Februar 2023

230202

ENERGIE-CHRONIK


VDE will Anschluss von "Balkonkraftwerken" erleichtern

Die Verbraucher sollen künftig kleine Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung bis zu 800 Watt mit ihrem häuslichen Stromnetz verbinden dürfen, ohne dass dafür ein besonderer Anschluss gelegt werden muss oder die Hinzuziehung eines Elektrohandwerkers erforderlich wird. Dies sieht ein neues Positionspapier vor, das der "VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik" vorgelegt hat. Der für elektrotechnische Normen zuständige Fachverband revidiert damit seine bisherige Haltung. Die vorerst noch geltenden VDE-Vorschriften verlangen nämlich den Einbau besonderer Zähler und spezieller Steckverbindungen für den Anschluss solcher "Balkonkraftwerke" an das häusliche Stromnetz. Allerdings werden sie in der Praxis weitgehend ignoriert, weil ihnen die rechtliche Verbindlichkeit fehlt und die Mini-Solaranlagen faktisch gar kein Sicherheitsrisiko darstellen. Insofern bleibt dem VDE keine andere Wahl, als sich von seinen nicht durchsetzbaren Anforderungen zu verabschieden (siehe Hintergrund).

Vorhandene Zähler sollen rückwärts laufen dürfen

Mit den vorgesehenen Änderungen will der Verband den Anschluss solcher Anlagen nun sogar zusätzlich erleichtern. Einerseits soll die Bagatellgrenze für die Einspeisung von bisher 600 auf 800 Watt erhöht werden. Ferner sollen vorhandene Zähler im Rahmen dieser Bagatellgrenze auch rückwärts laufen dürfen, bis sie von den Messstellenbetreibern durch die digitalen "Smart Meter" ersetzt werden, deren Einführung ohnehin geplant ist (230106). Anstelle der bisher doppelt erforderlichen Anmeldung der Anlagen bei der Bundesnetzagentur und beim jeweils zuständigen Verteilnetzbetreiber soll die einfache Anmeldung bei der Behörde genügen. Und schließlich – man merkt schon an der Formulierung, wie schwer ihm das fällt – will der VDE auch "den Schuko-Stecker für die Einspeisung bis zu einer Systemgesamtleistungsgrenze von 800 W dulden".

Bis Ende 2021 wurden bis zu 190.000 Steckersolargeräte verkauft

Laut einer Marktstudie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (htw), die mit Unterstützung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zustande kam, wurden bis Ende 2021 zwischen 140.000 und 190.000 Steckersolargeräte in Deutschland an Endkunden verkauft. Dies entspreche einer Leistung von 59 bis 66 Megawatt. Dabei habe sich die Anzahl der verkauften Geräte 2021 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Der Gesamtumsatz lasse sich nur schwer abschätzen, dürfte jedoch 2021 bei mehr als 30 Millionen Euro gelegen haben (HTML).

Drei Viertel aller Mini-Solaranlagen werden per Schuko-Stecker angeschlossen

Parallel zu dem seit Jahren sich hinziehenden Streit über die Anschlussbedingungen für solche Mini-Solaranlagen hat sich also ein recht dynamischer Markt entwickelt. Und zwar entgegen den VDE-Bestimmungen, wie sie im Mai 2018 mit der Vornorm DIN VDE V 0100-551-1 veröffentlicht wurden. Vor allem hat sich der Schuko-Stecker als Standard-Steckverbindung durchgesetzt. Der Marktstudie zufolge werden gut drei Viertel aller Mini-Solaranlagen durch einfaches Einstöpseln in eine normale Steckdose mit dem häuslichen Stromnetz verbunden. Gemäß den VDE-Vorschriften müsste dagegen eine spezielle Steckverbindung ohne blank liegende Kontakte installiert werden, die nach der Hersteller-Firma als "Wieland-Stecker" bezeichnet wird.

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Hintergrund

Wie verbindlich sind VDE-Vorschriften?

(siehe oben)

 

Neulich ging der Geschirrspüler nicht mehr. Der nach zwei Tagen angereiste Kundendienst-Techniker fand nach einiger Zeit heraus, dass vermutlich das am Wasserhahn angeschraubte Zulauf-Ventil verkalkt sei und die Maschine wegen des dadurch verringerten Wasserdrucks automatisch abschalte. An das Zulauf-Ventil dürfe er aber nicht ran, weil es sich um kein Original-Bauteil seiner Firma handele. Das müsse man schon selber reparieren oder von jemand anderem erledigen lassen. Man bekomme das Ventil in jedem Baumarkt.

