April 2022

220404

ENERGIE-CHRONIK


Deutschland könnte noch in diesem Jahr ohne russisches Erdgas auskommen

"Wenn Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert." Zu dieser Feststellung gelangt eine Untersuchung, die das DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung am 8. April publizierte (siehe PDF). Die vier Autoren Franziska Holz, Robin Sogalla, Christian von Hirschhausen und Claudia Kemfert widersprechen damit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der Ende März die Ansicht vertreten hat, dass Deutschland frühestens bis Mitte 2024 "weitgehend unabhängig" von russischem Gas werden könne – und auch das setze dann einen über zwei Jahre dauernden "gemeinsamen Kraftakt" von Bund, Ländern, Kommunen, Unternehmen und privaten Verbrauchern voraus.

Schon mit der vorhandenen Infrastruktur lässt sich vieles kompensieren

Die Autoren gelangen dagegen zu dem Fazit, dass der Wegfall russischer Erdgasimporte schon im Laufe dieses Jahres mit der vorhandenen Infrastruktur kompensiert und die Energieversorgung im kommenden Winter gesichert werden könne, sofern bestimmte Anpassungen erfolgen. Bedingung sei vor allem, dass die Erdgasimporte Deutschlands aus anderen Lieferländern deutlich ausgeweitet werden. Dazu gehört die verstärkte Nutzung der bereits vorhandenen LNG-Terminals in Nordwesteuropa, die über das europäische Pipelinenetz mit dem deutschen Markt verbunden sind. Der Bau zusätzlicher Flüssiggas-Terminals an der deutschen Küste sei jedoch nicht sinnvoll, weil aufgrund der langen Bauzeiten und des mittelfristig stark rückläufigen Erdgasbedarfs erhebliche Verlustgefahren bestehen ("stranded investments").

Erhebliche Verringerung des Erdgasverbrauchs bleibt Voraussetzung

Weiterhin sei es notwendig, die vorhandenen Speicher rechtzeitig vor Beginn der Heizperiode im Winter 2022/23 auf 80 bis 90 Prozent aufzufüllen. Zur weiteren Entspannung der Versorgungslage würde eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Erdgaspipelinesystems beitragen. So könnte beispielsweise Erdgas von nordafrikanischen Anbietern, die per Pipeline nach Italien liefern (Algerien, Libyen), auch nach Deutschland verkauft werden. Obwohl das zusätzliche Angebot insgesamt nicht ausreiche, um die gesamten bisherigen russischen Erdgasimporte zu ersetzen, könne so in Kombination mit einem rückläufigen Erdgasverbrauch die deutsche Energieversorgung gesichert werden. Unter optimistischen Annahmen seien Einsparungen von Erdgas in Höhe von 18 bis 26 Prozent der Nachfrage möglich.

Stromversorgung auch ohne russische Energielieferungen und trotz Atomausstiegs sicher

Am 20. April veröffentlichte das DIW eine weitere Kurzstudie, derzufolge auch die deutsche Stromversorgung kurz- und mittelfristig ohne russische Erdgas- und Kohlelieferungen auskommen kann (PDF). Bedingung hierfür sei der im "Osterpaket" (220409) vorgesehene beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien sowie eine befristete Intensivierung von Stein- und Braunkohleverstromung. Die deutschen Kohleimporte aus Russland könnten relativ einfach durch den Bezug von internationalen Kohlemärkten ersetzt werden. Auch bei einem starken Rückgang der Erdgasverstromung und trotz der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke zum Ende dieses Jahres stünden im Jahr 2023 noch ausreichend Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung. Der geplante schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien werde die Erdgas- und Kohleverstromung zurückdrängen. Der im Koalitionsvertrag angestrebte Kohleausstieg bis 2030 bleibe deshalb erreichbar.

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