Juli 2024 |
240703 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Trotz der stundenlangen Störung im IT-System der Börse wäre die rote Kurve des Großhandelspreises auch am 26. Juni völlig unauffällig verlaufen, wenn die EPEX Spot nicht die teilweise Entkopplung des Single Day-Ahead Coupling (SDAC) beschlossen hätte. Der Strompreiszone Deutschland/Luxemburg wurde damit schlagartig die Möglichkeit genommen, die vergleichsweise geringen Strommengen, die am frühen Morgen und am späten Abend zur Abdeckung der Last fehlten, in der üblichen Weise durch billige Importe auszugleichen. Als Folge dieser künstlich herbeigeführten Mangelsituation schoss der Preis zweimal raketenartig nach oben, um dann genauso tief wieder abzustürzen. Zwischendurch war der Strompreis sogar zwei Stunden lang negativ.
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Die Explosion der Großhandels-Strompreise am Spotmarkt für die Handelszone Deutschland/Luxemburg, die am 25. Juli im Zusammenhang mit einer stundenlang andauernden Störung im IT-System der Börse bis auf das 34-fache des üblichen Niveaus stiegen, scheint einige Industriekunden empfindlich getroffen zu haben. Laut "Handelsblatt" (12.7.) handelt es sich um große Abnehmer wie Chemiekonzerne und Stahlhersteller, die einen nicht unerheblichen Teil ihres Strombedarfs oft erst kurzfristig zu aktuellen Preisen decken und deshalb dem exorbitanten Preisanstieg nicht ausweichen konnten. Nach Schätzungen von Marktteilnehmern belaufe sich die Schadenssumme auf fast 350 Millionen Euro. Betroffene Firmen würden bereits eine Klage gegen die EEX-Tochter EPEX Spot in Paris vorbereiten, die den Spotmarkt betreibt.
"Grundsätzlich tragen Marktteilnehmer zwar die üblichen Risiken, die mit der Strombeschaffung auf dem Spotmarkt verbunden sind", zitierte das Blatt die Anwältin Jana Michaelis, die bei der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Rosin Büdenbender tätig ist. Technische Probleme, die ihre Ursache bei der Börse haben, zählten jedoch nicht zu diesen Risiken.
Die in Leipzig ansässige EEX und ihre in Paris angesiedelte Spotmarkt-Tochter sehen das offenbar anders, wie aus ihren bisherigen Verlautbarungen hervorgeht. Dazu passt, dass die EPEX Spot auf Nachfrage des "Handelsblatts" keine Auskunft geben wollte, ob bereits Schadenersatzklagen vorliegen.
Inzwischen verdichtet sich der Eindruck, dass die Strompreis-Explosion zwar im Zuge der Bemühungen um eine Behebung der Störung zustande kam, sonst aber kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Vielmehr ergab sie sich aus der Entscheidung der Börsenleitung, die Marktkopplung teilweise aufzuheben, weil die Störung des IT-Systems nicht innerhalb des Zeitrahmens behoben werden konnte, den das Single Day-Ahead Coupling (SDAC) vorsieht. Erst dadurch kam es im Gebiet Deutschland/Luxemburg und den anderen separierten Zonen zu den völlig unterschiedlichen und teilweise bizarr anmutenden Großhandelspreisen, die vom IT-System aufgrund der vorliegenden Handelsdaten durchaus korrekt berechnet wurden.
Die EPEX Spot hat bisher nicht eingeräumt, dass diese Entscheidung ein Fehler war. Vermutlich hat das vor allem juristische Gründe. Stattdessen sprach ihr geschäftsführender Direktor Ralph Danielski in einer am 9. Juli verbreiteten Mitteilung an die "sehr geehrte Handelsgemeinschaft" von einer technischen Störung, die zur Entkopplung des SDAC geführt habe. Diese Formulierung war nicht unbedingt falsch. Sie erweckte aber insofern einen irreführenden Eindruck, als damit ein geradliniger kausaler Zusammenhang auf technischer Ebene suggeriert wurde, den es so nicht gegeben hat. Denn es war kein digitaler Algorithmus, der die Entkopplung des SDAC verfügte, sondern die Geschäftsführung der EPEX Spot. Und ob diese Entscheidung zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des gesamten IT-Systems erforderlich war, dürfte zumindest sehr fraglich sein. Vermutlich hatte sie mit der technischen Problematik gar nichts zu tun, sondern entsprang anderen Überlegungen.
Anstatt diesen kritischen Punkt näher zu beleuchten, verharmloste Danielski wie schon im Juni das Ausmaß des Schadens, den die von ihm zu verantwortende Weichenstellung zur Folge hatte:
"Ich weise auf nichts Neues hin, wenn ich sage: Die Marktergebnisse nach der teilweisen Entkopplung entsprachen zwar den Regeln und Verfahren, wichen aber erheblich von einem üblichen Handelstag auf gekoppelten Strommärkten ab. Ich verstehe, dass Ihr Vertrauen in die Märkte erschüttert worden sein mag, und obwohl ich die Situation bedauere, können Sie sicher sein, dass man Ihnen zuhört und in naher Zukunft konkrete Verbesserungen vorgenommen werden."
