November 2019 |
191102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Zu schön, um wahr zu sein: Laut Klimaschutzgesetz sollen die CO2-Emissionen der Nicht-ETS-Sektoren jedes Jahr um 517 bis 368 Millionen Tonnen sinken, wobei für 2020 ein Gesamtausstoß von 533 Millionen Tonnen angenommen wird. In den zehn Jahren bis 2030 würde so das bisherige Defizit im Nicht-ETS-Bereich abgebaut sein und punktgenau das Ziel einer 38-prozentigen Minderung gegenüber 2005 erreicht, zu dem sich Deutschland vertraglich verpflichtet hat. Das ist angesichts der jetzt eingeschlagenen Klima-Politik der Regierung allerdings nicht zu erwarten. Stattdessen dominiert wieder mal Wunschdenken. Das beginnt schon damit, dass die Annahmen aus dem "Klimaschutzplan 2050" einfach übernommen und deshalb die Ausgangswerte für das Jahr 2020 offensichtlich zu niedrig angesetzt wurden. Die Grafik läßt nebenbei erkennen, dass der in den 13 Jahren von 2005 bis 2018 erzielte Rückgang um 41 Millionen Tonnen nur den Sektoren Gebäude (-37 Mio t) und Abfallwirtschaft/Sonstiges (-11 Mio t) zu verdanken war. In den Bereichen Industrie und Verkehr haben dagegen die CO2-Emissionen um insgesamt 7 Mio t zugenommen. |
Union und SPD haben inzwischen wesentliche Teile des enttäuschenden "Klimaschutzprogramms", das sie im September vorlegten (190902), in Gesetzesform gebracht. Am 15. November beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Regierungsparteien ein "Bundes-Klimaschutzgesetz", ein "Brennstoffemissionshandelsgesetz" (191103) sowie zwei Gesetze zur steuerrechtlichen Umsetzung klimapolitischer Ziele (191104). Die Oppositionsparteien lehnten alle vier Gesetze ab. "Der heutige Tag ist ein weiterer schlechter Tag für den Klimaschutz", charakterisierte der Abgeordnete Anton Hofreiter aus Sicht der Grünen das Gesamtpaket.
Mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz präsentiert die Große Koalition ihre alten Minderungsziele für CO2-Emissionen aus dem "Klimaschutzplan 2050", die schon vor drei Jahren von Wunschdenken geprägt waren (161104), in einer neuen Verpackung. Sie hat lediglich auf die damals angegebenen Bandbreiten nach oben verzichtet (siehe Vergleich). Sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die tatsächliche Entwicklung des Ausstoßes an Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen und ihre auf dem Stand des Jahres 2014 basierenden Zielvorgaben entsprechend zu korrigieren. So erklärt sich, dass schon die Ausgangswerte für die Treibhausgas-Emissionen in den einzelnen Sektoren für das Jahr 2020 viel zu niedrig angesetzt sind.
Die Treibhausgas-Minderungen, die das "Klimaschutzgesetz"
für erreichbar hält, entsprechen denen des "Klimaschutzplans
2050" aus dem Jahr 2016. Es wurden nur die Bandbreiten nach oben
weggelassen. Trotz der gesetzlichen Festschreibung handelt es sich weiterhin
um Wunschwerte ohne letztendliche Verbindlichkeit.
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Zum Beispiel werden für den gesamten Nicht-ETS-Bereich 533 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent4 angenommen (siehe Grafik). Das würde voraussetzen, dass der CO2-Ausstoß des Nicht-ETS-Sektors, den das Umweltbundesamt für 2018 mit 555 Millionen Tonnen bezifferte, binnen zwei Jahren um 22 Millionen Tonnen sinkt. Dabei belief sich von 2005 bis 2018 – also im Zeitraum von insgesamt 13 Jahren – der gesamte Rückgang nur auf 41 Millionen Tonnen. In den noch verbleibenden zwei Jahren müsste demnach die CO2-Minderung plötzlich drei- bis viermal schneller vorangehen als in der Vergangenheit.