Soweit eine der üblichen Szenen aus der "Service-Wüste Deutschland". Bevor der Kundendienst-Techniker für seine nutzlose Bemühung eine dreistellige Summe in Rechnung stellte, holte er aber noch ein spezielles Meßgerät hervor, um an verschiedenen Punkten des Geschirrspülers dessen ordnungsgemäße Erdung zu überprüfen. Das sei nach den VDE-Vorschriften erforderlich, erklärte er. Die Prozedur dauerte ungefähr zwei Minuten. Sie ergab erwartungsgemäß keine Beanstandungen, erhöhte aber die Kundendienst-Rechnung nochmals um dreißig Euro.

Durch solche und ähnliche Vorkommnisse sind die VDE-Vorschriften in den Verruf geraten, mitunter übertriebene Anforderungen an die Sicherheit elektrischer Geräte oder Installationen zu stellen. Damit einher geht der Verdacht, dass sie in ungebührlicher Weise die Sonderinteressen von Branchen berücksichtigen, die in den Normungsgremien vertreten sind, also beispielsweise des Elektrohandwerks, der Netzbetreiber, der Gerätehersteller oder der Versicherungswirtschaft.

Im vorliegenden Fall verhielt es sich so, dass die Erdungs-Überprüfung zwar nach den VDE-Empfehlungen erfolgte, aber eine rein freiwillige Leistung war. Der Kundendienst-Techniker hätte dies auch klar formulieren und ein ausdrückliches Einverständnis einholen müssen. Stattdessen schröpfte er den Kunden durch eine absolut überflüssige Dienstleistung noch mehr, als dies durch die Verweigerung einer absolut dringenden und auch zumutbaren Dienstleistung schon der Fall war. Der VDE konnte dafür allerdings nicht verantwortlich gemacht werden.

Etwas anders sieht es bei dem jahrelangen Streit um die Mini-Solaranlagen aus, die über einen Steckkontakt mit dem häuslichen Stromnetz hinter dem Zähler verbunden werden und so in bescheidenem Umfang zur Minderung der Stromrechnung beitragen können. Hier bestand der VDE bisher auf überhöhten Anforderungen, die zwar mit der technischen Sicherheit begründet wurden, aber wohl eher den Interessen des Elektrohandwerks, der Netzbetreiber oder anderer Interessengruppen dienten. Vor allem hielt er die Installation neuer Zähler und einer besonderen Steckverbindung zwischen dem Ausgang des Wechselrichters und dem häuslichen Stromnetz für erforderlich. Daraus ergaben sich dann Kosten, die diese Art von bescheidener Eigenstromerzeugung von vornherein unwirtschaftlich machten.

Mit dem Positionspapier, das er im Januar veröffentlichte, hat der Verband nun eine deutliche Wende vollzogen. Bis zur Verwirklichung der Vorschläge wird es indessen noch einige Zeit dauern. Aktuell findet man deshalb auf der Internetseite des Verbands noch immer eine düstere Schilderung der Folgen, die durch das Rückwärtslaufen des Zählers entstehen könnten:

"Wird durch eine Erzeugungsanlage im Privathaushalt Strom ins öffentliche Netz eingespeist, dreht sich ein 'normaler' Zähler rückwärts. Dabei verhält es sich ähnlich wie bei der Manipulation von Kilometerzählern im Fahrzeug: Erbrachte Leistung wird unterschlagen. Wie beim Autoverkauf kann dies zu einer Strafanzeige wegen Betrugs führen. Diese Anzeige würde im Falle der steckerfertigen PV-Anlagen durch den Messstellenbetreiber erfolgen. Zudem stellt ein Rückwärtslaufen des Zählers einen Verstoß gegen das Steuerrecht dar und fällt unter Steuerhinterziehung bzw. Steuerverkürzung."

In anderen Ländern kann man über ein solches Horrorgemälde von der doppelten Strafbarkeit eines rückwärts laufenden Stromzählers nur staunen: Zum Beispiel ist es in Kalifornien durchaus üblich, genau auf diese Weise einen Ausgleich zwischen der Eigenerzeugung von netzgekoppelten PV-Anlagen und dem Strombezug aus dem Netz herbeizuführen. Die aus dem Netz bezogene Leistung wird nämlich durch das Rückwärtslaufen des Zählers keineswegs "unterschlagen", sondern mit jener Strommenge verrechnet, die der Kunde als "Prosumer" aus seiner eigenen Anlage ins Netz einspeist. Man kann sich deshalb auf diese Weise viel Abrechnungskram ersparen. Zumindest gilt das für jene vertikal gegliederten US-Versorger, bei denen Erzeugung, Netz und Vertrieb nicht geschäftlich getrennt sind.

