November 1997 |
971101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Gegen die Stimmen der Opposition verabschiedete die Regierungsmehrheit des Bundestags am 28.11. eine umfassende Novellierung des Energiewirtschaftsrechts. Das Gesetz entspricht der Fassung, auf die sich CDU, CSU und FDP Ende Oktober geeinigt hatten (siehe 961004). Um nicht von der Zustimmung des SPD-dominierten Bundesrats abhängig zu sein, hat die Koalition u.a. das Planfeststellungsverfahren für den Bau von Hochspannungsleitungen weggelassen. Dennoch ist es sehr fraglich, ob das Gesetz zum vorgesehenen Termin am 1. Januar 1998 in Kraft treten kann: Die SPD ist weiterhin der Auffassung, daß es der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Volker Jung, kündigte deshalb ein Normenkontrollverfahren oder den Antrag auf eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts an. Die Reform beschneide den Gemeinden zu stark das Recht, ihre Energieversorgung selbst zu regeln (FAZ, 29.12.).
Nach der Verabschiedung durch den Bundestag liegt das Gesetz jetzt erst mal dem Bundesrat vor. Dieser muß innerhalb drei Wochen entscheiden, ob er die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt. Voraussichtlich wird er sich am 19.12. in diesem Sinne entscheiden. Falls der Ausschuß eine Änderung des Gesetzes vorschlägt, muß der Bundestag erneut darüber beschließen.
Darüber hinaus verbleibt dem Bundesrat die Möglichkeit, Einspruch gegen das Gesetz einlegen. Wird dieser Einspruch mit einfacher Mehrheit der Stimmen des Bundesrats beschlossen, kann er von der einfachen Mehrheit der Mitglieder des Bundestags zurückgewiesen werden. Wenn mindestens zwei Drittel des Bundesrats den Einspruch unterstützen, muß die Zurückweisung ebenfalls durch mindestens zwei Drittel des Bundestags erfolgen.
Das jetzt verabschiedete Gesetz enthält ingesamt fünf Artikel. Der erste Artikel ersetzt das bisher geltende Energiewirtschaftsgesetz. Er beseitigt die geschlossenen Versorgungsgebiete und andere Hemmnisse, die einem Wettbewerb bei den leitungsgebundenen Energieträgern Strom und Gas entgegenstanden. Damit setzt er die EU-Richtlinien zur Liberalisierung des Strommarktes (siehe 960601) in nationales Recht um. Er geht aber noch darüber hinaus, indem er keine Zutrittsschwelle für die Zulassung zum Wettbewerb um Endkunden vorsieht. Die Netzbetreiber werden verpflichtet, den Strom anderer Anbieter durch ihre Netze zu leiten. Sie dürfen die Durchleitung nur verweigern, wenn keine Kapazitäten vorhanden sind oder wenn dadurch erneuerbare Energien oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gefährdet würden. Die Höhe der Durchleitungsentgelte kann durch Rechtsverordnung geregelt werden, sofern es zu keiner freiwilligen Einigung der Beteiligten kommen sollte, wie sie VDEW, VIK und BDI im wesentlichen bereits vereinbart haben (siehe 970801). Den Kommunen bzw. Versorgern von Letztverbrauchern wird vorerst bis 2005 der Alleinkäufer-Status als Alternative zum verhandelten Netzzugang zugestanden. Der Endkunde rechnet aber direkt mit dem Erzeuger ab und zahlt zusätzlich die Durchleitungsgebühr an den Alleinkäufer. Die Kommunen dürfen keine exklusiven Wegerechte mehr vergeben, können aber weiterhin Konzessionsabgaben verlangen. Innerhalb eines Versorgungsgebiets müssen grundsätzlich dieselben Tarife gelten, so daß Kunden in entlegenen ländlichen Gebieten nicht mehr bezahlen müssen als die Kunden in den versorgungsgünstigen Städten.
Der zweite Artikel hebt die kartellrechtlichen Ausnahmebestimmungen für die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf. Im dritten Artikel wird das Stromeinspeisungsgesetz neu gefaßt, wobei die wesentlichste Änderung eine Präzisierung der sogenannten Härteklausel ist. Der vierte Artikel enthält Übergangsvorschriften, die vor allem der ostdeutschen Braunkohleverstromung zugute kommen sollen. Der fünfte Artikel setzt das bisherige Energiewirtschaftsgesetz sowie die Bundestarifordnung Gas außer Kraft.
Die Frankfurter Allgemeine (29.11.) hat Zweifel, ob es der Koalition mit ihren "Verfahrenstricks" tatsächlich gelungen ist, den anhaltenden Widerstand der Sozialdemokraten zu umgehen: "Es fällt in der Tat schwer, sich vorzustellen, daß ein Gesetz, das so tief in die Belange der Länder und Kommunen eingreift, tatsächlich nicht zustimmungspflichtig sein soll. Jetzt bleibt nur zu hoffen, daß eine gerichtliche Klärung schnell herbeigeführt wird. Denn solange die Unsicherheit fortdauert, ob es bei der jetzt vom Bundestag beschlossenen Form der Energierechtsnovelle tatsächlich bleibt oder ob das Gesetz über den Weg des Vermittlungsausschusses geändert werden muß, wird der erwünschte neue Wettbewerb nicht in Gang kommen."
Die Frankfurter Rundschau (29.11.) meint:
"Selbst wenn das oberste Gericht Union und FDP recht geben
sollte, bringt das Gesetz nicht die notwendige Sicherheit. Bei
Investitionsentscheidungen in der Elektrizitätswirtschaft
geht es regelmäßig um dreistellige Millionenbeträge
und mehr. Ein Gesetz, daß mit einfacher Mehrheit allein
im Bundestag zu verändern ist, schafft nicht den weit über
die Bundestagswahl '98 hinaus notwendigen verläßlichen
Rechtsrahmen."