Dieselbe Ungereimtheit ergibt sich beim Ausgangswert für die vom Emissionshandelsysstem (ETS) erfaßte Energiewirtschaft. Die zulässige Jahresemissionsmenge ist hier mit 280 Millionen Tonnen angesetzt. Das sind 31 Millionen Tonnen weniger als die tatsächlichen Emissionen des Jahres 2018, die das Umweltbundesamt auf 311 Millionen Tonnen taxiert (190414). Einen derart rapiden Rückgang innerhalb von zwei Jahren hat es aber noch nie gegeben, wenn man von der besonderen Situation zu Anfang der neunziger Jahre absieht, als mit dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft fast schlagartig auch deren CO2-Emissionen entfielen.
In beiden Fällen sind die zu niedrig angesetzten Ausgangswerte offenbar durch die simple Übernahme des "Klimaschutzplans 2050" zustande gekommen. Der bezog sich nämlich auf den Stand des Jahres 2014. Es fehlten somit noch die Ist-Werte für fünf Jahre, um eine einigermaßen zuverlässige Prognose für das Jahr 2020 zu erstellen. Inzwischen ist der Spielraum für phantasievolle Minderungsprognosen auf zwei Jahre geschrumpft, weshalb die Diskrepanz zwischen Wunschdenken und Realität offensichtlich wird.
Auch sonst sind die genannten Zahlen eher von Wuschdenken geprägt, nachdem die Koalition den Einstieg in die CO2-Bepreisung völlig vermurkst hat, anstatt sich auf eine CO2-Lenkungsabgabe als wirklich wirksame und kostenneutrale Klimaschutzmaßnahme zu einigen. Das Gesetz will die letztendliche Unverbindlichkeit der "zulässigen Jahresemissionsmengen" auch nicht ganz verhehlen. Am Ende von § 4 Abs. 1 findet man eine Formulierung, die an die "Disclaimer" erinnert, wie sie häufig auf Internet-Seiten zur Abwehr von Haftungsansprüchen zu finden sind: "Die Jahresemissionsmengen sind verbindlich, soweit dieses Gesetz auf sie Bezug nimmt. Subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen werden durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes nicht begründet."
Laut § 1 soll das Gesetz die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben gewährleisten. Der § 3 bekräftigt nochmals das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 verringern, das schon im "Klimaschutzplan" formuliert wurde (161104). Der § 4 benennt dann mit der Anlage 1 die Emissionsquellen der einzelnen Sektoren und deren Abgrenzung. Mit der Anlage 2 führt er Höchstgrenzen für die zulässigen Emissionen ein. Für die Bereiche Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft, die nicht dem Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) unterliegen, sind diese Höchstgrenzen nun für jedes einzelne Jahr festgelegt und sinken kontinuierlich. Dagegen gilt für die Energiewirtschaft bzw. das ETS-System im wesentlichen nur die allgemeine Vorgabe, dass die CO2-Emissionen binnen zehn Jahren von 280 auf 175 Millionen Tonnen sinken müssten.
Im Nicht-ETS-Bereich würde selbst bei exakter Einhaltung aller jährlichen Zwischenziele bis 2030 nicht mehr erreicht als das, wozu sich Deutschland ohnehin verpflichtet hat: Die Senkung der CO2-Emissionen um 38 Prozent gegenüber dem Stand des Jahres 2005. Schon jetzt besteht hier großer Nachholbedarf. Deshalb werden bis 2029 Milliardenkosten anfallen, um anderen EU-Ländern ihre nicht verbrauchten CO2-Minderungsverpflichtungen abzukaufen oder Strafzahlungen nach Brüssel zu überweisen (181004).
In § 7 hat man diese Belastungen bereits eingeplant: Er schreibt vor, dass "der Ankauf von Emissionszuweisungen zur Erfüllung der Pflichten nach der Europäischen Klimaschutzverordnung" vom dafür zuständigen Bundesministerium "nach Maßgabe der im Bundeshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel durchgeführt" wird. Dem Verkäuferstaat soll dabei die Zusicherung abverlangt werden, "die erzielten Einnahmen für die Bekämpfung des Klimawandels zu verwenden". Ob das die deutschen Steuerzahler hinreichend tröstet, dass ihre Regierung selber zu wenig für die Bekämpfung des Klimawandels getan hat, darf bezweifelt werden.
