Februar 2022 |
220209 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) ist mit Abstand der größte Anbieter von Sekundär- und Minutenregelreserve, gefolgt von RWE, Vattenfall und Uniper. Diese Rangfolge, die viele überraschen dürfte, ergibt sich aus dem dritten Marktmachtbericht, den das Bundeskartellamt am 17. Februar veröffentlichte (PDF). Die Behörde brachte damit etwas mehr Licht in diesen Teil des Strommarktes, in dem derzeit insgesamt 52 Unternehmen tätig sind (siehe Liste). Die meisten davon haben sich als Anbieter von Minutenreserve (45) oder Sekundärreserve (37) präqualifiziert, die im Anschluss an die Primärregelung (30 Anbieter) das Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot wieder herstellen. Aus den veröffentlichten Marktdaten ließ sich bisher jedoch nicht erkennen, in welchem Umfang die namentlich bekannten Anbieter tatsächlich zur Deckung des Bedarfs an Regelenergie beitragen.
Zu den 30 Anbietern von Primärreserve bzw. FCR (Frequency Containment Reserve) – von denen mehr als die Hälfte auch Sekundär- und Minutenreserve anbieten – enthält der Bericht keine näheren Angaben. Das liegt wohl daran, dass die Primärregelung nicht mengenmäßig erfasst wird, sondern in beiden Richtungen des vereinbarten Leistungsbandes von dafür geeigneten Kraftwerken oder Batteriespeichern pauschal erbracht und abgerechnet wird. Anders sieht es bei der Sekundär- und Minutenreserve aus, welche die Primärregelung entlasten und das Gleichgewicht zwischen Last und Erzeugung wieder herstellen. Hier gibt es jeweils gesonderte Vergütungen für die bloße Vorhaltung von Regelleistung und deren tatsächlichen Abruf auf der Merit-Order-Liste, wobei der Arbeitspreis pro Megawattstunde neuerdings wieder bis zu 99.999,99 Euro pro Megawattstunde betragen darf (mehr dazu weiter unten).
Von den insgesamt 82 Anbietern von Sekundär- und Minutenreserve sind 21
in beiden Bereichen tätig. Der Unterschied besteht hauptsächlich in der
zeitlichen Abfolge und Art des Abrufs: Die Sekundärreserve wird binnen
fünf Minuten zur Entlastung der Primärregelung automatisch angefordert,
weshalb sie im Fachjargon als aFFR (automatic
Frequency Restoration Reserve)
bezeichnet wird. Die Minutenreserve, die binnen 15 Minuten die
Sekundärregelung ablöst, kam dagegen früher manuell zum Einsatz. Diese
Tertiärregelung wird deshalb bis heute noch als mFFR
bzw. manual Frequency Restoration
Reserve bezeichnet, obwohl sie zumindest in Deutschland
schon vor etlichen Jahren ebenfalls automatisiert wurde. Im Unterschied
zur Sekundärreserve wird sie praktisch nur als positive Regelleistung
benötigt. In der folgenden Tabelle, welche die Angaben des
Bundeskartellamts zu den jeweiligen "Vorhaltungsanteilen" der fünf größten
Anbieter zusammenfasst, wird sie deshalb auch nur in dieser Form erwähnt:
Unternehmen | Vorhaltungsanteil positive aFRR |
Vorhaltungsanteil negative aFRR |
Vorhaltungsanteil positive mFRR |
EnBW | 35-40 % | 20-25 % | 20-25 % |
Vorarlberger Illwerke | 20-25 % | 10-15 % | 15-20 % |
RWE | 15-20 % | 10-15 % | 10-15 % |
Vattenfall | 10-15 % | 10-15 % | 10-15 % |
Uniper | 0-5 % | 0-5 % | 5-10 % |
Rest | 5-10 % | 30-35 % | 25-30 % |
hiervon nicht im Datensatz enthalten | 5-10 % | 15-20 % | 10-15 % |
Der besonders hohe "Vorhaltungsanteil" der EnBW ist darauf zurückzuführen, dass der südwestdeutsche Energiekonzern über ein erhebliches Potential an Pumpspeicherkraftwerken verfügt, denn diese erzeugen noch immer den größten Teil jener Regelenergie, die im Anschluss an die Primärregelung das Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot wieder herstellt. Diese Dominanz wird noch verstärkt durch die österreichischen Illwerke, die der Bericht des Bundeskartellamts separat aufführt, obwohl sie in der Liste der präqualifizierten Anbieter gar nicht enthalten sind. Letzteres ist wohl damit zu erklären, dass die Illwerke der EnBW auch die Betriebsführung für jenen Teil des Stroms überlassen haben, den sie ihr schon seit über zwanzig Jahren aus der Kette von Speicherkraftwerken an der Ill liefern. RWE und Vattenfall, die dann mit Abstand folgen, verfügen ebenfalls über große Pumpspeicherkapazitäten.