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Mit Ausnahme Großbritanniens, der Schweiz und einiger Balkanländer umfasst die Marktkopplung SDAC die Strom-Spotmärke aller westeuropäischen Staaten. |
Wie die EPEX Spot am 9. Juli mitteilte, begann die stundenlang andauernde technische Störung am 25. Juni kurz nach zehn Uhr mit einem mißglückten Upgrade der Software, die den grenzüberschreitende Stromhandel mit den verfügbaren Kapazitäten abstimmt und so die "Marktkopplung" innerhalb des Single Day-Ahead Coupling (SDAC) ermöglicht. Das problematische Upgrade sei daraufhin deaktiviert worden, um eine weitere Nichtverfügbarkeit des EPEX-Auktionshandelssystems ETS zu verhindern. Daraufhin sei aber ein "Konnektivitätsproblem" aufgetreten, das den Zugang der Marktteilnehmer zum Handelssystem beeinträchtigte. Nach Beendigung der Auktion um 13.05 Uhr habe man deshalb, weil die Behebung der Störung zu lange dauerte, gemäß den geltenden Regularien die teilweise Entkopplung des Single Day-Ahead Coupling (SDAC) vorgenommen.
Bis dahin lag der Spotmarktpreis für Stromlieferungen am folgenden Tag in der Stromhandelszone Deutschland/Luxemburg bei etwa 75 Euro. Nun aber stieg er wie eine Rakete nach oben: Von 300 Euro um null Uhr bis auf 2.326 Euro um sechs Uhr morgens. Dann ging es genauso schnell wieder abwärts: Über 1.000 Euro um sieben Uhr und 98 Euro um neun Uhr bis auf 25 Euro um elf Uhr. Ab zwölf Uhr war der Preis wegen des reichlichen Angebots an Erneuerbaren-Strom sogar zwei Stunden lang negativ, wodurch die Abnehmer den Strom nicht nur geschenkt bekamen, sondern auch noch eine Zuzahlung von 6 bzw. 2 Cent pro Megawattstunde erhielten.
Abends, etwa ab 17 Uhr, kam es dann erneut zu einem blitzartigen Anstieg: Um 18 Uhr waren es bereits 400 Euro, um 19 Uhr 999 Euro und um 20 Uhr 1.796 Euro. Damit war der zweite Höhepunkt erreicht, von dem es in den folgenden vier Stunden wieder bis auf 87 Euro abwärts ging.
Die Ursache dieser beiden Preisspitzen, die den Spotmarktpreis in einer geradezu absurd anmutenden Weise um das 34-fache bzw. 24-fache über das normale Niveau hochtrieben, war offensichtlich die teilweise Entkopplung des Single Day-Ahead Coupling (SDAC). Denn mit dieser abrupten Auftrennung des SDAC gab es für die entkoppelten Strompreiszonen nur noch separate Auktionen. Dies bedeutete, dass für die Preisbildung am Spotmarkt nur noch solche Stromquellen zur Verfügung standen, die sich im jeweiligen Bereich kurzfristig aktivieren ließen. Auf diese plötzlich erzwungene Insulaner-Existenz war die Strompreiszone Deutschland/Luxemburg aber überhaupt nicht vorbereitet.
Normalerweise wäre der eher geringe zusätzliche Bedarf in diesen beiden Zeitfenstern mühelos mit Billigimporten aus Nachbarländern gedeckt worden. Da dies plötzlich nicht mehr möglich war und die Ersatzbeschaffung mit kurzfristig aktivierbaren Kapazitäten der eigenen Zone horrende Kosten verursachte, kam es zu den beiden Preisspitzen für Stromlieferungen am frühen Morgen und am späten Abend des 26. Juni. In den Stunden dazwischen stand mehr als genug Strom zur Verfügung, wie der zwei Stunden andauernde Negativpreis unterstreicht. Die um elf Uhr erreichte Lastspitze von 63.377 MW wurde zu 83 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien und nur zu 17 Prozent mit konventionellen Kraftwerken abgedeckt (siehe Grafik 1).
Vermutlich war es von vornherein nicht sinnvoll, in den Regularien der EPEX Spot eine Aufhebung der Marktkopplung vorzusehen, falls eine Störung nicht binnen eines bestimmten Zeitraums beseitigt werden kann. Wie die EEX bereits im Juni mitteilte, wurde die Störung noch am selben Tag behoben, worauf ab 22 Uhr wieder alle Auktionen "unter normalen Bedingungen erfolgreich abgeschlossen" werden konnten. Weshalb hat man es dann nicht einfach beim vorherigen Zustand belassen, der zwar mit "Konnektivitätsproblemen" verbunden gewesen sein mag, aber keine außer Rand und Band geratenen Preise produzierte? Müssen sich die Leidtragenden eines dreistelligen Millionenschadens tatsächlich damit abspeisen lassen, dass alles korrekt nach den geltenden Regeln abgelaufen sei? Muss nicht vielmehr transparenter dargelegt werden, wie solche Regeln zustande kommen und wo die Fußangeln bei ihrer Anwendung liegen? - Zumindest hätte sich doch jeder denken können, dass eine funktionierende Marktkopplung nicht ohne böse Folgen schlagartig gestoppt werden kann.