In § 5 wird die Bundesregierung ermächtigt, Einzelheiten zur Ermittlung und Mitteilung der Emissionsdaten festzulegen und einem jeweils zu benennenden Ministerium die sektorale Zuständigkeit zu übertragen. Falls die vom Umweltbundesamt zu ermittelnden Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor ausweisen, hat das zuständige Ministerium gemäß § 8 ein "Sofortprogramm" vorzulegen, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellen soll. Laut § 10 legt die Bundesregierung jährlich Klimaschutzberichte zum erreichten Stand der Emissionsminderungen und deren künftiger Entwicklung vor. Dabei assistiert ihr ein "unabhängiger Expertenrat". Gemäß § 11 besteht er aus "aus fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen", die sie für jeweils fünf Jahre berufen werden. Mindestens eines dieser Mitglieder muss über "hervorragende wissenschaftliche Kenntnissen und Erfahrungen aus einem der Bereiche Klimawissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Umweltwissenschaften sowie soziale Fragen" verfügen. Praktischerweise wählt sie alle fünf auch noch selber aus, womit eine harmonische Ausgewogenheit von Sachverstand und Kritik gewährleistet sein dürfte.
Im ETS-Bereich – also bei der Energiewirtschaft – entspricht die vorgesehene Senkung auf 175 Millionen Tonnen ebenfalls jener Untergrenze, die schon im "Klimaschutzplan" vorgesehen war (161104). Mit Ausnahme des Jahres 2022 nennt das Gesetz hier keine jährlichen Zwischenziele. Bei Nichterreichung würden in diesem Sektor auch keine Sanktionen drohen. Schließlich soll das Emissions Trading System (ETS) alles richten. Aber gerade daraus ergibt sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit dem Europäischen Emissionshandelssystem ein sehr großes Risiko, die versprochenen Minderungen zu verfehlen.
In der Vergangenheit hat das ETS jedenfalls kläglich versagt (siehe Hintergrund, November 2017). Es trifft zwar zu, dass seit 2005 im Bereich der Energiewirtschaft zumindest in Deutschland ein regelmäßiger Rückgang der CO2-Emissionen festzustellen war, der die Zuwächse in anderen Sektoren kompensierte und in der Gesamtbilanz für ein leichtes Absinken der CO2-Emissionen sorgte (190414). Dies war aber nicht auf den Emissionshandel zurückzuführen, sondern auf die starke Veränderung des Energie-Mixes durch gezielte Förderung der Erneuerbaren Energien. Bis vor kurzem war der Preis der ETS-Zertifikate so niedrig, dass er überhaupt keine klimaschützende Wirkung entfalten konnte. Das hat sich erst nach den mühsam durchgesetzten Reformen geändert, die den Preis eines Zertifikats seit 2018 aus dem einstelligen Bereich über die Schwelle von zwanzig Euro hoben (180813). Aber auch die jetzt erreichte Höhe würde noch lange nicht ausreichen, um die für den ETS-Bereich gesteckten Ziele zu erreichen.
Umso unverständlicher ist es, dass die einst vorschnell als "Klimakanzlerin" gefeierte Angela Merkel das Ende ihrer Amtszeit mit einer derartigen Fehlleistung krönt: Indem ihre Regierung auf nationaler Ebene für jene Sektoren, die den größeren Teil der CO2-Emissionen ausmachen und bisher nicht vom ETS erfaßt wurden, ebenfalls einen Handel mit Emissionszertifikaten einführt. Der soll faktisch erst 2026 starten. Vorher ist er nichts anderes als eine CO2-Steuer ohne nennenswerte Wirkung (191103). Die ohnehin schon enorm besteuerten Preise für Sprit, Heizöl und Gas werden damit nochmals verteuert, wobei die zusätzliche Belastung besonders den ärmeren Teil der Bevölkerung trifft. Hauptverlierer ist aber der Klimaschutz, für den dabei trotz der hohen Kosten erst mal gar nichts herauskommt. Auch das flankierende Paket von mehr und weniger sinnvollen Einzelmaßnahmen zur CO2-Minderung wird nichts daran ändern können, dass hier eine grundsätzlich falsche Weichenstellung erfolgt ist.
Der Bundesrat hat am 29. November dennoch sowohl dem "Bundes-Klimaschutzgesetz" als auch dem "Brennstoffemissionshandelsgesetz" zugestimmt. Lediglich bei den beiden Gesetzentwürfen zur steuerrechtlichen Umsetzung rief er den Vermittlungsausschuss an, um Änderungen zu erreichen.