landesregierungen, mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten, um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden. (S. 73)

RWE verlangt gleichzeitigen Kapazitätsabbau bei der LEAG

"Es ist erkennbar, dass die Vorschläge der Kommission gravierende Folgen für das Braunkohlegeschäft von RWE haben werden", erklärte dazu RWE am 26. Januar. Speziell die bis 2022 vorgeschlagenen Stillegungen will der Konzern nicht allein tragen: "Die in dem Bericht genannten Stilllegungen von Braunkohlekapazitäten können aus Sicht von RWE nicht ausschließlich im Rheinischen Revier erbracht werden." Da es in Deutschland nur noch zwei Betreiber von Braunkohle-Kraftwerken gibt, läßt sich dies als Forderung verstehen, auch die Kapazitäten des ostdeutschen Braunkohleverstromers LEAG schon in den nächsten drei Jahren weiter abzubauen.

Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber sollen Strompreis nicht belasten

Im Vordergrund steht für RWE, LEAG, Uniper und andere große Kraftwerksbetreiber aber sicher die Forderung nach Entschädigungen, wenn sie rentable Kohlekraftwerke vorzeitig stillegen. Zum Beispiel wird der neue Steinkohleblock 9 im Großkraftwerk Mannheim, der vor vier Jahren in Betrieb ging (150514), das Ende seiner technischen Betriebsdauer erst 2055 erreicht haben. Er dürfte sich zwar bis 2038 amortisiert haben, aber gerade dann besonders rentabel sein. Die Kommission empfiehlt, solche Fragen im Einvernehmen mit den Betreibern zu klären, um ein rechtssicheres Vorgehen zu gewährleisten. Bei der Entschädigung seien die bestehenden strukturellen Unterschiede zwischen Braun- und Steinkohlekraftwerken bezüglich der CO2-Emissionen, der Betreiberstruktur, der Verzahnung mit dem Bergbaubetrieb und der damit verbundenen Anzahl der betroffenen Beschäftigten zu berücksichtigen. Falls es zu keiner einvernehmlichen Vereinbarung kommt, empfiehlt sie "eine ordnungsrechtliche Lösung mit Entschädigungszahlungen im Rahmen der rechtlichen Erfordernisse". Die Finanzierung der Entschädigungen habe aus Haushaltsmitteln zu erfolgen und dürfe nicht auf den Strompreis umgelegt werden. (S. 72)

Verhandlungslösung für Datteln 4 empfohlen

"Für bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke" empfiehlt die Kommission eine Verhandlungslösung, um diese nicht in Betrieb zu nehmen. Praktisch geht es dabei um das weitgehend fertiggestellte Steinkohlekraftwerk Datteln 4 von Uniper, in das auch der RWE-Konzern mit einem Strombezugsvertrag involviert ist, den er bisher nicht loswerden konnte (180311). Datteln 4 wurde 2007 von E.ON in Angriff genommen und sollte ursprünglich schon 2011 in Betrieb gehen. Wegen juristischer Auseinandersetzungen und technischer Probleme würde das nun aber erst im Sommer nächsten Jahres möglich sein (180511). Dieses Kraftwerk wurde zu einer Zeit geplant und in Angriff genommen, als in Deutschland allgemein ein starker Zubau an fossil befeuerten Kraftwerken für sinnvoll und notwendig gehalten wurde, um den sukzessiven Wegfall der Kernkraftwerke auszugleichen (080407). Dabei hat man weder dem Klimaschutz noch dem Ausbau der Erneuerbaren die angemessene Bedeutung beigemessen. Heute spräche viel dafür, Datteln 4 erst gar nicht in Betrieb gehen zu lassen.

Bis 2030 nur noch 17 GW Kohle-Kraftwerksleistung

Für die Jahre ab 2023 hält die Kommission einen weiteren deutlichen Rückgang der installierten Leistung der am Markt agierenden Kohlekraftwerke für erforderlich. Sie verweist dabei auf den "Klimaschutzplan 2050" (161104) der amtierenden Bundesregierung, der die Treibhausgasemissionen der Energiewirtschaft bis zum Jahr 2030 um 61 bis 62 Prozent gegenüber 1990 auf 175 bis 183 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent reduzieren möchte. Zur Erreichung dieses Ziels müsse sich die Leistung der am Markt befindlichen Kohlekraftwerke bis 2030 auf maximal 9 GW Braunkohle und 8 GW Steinkohle verringern. Im Vergleich zu 2017 wäre das ein Rückgang um 10,9 GW bei Braunkohlekraftwerken und 14,7 GW bei Steinkohlekraftwerken. (S. 73)

Stromverbraucher sollen für Strompreisanstieg entlastet werden

Neben diesen Eckpunkten für den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 schlägt die Kommission eine ganze Palette von Maßnahmen vor, die ihn begleiten und abfedern sollen. Unter anderem hält sie es für erforderlich, private und gewerbliche Stromverbraucher vom Strompreisanstieg zu entlasten, der durch die politisch beschleunigte Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung entsteht. Zum Ausgleich dieses Anstiegs sei ein Zuschuss in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr "auf die Übertragungsnetzentgelte oder eine wirkungsgleiche Maßnahme" erforderlich (S. 77). Ein Zuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten würde freilich weit mehr den Groß- als den Kleinverbrauchern zugute kommen, wie der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) feststellte. Sinnvoller wäre es, wenn sich die Politik endlich entschließen könnte, das Phantasiekonstrukt der "vermiedenen Netzentgelte" (181205) ganz abzuschaffen. Vernünftig ist auch die Absenkung der Stromsteuer, die von der Kommission zusätzlich vorgeschlagen wird (S. 81).

Jährlich zwei Milliarden Euro Anpassungshilfen für die betroffenen Bundesländer

Die vier Braunkohle-Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen hatten Anpassunghilfen von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich verlangt, die über drei Jahrzehnte lang gewährt werden (181114). Die Empfehlung der Kommission entspricht ziemlich genau diesen Erwartungen. Allerdings sollen die jährlich zwei Milliarden Euro zur Bewältigung des Strukturwandels nur zwanzig Jahre lang gezahlt werden. Davon werden 1,3 Millionen direkt vom Bund für Projekte in den Regionen vergeben und 700 Millionen den Bundesländern zur Verfügung gestellt (S. 121). Summa summarum ergibt das 40 Milliarden Euro binnen zwanzig Jahren anstelle der geforderten 60 Milliarden binnen dreißig Jahren.

 

Links (intern)