"Eine marktbeherrschende Stellung von EnBW im Bereich der Regelreserven, insbesondere im Bereich der (positiven) Sekundärregelung, erscheint nach diesen Ergebnissen denkbar und ist noch genauer zu prüfen", heisst es im Bericht der Behörde. "Auf Grund der teilweise sehr hohen Konzentration im Bereich der Regelreserven wird das Bundeskartellamt das Preissetzungsverhalten der großen Anbieter hier genau beobachten."
Ferner stellt der Bericht fest, dass in Deutschland die präqualifizierte Leistung den Bedarf an ausgeschriebener Regelleistung aller Arten "erheblich übersteigt". An einem Mangel kann es also nicht liegen, wenn bei den täglichen Auktionen für Sekundär- und Minutenreserve dennoch Arbeitspreise bis zur technischen möglichen Höchstgrenze von 99.999,99 Euro pro Megawattstunde in die Angebotsliste eingestellt und nur zu oft auch tatsächlich abgerufen werden. Das entspricht einem Preis von 99,99 Euro pro Kilowattstunde, der fast dreitausendmal höher ist als der durchschnittliche Großhandelspreis am Spotmarkt.
Nachdem das Bundeskartellamt vor einem Jahr ankündigte, im nächsten Marktmachtbericht erstmals auch die Marktverhältnisse bei Regelenergie zu beleuchten, hätte man eigentlich gerade zu diesem Punkt ein paar erhellende Ausführungen erwarten dürfen. Der sogenannte Regelarbeitsmarkt war damals soeben neu eingeführt worden und sollte die bisherigen Mißstände bei der Preisbildung für Regelenergie beseitigen (180503, 200311). Dies erwies sich aber als Fehlschlag, worauf die Bundesnetzagentur im Dezember 2020 die Notbremse zog und die technische Obergrenze für die Preise am Regelarbeitsmarkt, die zu absurden "Mondpreisen" von bis zu 99.999,99 Euro pro Megawattstunde führte, zur Verhinderung weiterer Schäden auf ein Zehntel kürzte (201203). Auch nach Auffassung des Bundeskartellamts ließen damals die vorliegenden Daten "eine vergleichsweise geringe Liquidität des Marktes und potentiell erhebliche Preissetzungsspielräume einzelner Akteure" erkennen. Da die Einführung des Regelarbeitsmarkts erst zum Ende des Berichtszeitraums für den zweiten Marktmachtbericht erfolgte, sei indessen im eine umfassende Analyse der Machtverhältnisse in diesem Bereich noch nicht möglich gewesen (201206).
Leider legt die Behörde auch jetzt keine umfassende Analyse vor, sondern
beschränkt sich darauf, die mengenmäßig größten Anbieter von Regelenergie
festzustellen. Die mit diesen Mengen erzielten Preise bleiben außer
Betracht, obwohl gerade in diesem Bereich infolge der absurd überhöhten
technischen Obergrenzen bei den Auktionen ein krasser Mißbrauch von
Marktmacht und totales Wettbewerbsversagen stattfindet. Für wirksame
Abhilfe würde unter diesen Umständen nur eine dauerhafte Absenkung der
Höchstgrenze sorgen, und zwar nicht nur um das Zehnfache: Auch mit den
maximal 1000 Euro, die bei einem Konsultationsverfahren der
Bundesnetzagentur von betroffenen Marktteilnehmern für angemessen gehalten
wurden, wären die Anbieter von Regelenergie noch mmer gut bedient.
Andernfalls ermöglicht der vollelektronisch ablaufende Mechanismus des
Auktionsverfahrens weiterhin eine gigantische Abzocke. Es sind auch nicht
unbedingt die großen Anbieter von Regelenergie, die hier im Schutz der
Anonymität bis zu 100.000 Euro pro Megawattstunde verlangen können und nur
zu oft den Zuschlag erhalten. Gerade für kleine Anbieter ist es wie ein
Lottogewinn, wenn ein solches Angebot auf der Merit-Order-Liste
tatsächlich abgerufen wird. Wie verkorkst dieser Wettbewerbs-Mechanismus
ist, wurde jetzt wieder besonders deutlich, nachdem der Bundesgerichtshof
der Klage eines Anbieters stattgab und die von der Bundesnetzagentur
verfügte Absenkung der technischen Höchstgrenze auf ein Zehntel
annullierte (220101).