April 2019

190402

ENERGIE-CHRONIK


Energiekopplungsanlagen und große Stromspeicher werden planfeststellungsfähig

In das "Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus", das der Bundestag am 4. April beschloß (190401), wurde aufgrund der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses kurzfristig eine Neuformulierung des bisherigen § 43 im Energiewirtschaftsgesetz eingefügt. Das "Erfordernis der Planfeststellung" gilt damit ausdrücklich auch für die Anbindungsleitungen der geplanten LNG-Terminals (190305). Bisher erfaßte diese Vorschrift nur Hochspannungsleitungen ab 110 Kilovolt und Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 Millimeter. Zugleich wird die Liste jener Projekte erweitert, die auf Antrag des Vorhabensträgers in das Planfeststellungsverfahren einbezogen werden können. In der geänderten Fassung gehören dazu nun gemäß § 43 Absatz 2 Punkt 7 und 8 auch "Energiekopplungsanlagen" und "Großspeicher mit einer Nennleistung ab 50 Megawatt".

Neue Bezeichnung für "Power-to-X"

Der Begriff "Energiekopplungsanlagen" wird damit erstmals in die Gesetzgebung eingeführt. Offenbar hat man ihn von der inzwischen vielzitierten "Sektorenkopplung" abgeleitet. Der Bericht des Wirtschaftsausschusses definiert die sprachliche Neuschöpfung folgendermaßen:

"Energiekopplungsanlagen umfassen sog. 'Power-to-X'-Anlagen, also Anlagen zur Umwandlung von Strom in einen anderen Energieträger wie Wärme, Kälte, Produkt, Kraft- oder Rohstoff, insbesondere Elektrolyseanlagen."

Energiekopplungsanlagen sind also faktisch Elektrolyse-Anlagen, die Strom in einen anderen Energieträger wie Wärme, Kälte , Wasserstoff oder Methan umwandeln. Unter Großspeichern versteht der Gesetzgeber dagegen besonders leistungsfähige Anlagen zur Umwandlung von Strom in chemische oder kinetische Energie, die ausschließlich der "Speicherung" bzw. Rückverstromung dienen. Das können beispielsweise Lithium-Ionen-Batterien (181214), Redox-Flow-Anlagen (170611) oder auch herkömmliche Pumpspeicherkraftwerke sein.

Erfolgreicher Vorstoß des Bundesrats

Die schwarz-rote Koalition folgte damit einem Vorstoß der Ländervertretung. Schon im Februar hatte der Bundesrat ein "Markthochlaufprogramm" zur Errichtung großer Elektrolyseanlagen mit einer Leistung von mehr als 50 MW gefordert (190207). Anfang März verlangte er überdies in seiner Stellungnahme zur NABEG-Novelle die Einbeziehung von Power-to-Gas-Anlagen und Großspeichern in den Katalog jener Anlagen, deren Errichtung und Betrieb der Planfeststellung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde bedarf. Zur Begründung führte er aus:

"Angesichts der im Szenariorahmen der Netzentwicklungsplanung vorausgesetzten und öffentlichkeitswirksam angekündigten Power-to-Gas-Vorhaben zur Kopplung verschiedener Energieleitungen mehrerer Konsortien von Fernleitungsnetzbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern sind zur Realisierung dieser Anlagen entsprechende genehmigungsrechtliche Tatbestände zu schaffen. Bisher ist unklar, ob diese Anlagen als Nebenanlagen zu einer Stromleitung oder Gasfernleitung unter § 43 Satz 3 EnWG fallen und welcher der beiden Infrastrukturen sie zuzuordnen wären. Die Katalogerweiterung ist auch vor dem Hintergrund absehbar fehlender Betreiberidentität der Konsortien bzw. ggf. Dritter gegenüber dem Betrieb einer Übertragungsnetzleitung oder einer Fernleitungnetzpipeline angemessen."

Strom- und Gashändler pochen auf strikte Einhaltung der Entflechtungs-Doktrin

Beim Verband Deutscher Gas- und Stromhändler (EFET) und beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) sorgte die erfolgreiche Initiative der Ländervertretung für einige Aufregung. Über die Branchenmedien "ZfK" und "energate" erhoben beide noch vor der Verabschiedung des Gesetzes den Vorwurf, dass die Neuregelung unter dem Druck der Übertragungsnetzbetreiber zustande gekommen sei und diese begünstige. Die EFET-Geschäftsführerin Barbara Lempp vertrat die Ansicht, dass der neugefaßte § 43 faktisch die Aushebelung der rigiden Entflechtungsvorschriften bedeute, die den Netzbetreibern bisher jede Betätigung im Bereich Erzeugung untersagen. Das führe schrittweise zur Verabschiedung vom EU-Binnenmarkt.

