Oktober 2023 |
231004 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die dänischen Stromexporte nach Deutschland
haben deutlich zugenommen, seitdem die EU-Kommission den Übertragungsnetzbetreiber
TenneT zur Freihaltung einer Import-Mindestkapazität von 1,3 GW
verpflichtete (181207). Die Kehrseite war allerdings,
dass dadurch auf deutscher Seite höhere Kosten für den Redispatch
von Windstrom entstanden. Die neue Westküstenleitung düfte
auch diesen Konflikt entschärfen. |
Mit einem Tag der offenen Tür im Umspannwerk Heide/West feierte der Übertragungsnetzbetreiber TenneT am 14. Oktober die offizielle Einweihung der "Westküstenleitung", die faktisch schon seit September in Betrieb ist. Zuvor stand die 137 Kilometer lange Drehstrom-Übertragung zehn Jahre lang auf der Liste der Vorhaben, für die nach dem Gesetz über den Bundesbedarfsplan "energiewirtschaftliche Notwendigkeit und vordringlicher Bedarf bestehen". Sie hat eine Spannung von 380 Kilovolt und verfügt über die beachtliche Kapazität von 7,7 Gigawatt.
Mit Ausnahme von zwei Ortschaften, wo die Verkabelung sinnvoller erschien, ist die Westküstenleitung durchgehend eine Freileitung. Sie verläuft entlang der Nordseeküste von der dänischen Grenze bis nach Brunsbüttel im Süden. Sie sammelt vor allem den Windstrom ein, der im Westen Schleswig-Holsteins erzeugt wird. Dabei nutzt sie weitgehend die Trassen von alten 110-Kilovolt-Leitungen, die der zunehmenden Stromeinspeisung nicht mehr gewachsen waren. Sie ersetzt diese 110-kV- Leitungen aber nicht einfach, sondern nimmt sie sozusagen huckepack auf speziellen Traversen an den neuen Masten mit. Abgebaut und verschrottet werden nur die alten Masten. Fünf Umspannwerke, die teilweise neu errichtet wurden, verknüpfen die Hochspannungsleitung mit dem regionalen Verteilnetz und dem bundesweiten Übertragungsnetz.
Auch für Dänemark ist die Westküstenleitung von großer Bedeutung. Der dänische Übertragungsnetzbetreiber Energinet will sie auf seiner Seite bis Ende 2024 zu einer zusätzlichen leistungsfähigen Verbindung mit dem deutschen Stromnetz ausbauen. Dieses Vorhaben wird von der EU als "Project of Common Interest" (PCI) unterstützt. Trotz der sicher weiter zunehmenden Windstrom-Einspeisung könnten dadurch die Engpässe bei Stromexporten von Dänemark nach Deutschland verschwinden, die von der EU-Kommission bereits vor fünf Jahren beanstandet wurden (180302, 181207).
In der umgekehrten Richtung könnte diese Fortsetzung der Westküstenleitung von Klixbüll/Süd bis zum Umspannwerk Endrup bei Esbjerg für Dänemark nützlich sein, um durch Importe aus Deutschland einen plötzlich auftretenden Strommangel zu beheben. Der staatliche Netzbetreiber Energinet befürchtet einen solchen Notfall vor allem durch die bevorstehende Fertigstellung des neuen HGÜ-Seekabels "Viking Link", das Dänemark mit 1,4 Gigawatt Strom aus Großbritannien versorgen soll. Wenn dieses 765 Kilometer lange Gleichstrom-Kabel aus irgendeinem Grunde ausfallen sollte, könnte die Deckung des Defizits ohne leistungsfähige Drehstrom-Verbindungen mit Deutschland problematisch werden.
Man muss dazu wissen, dass das Nachbarland stromtechnisch zweigeteilt ist: Der größere Teil mit der Halbinsel Jütland und der Insel Fünen gehört zum kontinentaleuropäischen Verbundsystem. Er bildet in diesem System aber eine Art Sackgasse, aus der nur kleinere Schlupflöcher hinausführen: Das sind drei HGÜ-Seekabel zum skandinavischen Verbundsystem, zu dem auch der kleinere östliche Landesteil mit der Hauptstadt Kopenhagen gehört.
Das westliche Dänemark ist also technisch nicht Teil des skandinavischen Systems, sondern über die nach Deutschland führenden Leitungen mit dem kontinentaleuropäischen Drehstrom-Netz synchronisiert. Diese Randlage hat immerhin den Vorteil, dass beim Stromhandel keine vagabundierenden Ströme auftreten können, die ihren Weg über andere Länder nehmen, wodurch sich teilweise krasse Differenzen zwischen grenzüberschreitenden physikalischen Stromflüssen und dem kommerziell vereinbarten Stromaustausch ergeben (siehe Hintergrund, Juli 2023). Die in der Grafik oben angegebenen Zahlen für den physikalischen Stromaustausch sind deshalb zugleich repräsentativ für den Stromhandel zwischen Deutschland und Dänemark.