Mai 2025 |
250508 |
ENERGIE-CHRONIK |
Wie das schweizerische Kantonsgericht Zug am 9. Mai mitteilte, hat es an diesem Tag einen sogenannten Nachlassvertrag bestätigt, der am 30. April zwischen der Nord Stream 2 AG und deren fünf größten Gläubigern geschlossen wurde. Damit wurde am letzten Tag einer vom Kantonsgericht am 9. Januar gesetzten Frist der Konkurs des Unternehmens verhindert. Die Gazprom bleibt dadurch vorerst alleiniger Eigentümer, was es dem russischen Diktator Putin ermöglichen würde, die nie in Betrieb genommenen beiden Stränge der Pipeline, von denen einer durch den Sprengstoffanschlag vom 26. September 2022 schwer beschädigt wurde (220902), an neue Eigentümer zu verkaufen.
Bei den fünf Gläubigern handelt es sich um die Energiekonzerne Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall, die 2017 die Hälfte der Baukosten für die neue Pipeline durch die Ostsee übernahmen (170406), nachdem sie mit ihrer ursprünglichen Absicht, sich als Minderheitsgesellschafter der russischen Gazprom an dem Projekt zu beteiligen, am Widerstand der polnischen Kartellbehörde gescheitert waren (160804). Da die Baukosten auf knapp zehn Milliarden Euro veranschlagt wurden, hat sich jeder der fünf Konzerne die Unterstützung knapp eine Milliarde Euro kosten lassen.
In dem nun mit der Gazprom geschlossenen Nachlassvertrag haben die fünf Energiekonzerne diese Forderungen in einem nicht näher bekannten, aber sicher drastischen Umfang reduziert. Möglicherweise haben sie sogar ganz auf ihre Ansprüche verzichtet. Genaueres müsste eigentlich die Bundesregierung wissen, da sie seit 2022 Alleineigentümerin des Uniper-Konzerns ist (221211). Auf eine diesbezügliche Nachfrage des Grünen-Abgeordneten Michael Kellner bekam dieser aber lediglich eine nichtssagende Antwort: "Die Bundesregierung ist am Verfahren nicht beteiligt. Die Entscheidung zur Nachlassverwaltung obliegt den Gläubigern der Nord Stream 2 AG. Die Bundesregierung beobachtet das Verfahren." Den dürftigen Bescheid unterzeichnete die CDU-Politikerin Gittta Connemann, die sozusagen seine Nachfolgerin ist, da sie als Parlamentarische Staatssekretärin der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche genau dieselbe Funktion ausübt wie sie Kellner bis vor kurzem für den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte.
Die Kleingläubiger der Nord Stream 2 AG wurden dagegen inzwischen von der Gazprom voll entschädgt. Das war eine der Bedingungen, damit der Nachlassvertrag überhaupt zustande kommen konnte und vom Kantonsgericht bestätigt wurde. Andernfalls hätte inzwischen der Konkursverwalter die Regie übernommen. Dann hätten Interessenten hur noch die Möglichkeit gehabt, den Firmenmantel der Nord Stream 2 AG mitsamt den daraus resultierenden Rechtsansprüchen aus der Konkursmasse zu erwerben.
Bisher gibt es zumindest einen solchen Interessenten: Es handelt sich um den US-Unternehmer Stephen Lynch, der sowohl über Erfahrung im Russland-Geschäft als auch über gute Beziehungen zur Trump-Regierung verfügt. Er soll sogar schon bei der US-Regierung die erforderliche Ausnahmegenehmigung für den Kauf der Pipeline im Konkursfall beantragt haben. Eine solche Genehmigung wäre erforderlich, weil Nord Stream 2 bisher von den USA mit strengen Sanktionen belegt wurde.
Ein vom Konkursverwalter eingeräumter Schnäppchenpreis für die beiden Röhren hätte für Lynch oder andere Interessenten aber nur Schrottwert, wenn die Gazprom bzw. der Kreml-Herrscher nicht einverstanden ist oder das Vorhaben nicht genug unterstützt. Deshalb ist es für beide Seiten vorteilhafter, wenn die Gazprom vorerst Eigentümer bleibt und nicht der Konkursverwalter den Verkaufsvertrag unterzeichnet.