Innerhalb der EU bemüht sich das "Europäische Komitee für elektrotechnische Normung" (CENELEC) schon seit 1973 um eine Angleichung und Vereinheitlichung der nationalen Vorschriften. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Ansichten zu den Anforderungen an Steckersolargeräte. Zum Beispiel bot schon vor zehn Jahren die Firma "Sun Invention" ein 195-Watt-Solarmodul inklusive Wechselrichter zum Einstöpseln in die Steckdose an, das zwar den Sicherheitsvorschriften im damaligen EU-Land Großbritannien genügt haben mag, aber vom VDE als Verletzung der Sicherheitsnorm DIN VDE 0100-551 entschieden abgelehnt wurde. Wer dies nicht beachte, riskiere Brände durch Überlastung des Stromkreislaufs und unkalkulierbare Haftungsverpflichtungen, warnte der Verband in einer Verlautbarung (130501).

Mit der im Mai 2018 veröffentlichten Vornorm DIN VDE V 0100-551-1 präzisierte der VDE dann die Voraussetzungen, die nach seiner Ansicht unerläßlich sind, um PV-Anlagen auch in einen der drei einphasigen Endstromkreise der häuslichen Elektroinstallation einbinden zu können. Demnach darf der Anschluss ausschließlich über einen speziellen Stecker oder eine feste Installation erfolgen. Ferner sind die üblichen Ferraris-Zähler – selbst wenn sie über eine Rücklaufsperre verfügen sollten – gegen einen Zweirichtungszähler auszutauschen. Alle diese Arbeiten sind unbedingt von einer "Elektrofachkraft" bzw. dem Messstellenbetreiber auszuführen, weshalb der Aufwand den bescheidenen Ertrag eigentlich gar nicht lohnt.

Freilich sind die VDE-Vorschriften oder andere Normen zunächst nichts weiter als Empfehlungen von privatrechtlich verfassten Organisationen. Wer sie nicht einhält, tut das auf eigene Gefahr, riskiert aber kein Bußgeld, wie das beim Verstoß gegen Gesetze oder Verordnungen der Fall wäre. Ihre rechtliche Relevanz ergibt sich erst indirekt aus Gesetzen, Verordnungen oder Gerichtsurteilen, die diese Normen als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" heranziehen.

Zum Beispiel sind Energieanlagen nach § 49 des Energiewirtschaftsgesetzes so zu errichten und zu betreiben, dass "die technische Sicherheit gewährleistet" ist und "die allgemein anerkannten Regeln der Technik" beachtet werden. Die Einhaltung dieser allgemein anerkannten Regeln wird jedoch"vermutet" – so heißt es dann im folgenden Absatz - , "wenn bei Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Elektrizität die technischen Regeln des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. eingehalten worden sind". Falls eine Stromleitung nicht nach VDE-Vorschriften verlegt wurde, könnte das deshalb zivilrechtliche Schadenersatzansprüche begründen oder sogar strafrechtliche Folgen haben.

Andererseits - und das ist beruhigend – darf die Rechtsprechung derartige Normen nicht automatisch als allgemein anerkannte Regeln der Technik akzeptieren. Schon im Juni 1991 stellte der Bundesgerichtshof in einem höchstinstanzlichen Urteil fest, dass DIN-Normen keine Rechtsnormen sind, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. In den Leitsätzen eines weiteren Urteils vom Mai 1998 bekräftigte er: "DIN-Normen können die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben oder hinter diesen zurückbleiben." Damit gab er der Klage gegen ein Bauunternehmen statt, das bei der Errichtung von Eigentumswohnungen lediglich die bei Vertragsabschluss geltende und im Kaufvertrag ausdrücklich genannte DIN-Norm für den Schallschutz berücksichtigt hatte, aber nicht den tatsächlichen Stand der Technik berücksichtigte, der noch vor Abnahme der fertiggestellten Wohnungen zu einer Verschärfung dieser DIN-Norm geführt hatte. Der Norm an sich wird also keine Rechtskraft zuerkannt.

