Oktober 1996 |
961001 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat Mitte Oktober die schriftliche Begründung seines Urteils vom 21. August dieses Jahres (960802) vorgelegt, mit dem er einen Rechtsstreit zwischen der niedersächsischen BUND-Vorsitzenden Renate Backhaus und der schleswig-holsteinischen Landesregierung zur Neuverhandlung an das Oberverwaltungsgericht von Schleswig-Holstein zurückverwies. Es geht dabei um die am 17. April 1991 erteilte Genehmigung zur Verwendung neuartiger Brennstäbe im Kernkraftwerk Krümmel: Frau Backhaus hat diese Genehmigung am 13. Juni 1991 mit der Begründung angefochten, daß die Genehmigungsbehörde die damals einsetzende Diskussion um die Leukämie-Häufung in der Elbmarsch und deren angebliche Verursachung durch das Kernkraftwerk Krümmel nicht berücksichtigt habe. Das Oberverwaltungsgericht wies ihre Klage jedoch ab, weil eine Berücksichtigung dieser Vorwürfe im Rahmen der Sicherheitsprüfung nicht notwendig gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht ist in diesem Punkt anderer Ansicht: Nach seiner Feststellung müssen auch derartige Aspekte grundsätzlich in die Sicherheitsprüfung einbezogen werden, wenn die Genehmigung eine wesentliche Änderung im Sinne von § 7 Abs. 1 Atomgesetz betrifft. Die schriftliche Urteilsbegründung läßt indessen deutlich erkennen, daß der Senat damit in keiner Weise inhaltlich zu den Vorwürfen gegen das Kernkraftwerk Krümmel Stellung nimmt. Er präzisiert vielmehr seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung bei der Exekutive liegt, was die Einbeziehung aller sicherheitsrelevanten Gesichtspunkte unabhängig von ihrer Stichhaltigkeit einschließt. "Es ist nicht Aufgabe der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, die dem Verordnungsgeber zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen", heißt es wörtlich in der Urteilsbegründung. Das Oberverwaltungsgericht werde deshalb nun in einer erneuten Verhandlung "noch zu prüfen haben, ob der Normgeber etwa Erkenntnisse, die sich bei der Untersuchung der Leukämiefälle ergeben haben, negiert oder in unvertretbarer Weise fehlgewichtet hat".
Das höchstinstanzliche Urteil wurde auch jetzt wieder - wie schon anläßlich seiner mündlichen Verkündung - weithin als eine inhaltliche Stellungnahme zugunsten der Kernkraftgegner mißverstanden oder als Auftrag an die Vorinstanz, eine inhaltliche Prüfung der Leukämie-Vorwürfe vorzunehmen. So meinte sogar der Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen (16.10.), der Senat verlange damit, "einen neuen Prozeß ins Werk zu setzen, über den die Juristen nur hilflos brüten können" . Ausgehend von dieser irrigen Ansicht beklagte er es als "eine der Fragwürdigkeiten unseres Rechtssystems, daß Vorgänge, in denen Juristen absolute Laien sind, ihnen gleichwohl zur verbindlichen Prüfung anheimgegeben werden" (siehe auch 961002).