Weit weniger wichtig als die Unterstützung durch Putin und Trump dürfte aus amerikanischer Sicht die noch immer fehlende Genehmigung für Nord Stream 2 und der politische Widerstand gegen eine Inbetriebnahme sein. Bei der hinlänglich bekannten Geistesverfassung des US-Präsidenten ist es durchaus möglich, dass er und seine Entourage es für einen grandiosen Deal halten, wenn ein US-Importeur den europäischen Markt künftig mit russischem Gas versorgt. Trump könnte deshalb nach schon mehrfach erprobtem Muster Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um für die Inbetriebnahme die Zustimmung der Bundesregierung und der EU-Kommission zu erreichen. Falls ihm das dann doch nicht gelingt, könnte zumindest Putin zufrieden sein, die NATO wieder mal gründlich entzweit zu haben.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen forderte deshalb die Bundesregierung auf,"alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Inbetriebnahme der Nord-Stream-Pipelines ausdrücklich auszuschließen". Am 22. Mai diskutierte der Bundestag eine halbe Stunde über den Antrag. Dabei erklärte die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger:
"Und nun habe nicht nur ich ein ungutes Déjà-vu, wenn ich schaue, was passiert: wenn Wirtschaftsministerin Reiche auf Basis unseriöser Bedarfsanalysen den Bedarf von mindestens 20 Gigawatt neuer Gaskraftwerke formuliert, wenn prominente Mitglieder von SPD und Union zu Geheimtreffen mit Putins Vertrauten fahren und Thomas Bareiß aus der CDU Nord Stream 2 wiederbeleben will, wenn der russische Außenminister nach den ersten Gesprächen mit den USA verkündet, dass es bereits Verhandlungen genau dazu gebe, und wenn ein US-Unternehmer aus dem Umfeld von Donald Trump als Investor im Gespräch ist. Zugleich wirft die abgewendete Insolvenz der Nord Stream 2 AG mehr als nur eine seltsame und drängende Frage auf.
Meine Damen und Herren, nie wieder dürfen Kreml-Korruption, alte Moskau-Connections und fatale Abhängigkeiten von Putins Gas zurückkehren! Denn seine Aggression richtet sich nicht nur gegen die Ukraine. Ob Hackerangriffe, durchschnittene Internetkabel, Auftragsmorde, Sabotage bis hin zu Brandbomben in Flugzeugen: Auch unser Land ist schon lange im Visier. Diesen Staatsterror gegen die Ukraine und gegen ein freies und demokratisches Europa auch noch selbst zu bezahlen und erneut Putins Kriegsschatulle zu füllen, ist nicht nur dumm, sondern auch brandgefährlich."
Die Zusicherung, die Nord-Stream-Pipelines nie wieder in Betrieb zu nehmen, wollte indessen kein Redner der Regierungsparteien abgeben. Die Bundesregierung werde "natürlich ganz sicher nicht irgendwelche Gaspipelines öffnen", erklärte der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban. "Das ist nicht unsere Aufgabe, und wir werden das auch nicht forcieren. Wir werden außerdem immer mit unseren europäischen Partnern abstimmen, was wir in diesem Bereich tun." Das konnte man so oder so auslegen. Anstatt über den Antrag inhaltlich abzustimmen, wurde er an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie überwiesen.
Indessen bahnt sich in dieser Frage in der CDU bereits ein Konflikt an: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach sich in einem Interview mit "Zeit Online" (25.5.) dafür aus, beide Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee zu reaktivieren, um mit dem Putin-Regime wieder ins Gespräch zu kommen. "Nord Stream ist eine mögliche Eröffnung für ein Gespräch mit Russland", meinte der stellvertretende CDU-Vorsitzende und plädierte dafür, wieder 20 Prozent des Gasbedarfs in Deutschland über Importe aus Russland zu decken. Damit stellte er sich eindeutig gegen den Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der eine Öffnung der Pipelines ablehnt und die von der EU geplanten neuen Sanktionen gegen das Putin-Regime unterstützt.
"Nach Kretschmers Logik
sollen wir auch zukünftig Putins Kriegskasse füllen; das kann niemand
bei Sinn und Verstand wollen" , erklärte dazu Michael Kellner als
energiepolitischer Sprecher der Grünen gegenüber dem "Spiegel".
Friedrich Merz dürfe sich als Bundeskanzler außenpolitisch nicht mehr
von einem der fünf stellvertretenden CDU-Vorsitzenden derart "auf der
Nase herumtanzen lassen". Er müsse nun
endlich mal für Klarheit in seiner Partei sorgen. Das sei auch
wichtig für Deutschlands Stand in Europa.