Der Verband "Initiative Erdgasspeicher" hieb in dieselbe Kerbe. Am 6. April äußerte er die Erwartung, "dass die zuständigen Landesbehörden die Entflechtungsvorschriften, insbesondere bei der Zulassung von Power-to-Gas oder Speicher-Vorhaben weiterhin beachten". Darüber hinaus vertraue er darauf, "dass Investitionen in Power-to-Gas-Anlagen oder Speicher auch künftig in einem marktwirtschaftlichen Umfeld stattfinden und demzufolge nicht im Rahmen des kalkulatorischen Anlagevermögens eines Netzbetreibers durch die Bundesnetzagentur oder Landesregulierungsbehörden anerkannt werden".

Strom- und Gasnetzbetreiber planen bereits große Elektrolyse-Anlagen

Den Hintergrund bildet dabei, dass sich fünf Betreiber von Strom- und Gastransportnetzen in zwei Konsortien zusammengetan haben, um Großanlagen zur Stromspeicherung und Energiekopplung auf Basis der Elektrolyse zu errichten (181008). Inzwischen haben sie entsprechende Investitionsanträge für zwei Power-to-Gas-Projekte bei der Bundesnetzagentur eingereicht (190404). Auch auf europäischer Ebene fordern die Strom- und Gastransporteure die Errichtung von Strom-zu-Gas-Kapazitäten im Gigawattbereich (181105). Wie man sieht, müssen sie dabei mit dem Widerstand von Teilen der Strom- und Gasbranche rechnen, deren Interessen geschäftlich anders gelagert sind.

FDP will Elektrolyse und große Stromspeicher nicht von "regulierten Monopolisten" betreiben lassen

In der Bundestagsdebatte über die NABEG-Novelle unterstützte die FDP-Rednerin Sandra Weeser die Kritik der Stromhändler und Gasspeicherbetreiber an diesem Punkt, der"kurz vor Toresschluss noch in das Gesetz hineingepaukt" worden sei. Sie räumte ein, dass Power-to-X-Technologien für die Energiewende zu einem wichtigen Baustein werden könnten. Ihre Einbeziehung müsse aber unter Einhaltung der bisherigen Entflechtungs-Bestimmungen geschehen: "Elektrolyse und große Batteriespeicher sollten nicht von regulierten Monopolisten, also den Netzbetreibern, errichtet und betrieben werden, sondern dieses Geschäft muss aus unserer Sicht wettbewerblich organisiert und durchgeführt werden."

Wirtschaftsausschuss verkannte das Hauptinteresse an "Power-to-X"

Beim Versuch, den § 118 Abs. 6 EnWG präziser zu fassen und ausdrücklich auch Elektrolyse-Anlagen einzubeziehen, passierte dem Wirtschaftsausschuss anscheinend ein Mißgeschick: Er machte die Netzentgeltbefreiung für den Stromverbrauch solcher Anlagen davon abhängig, dass "der erzeugte Wasserstoff oder das erzeugte Gas zur Stromerzeugung eingesetzt werden". Damit verkannte er das Hauptinteresse an den "Power-to-X"-Anlagen, das in der direkten energetischen Verwertung des erzeugten Wasserstoffs als Kraftstoff oder in Form von Methan besteht.

"Rückverstromung von Wasserstoff ist vorerst ökonomisch nicht sinnvoll"

Das Land Schleswig-Holstein machte sich zum Fürsprecher dieser Interessen: Zur Sitzung des Bundesrats am 12. April, auf deren Tagesordnung die NABEG-Novelle als Einspruchsgesetz stand, beantragte es die Rückgängigmachung der Änderung mit folgender Begründung:

"Derzeit gibt es weder kurz- noch mittelfristig die Aussicht auf Anwendungsbereiche, in denen eine Rückverstromung von Wasserstoff, der mit erneuerbarem Strom erzeugt wurde, ökonomisch sinnvoll wäre. Im Gegensatz dazu zeichnet sich ab, dass der Anwendungsbereich von sogenannten 'Power to Gas-Anlagen', bei denen der produzierte Wasserstoff für den Wärmemarkt, Mobilität u.a. genutzt wird, wirtschaftlich gestaltet werden kann, wenn die Befreiung von den Netzentgelten beibehalten wird. Nur dann hätten solche Anlagen als Geschäftsmodelle im Rahmen der Sektorenkopplung eine Basis."

Bundesregierung will Änderung "schnellstmöglich zurücknehmen"

Die von Schleswig-Holstein beantragte Einberufung des Vermittlungsausschusses hätte allerdings das Inkrafttreten der gesamten NABEG-Novelle verzögert. Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums bat deshalb in der Bundesratssitzung am 12. April darum, auf diesen Schritt zu verzichten. Zugleich bot er an, die Änderung "schnellstmöglich zurückzunehmen". Als Trägergesetz für die Rücknahme könne beispielsweise das geplante Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen dienen.

Schleswig-Holstein zog deshalb den Antrag zurück. Die Bundesregierung gab ihrerseits in einer Protokollnotiz die Zusicherung, dass die Rückverstromungs-Klausel "aus der NABEG-Novelle zunächst wieder zurückgenommen wird, um nach Beratung mit den Stakeholdern einen Vorschlag zu unterbreiten, wie die Rahmenbedingungen für den Einsatz von „Power to X“ insgesamt gestaltet werden können".

 

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