September 2021

210910

ENERGIE-CHRONIK


Private Schiedsgerichte dürfen EU-Recht nicht ersetzen

Investitionsstreitigkeiten auf EU-Ebene müssen vor den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten beigelegt werden. Der Europäische Gerichtshof hat am 2. September diesen Grundsatz, den er im März 2018 mit dem sogenannten Achmea-Urteil dekretierte (190107), mit einer weiteren Entscheidung bekräftigt. Das damalige Urteil annullierte die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung, mit der das Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington (ICSID) dem niederländischen Versicherungskonzern Achmea eine Entschädigung von 22 Millionen Euro durch die Slowakei zuerkannt hatte. Bei dem jetzt entschiedenen Rechtsstreit gehörte dagegen keine der beiden Parteien der Europäischen Union an: Vielmehr klagte der staatliche ukrainische Stromlieferant Energoalians auf Grundlage der "Energie-Charta" gegen die benachbarte Republik Moldau und verlangte Schadenersatz, weil diese den vertraglich vereinbarten Preis für Stromlieferungen nicht vollständig bezahlt hatte. Ein Pariser Schiedsgericht, das nach Art. 26 Abs. 4 Buchst. b der "Energie-Charta" zustande kam, hatte Moldawien deshalb zur Zahlung von 46 Millionen Dollar zuzüglich Prozesskosten verurteilt. Die Luxemburger Richter kippten nun dieses Urteil für den Bereich der Europäischen Union schon deshalb, weil eine bloße Stromlieferung nicht als "Investition" im Sinne von Art. 1 Nr. 6 und Art. 26 Abs. 1 der "Energie-Charta" gelten könne. Dagegen hatte die für das ICSID-Schiedsgericht in Washington zuständige US-Justiz die Vollstreckbarkeit des vor acht Jahren ergangenen Schiedsspruchs grundsätzlich bejaht.

Französische Ziviljustiz bat Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung

Der Streit gelangte deshalb deshalb vor den Europäischen Gerichtshof, weil sich beide Parteien darauf geeinigt hatten, ihn gemäß dem erwähnten Artikel der "Energie-Charta" einem Ad-hoc-Schiedsgericht in Paris vorzulegen. Mit dem am am 25. Oktober 2013 ergangenen Schiedsspruch dieses dreiköpfigen Gremiums wurde Moldawien zur Zahlung von 592.880.395 moldawischen Lei verurteilt. Das waren nach damaligem Umrechnungskurs ungefähr 34 Millionen Euro oder 46 Millionen US-Dollar. Hinzu musste der schwachbrüstige Kleinstaat noch 540.000 US-Dollar an Prozesskosten übernehmen, die dem Kläger Energoalians entstanden waren.

Moldawien focht diese Entscheidung jedoch an, weil das Schiedsgericht nach französischem Recht gar nicht zuständig gewesen sei (sogar eines der drei Jury-Mitglieder hatte in dieser Hinsicht Zweifel geäußert). Die französische Zivilgerichtsbarkeit (Cour d'Appel de Paris) sah dies ebenfalls so und erklärte den Schiedsspruch im April 2016 für ungültig. Damit wollte sich indessen der ukrainische Kläger nicht abfinden. Auf dessen Antrag erklärte der Kassationsgerichtshof zwei Jahre später das Urteil für ungültig und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an die Cour d'Appel zurück. Dort wiederholte Moldawien seinen Einwand, dass nach französischem Recht das Schiedsgericht von vornherein nicht rechtmäßig zustande gekommen sei, weil die bloße Stromlieferung in ein Nachbarland nicht als Investitionstätigkeit im Sinne der "Energie-Charta" gelten könne. Die Cour d’Appel de Paris beschloss daraufhin, das Verfahren auszusetzen und diese Streitfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Formal erfolgte die Stromlieferung über die Jungferninseln und wurde dabei doppelt so teuer

Zusätzlich kompliziert wurde der Fall dadurch, dass der staatliche moldawische Stromversorger Moldtranselectrico den Stromliefervertrag, der im Februar 1999 in Kiew unterzeichnet wurde, nicht direkt mit dem ukrainischen Stromerzeuger Ukrenergo abgeschlossen hatte, mit dem er ansonsten alle Details des Stromimports absprach. Stattdessen bezog er den Strom formal von einer Gesellschaft mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln, die Derimen Properties Limited hieß. Diese kaufte ihn ihrerseits vom ukrainischen Stromverteiler Energoalians. Auf dem Weg über die Briefkastenfirma in der Karibik verteuerte sich der Strom ungefähr um das Doppelte. Ganz nebenbei wurde er dadurch juristisch nicht mehr von einem Unternehmen der Ukraine geliefert, sondern aus einem Steuerparadies, das die "Energie-Charta" nicht unterzeichnet hat. In ihrer Anfrage an die Kollegen in Luxemburg wollten die Pariser Richter deshalb auch wissen, ob der Vertrag mit einem solchen Unternehmen überhaupt Grundlage für eine Schiedsklage sein könne.