So erklärt es sich auch, dass bisher mehr als drei Viertel aller verkauften Mini-Solaranlagen nicht den VDE-Vorschriften entsprechen, ohne dass der Verband oder ein konkurrierender Hersteller dagegen geklagt haben. Es gibt eben keine Rechtsgrundlage dafür. Denn trotz der blank liegenden Kontakte der Schuko-Stecker, mit denen diese Anlagen in eine normale Steckdose eingestöpselt werden können, sind sie ebenso sicher wie die vom VDE vorgeschriebenen Spezial-Steckverbindungen der Firma Wieland. Auf den ersten Blick mag das zwar anders aussehen. An den Kontakten der Schuko-Stecker liegt aber keine Spannung an, solange sie nicht eingestöpselt sind. Und wenn sie aus der Dose herausgezogen werden, schaltet der Wechselrichter des Solarmoduls schneller ab als manche Haushaltsgeräte mit Elektromotor. Wer beispielsweise bei einem Staubsauger die Stromzufuhr durch Ziehen des Steckers unterbricht, könnte zumindest theoretisch elektrisiert werden, wenn er im selben Moment die Kontakte des Schukosteckers berührt. Das liegt daran, dass der mit kinetischer Energie leer laufende Motor für Sekundenbruchteile zum Generator wird. Bei der Mini-Solaranlage besteht diese Gefahr nicht.

Die Erarbeitung von Normen auf elektrotechnischem Gebiet oblag in Deutschland traditionell zwei privatrechtlich organisierten Einrichtungen: Die eine war der seit 1893 bestehende "Verband deutscher Elektrotechniker" (VDE), der noch in seinem Gründungsjahr eine "Kommission zur Festsetzung einheitlicher Kontaktgrößen und Schrauben für Schaltapparate" einberief. Bis dahin gab es nur werksinterne Normen. wie sie beispielsweise Siemens & Halske für seine Konstrukteure in einem dickleibigen Normenbuch zusammenfasste. Die andere Organisation war der 1917 entstandene Normenausschuss der deutschen Industrie (DNA), der ab 1975 als Deutsches Institut für Normung (DIN) firmierte und über seinen Fachnormenausschuss Elektrotechnik (FNE) auch dieses Gebiet beackerte. Der erste Anstoß zu Normungen in allen Bereichen der Industrie kam also aus den Zwängen der Kriegswirtschaft. Die spezielle Normarbeit des FNE auf elektrotechnischem Gebiet hat dabei die des VDE eher ergänzt als mit ihr konkurriert.

Beide Organisationen sahen sich in den sechziger Jahren politischen Bestrebungen ausgesetzt, das Gebiet der Normung strafferen gesetzlichen Regelungen zu unterwerfen. Das begünstigte ihre Verschmelzung zur "Deutschen Elektrotechnischen Kommission" (DEK), die ab 1971 ihre Arbeit aufnahm. Die Einzelheiten regelte ein umfangreicher Vertrag zwischen DNA und VDE. Die Abkürzung DEK musste 1973 aus namensrechtlichen Gründen durch DKE ersetzt werden. Die heutige Langfassung des Namens lautet "Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE".

Der neue Verband DKE vereinigte die elektrotechnische Normungsarbeit des bisherigen Fachnormenausschusses Elektrotechnik (FNE) im Deutschen Normenausschuss (DNA) mit der bisherigen Arbeit des VDE auf diesem Gebiet. Er ist zwar ein Geschäftsbereich des VDE, agiert aber unabhängig vom Verband und ist zugleich ein Normenausschuss des DNA, der seit 1975 DIN heißt. Sein wichtigstes Organ ist eine "Fördergemeinschaft", der mehrere hundert Unternehmen, Verbände, Behörden und Ministerien angehören. Diese wählt alle vier Jahre einen 30-köpfigen Lenkungsausschuss, der das Arbeitsprogramm festlegt und den Haushalt genehmigt. Das Vorschlagsrecht für die Mitglieder dieses Lenkungsausschusses liegt bei vor allem bei Branchenverbänden sowie den Vertretern von drei Bundesministerien.

Weitere Angaben zur Geschichte des VDE, seiner Gremienarbeit, seinen Geschäftsbereichen oder seiner Mitgliederstruktur sind dem Buch "Technik - Innovation - Sicherheit" zu entnehmen, das 2021 im VDE-Verlag erschien. Verfasser sind die vier Fachhistoriker Frank Dittmann, Günther Luxbacher, Norbert Gilson und Peter Döring, die anläßlich des 125-jährigen Verbandsjubiläums mit der Ausarbeitung beauftragt wurden. Trotz des etwas plakativ klingenden Titels handelt es sich um keine Jubelschrift, sondern um eine kenntnisreich-detaillierte Darstellung, die zum Beispiel auch die "Gleichschaltung" des VDE im Nationalsozialismus nicht ausblendet oder beschönigt.