Das millionenträchtige Schiedsgerichtsurteil wechselte zweimal den Besitzer

Wenig später trat an die Stelle von Energoalians eine Gesellschaft namens Komstroy LLC, die als Rechtsnachfolger die Ansprüche aus dem Schiedsgerichtsurteil erworben hatte und bei der US-Justiz deren Vollstreckbarkeit beantragte. Das für den District of Columbia (Washington) zuständige US-Gericht gab diesem Ansinnen im November 2018 statt, wobei sich der zur Pfändung freigegebene Gesamtbetrag auf 58,6 Millionen Dollar erhöhte, weil Energoalians die komplette Umstellung des Schiedsspruchs auf US-Währung beantragt und genehmigt bekommen hatte. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil im Januar 2021 grundsätzlich. Es beanstandete aber die neue Umrechnung zum Nachteil Moldawiens und verwies den Fall deshalb zur erneuen Verhandlung an die Vorinstanz zurück. Ein neues Urteil liegt noch nicht vor. Sicher ist aber jetzt schon, dass es höchstens in den USA vollstreckt werden könnte, wo die vorhandenen moldauischen Vermögenswerte sehr bescheiden sein dürften.

Der staatliche Stromlieferant Energoalians wollte angeblich die Devisenkontrolle austricksen

Wie aus dem Urteil des US-Berufungsgerichts zu entnehmen ist, hat inzwischen an Stelle der Komstroy LLC ein anderes Unternehmen namens Stilek den von Energoalians erwirkten Schiedsspruch erworben, um ihn zu Geld zu machen. Beiläufig wunderte sich das Berufungsgericht über das "byzantine arrangement", mit dem Energoalians und Derimen die Stromlieferung ins Nachbarland über die Britischen Jungferninseln laufen ließen. Der Grund dafür sei gewesen, dass Energoalians die ukrainischen Devisenkontrollen austricksen wollte. Das klingt einigermaßen plausibel. Es befremdet allerdings doch sehr, wenn ausgerechnet ein Staatsunternehmen auf diese Weise sein Handeln erklären will. Außerdem ist damit noch keineswegs ausgeschlossen, dass ein Teil des Strompreises, der sich auf dem Weg zu der Briefkastenfirma in der Karibik verdoppelt hat, in ganz andere Kanäle geflossen sein könnte.

Theoretisch könnte Moldawien ohne Stromimporte auskommen

Sowohl die Ukraine als auch Moldawien sind ehemalige Sowjetrepubliken, die sich nicht mehr vom Kreml vereinnahmen lassen wollen. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Probleme fällt es ihnen aber schwer, sich gegen die offene oder verdeckte Aggression durch Russland wirksam zu verteidigen. Die "Republik Moldau" hat ungefähr die Größe von Baden-Württemberg und gilt als das ärmste Land Europas. Sie grenzt im Westen an Rumänien und ist im übrigen von der Ukraine umgeben. Von dem großen Nachbarland trennt sie jedoch ein rund 200 Kilometer langer Gebietsstreifen, der als "Transnistrien" bezeichnet wird und in dem prorussische Separatisten mit militärischer und politischer Unterstützung des Kreml ein eigenes Herrschaftsgebiet errichtet haben.

Stromwirtschaftlich sind Moldawien und die Ukraine seit langem verbunden. Durch das Ende der Sowjetunion wurden daraus aber außenwirtschaftliche Lieferbeziehungen. Theoretisch könnte Gesamt-Moldawien seinen Eigenbedarf von jährlich 4,4 Terawattstunden mit einer Erzeugungskapazität von rund 5 Terawattstunden selber abdecken. Allerdings befindet sich das einzige große Wärmekraftwerk, das mit Gas, Öl und Kohle mehr als vier Fünftel der Erzeugungsleistung erbringt, im russisch protegierten Landesteil und ist damit energiepolitisch ein Unsicherheitsfaktor. Zusätzlich zur bereits vorhandenen Verbindung mit der Ukraine wird deshalb derzeit mit finanzieller Unterstützung der EU eine 400-Kilovolt-Verknüpfung mit dem rumänischen Übertragungsnetz gebaut.

 

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