September 1998 |
980901 |
ENERGIE-CHRONIK |
Aus den Bundestagswahlen am 27.9. gingen die Sozialdemokraten mit 40,9 % der Stimmen gegenüber 36,4 % vor vier Jahren als klarer Sieger hervor. Die Unionsparteien erzielten dagegen mit 35,2 % (41,5 %) ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949. Die Grünen kamen auf 6,7 % (7,3 %) und die FDP auf 6,2 % (6,9 %). Die PDS wird mit 5,1 % (4,4 %) erneut im Bundestag vertreten sein und dies erstmals nicht nur ihren Direktmandaten in den neuen Bundesländern verdanken. Die Stimmenanteile der rechtsextremen Parteien (NPD, DVU, Republikaner) blieben weit unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze. Von den insgesamt 669 Sitzen im neuen Bundestag erhält 298 die SPD, 198 die CDU, 47 die CSU, 47 die Grünen, 44 die FDP und 35 die PDS.
Das Wahlergebnis wird über Parteigrenzen hinweg als Auftrag zur Bildung einer rot-grünen Koalition verstanden, die im Parlament über eine deutliche Mehrheit von 21 Stimmen gegenüber den anderen Parteien verfügen würde. Schon am 28.9. beschlossen die Führungsgremien von SPD und Grünen einstimmig die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
Unter anderem werden sich SPD und Grüne bei den Koalitionsverhandlungen auf eine gemeinsame Energiepolitik einigen müssen. Dabei geht es hauptsächlich um den Ausstieg aus der Kernenergie sowie um die Einführung einer Öko- bzw-. Energiesteuer. Beide Ziele werden von beiden Parteien im Prinzip bejaht, aber stark unterschiedlich konkretisiert bzw. in den Kurzfassungen der Parteiprogramme überhaupt nicht näher ausgeführt.
So haben die Grünen vor den Wahlen angekündigt, daß sie bei einer Beteiligung an der neuen Regierung ein Gesetz durchsetzen wollten, das den Ausstieg aus der Kernenergie binnen acht Jahren vorsieht. Die Rückstellungen der Stromversorger für die Entsorgung wollten sie in eine Stiftung einbringen und zur Stillegung der Anlagen verwenden (980505). Der SPD-Kanzlerkandidat Schröder hatte sich dagegen von Planspielen für einen raschen Ausstieg aus der Kernenergie distanziert (980801).
Der Entwurf eines Energiesteuergesetzes, den die Grünen vor knapp drei Jahren vorlegten, will im nationalen Alleingang nicht nur fossile Energieträger und große Wasserkraftwerke belasten, sondern auch die Kernenergie mit einem "Gefährdungszuschlag" belegen (951103). Auf ihrem letzten Parteitag beschlossen die Grünen ferner, den Benzinpreis binnen zehn Jahren auf fünf Mark pro Liter zu erhöhen (980313). Die SPD-Bundestagsfraktion plädierte dagegen für eine gemäßigtere "Öko-Steuer" auf Kraft- und Heizstoffe, die aufkommensneutral ist, so daß die sukzessive steigenden Erträge den Verbrauchern und Unternehmen an anderer Stelle wieder zugute kommen. Zusätzlich war die Erhebung einer Stromsteuer für die Haushalte von zwei Pfennig je Kilowattstunde vorgesehen (950905).
Die Frankfurter Allgemeine (30.9.) gelangte bei einer Durchsicht der möglichen rot-grünen Konfliktpunkte zu der Feststellung: "Von besonders hoher Symbolkraft ist für die Grünen der Verzicht auf die Atomenergie, allerdings würden sie sich mittlerweile wohl schon damit zufrieden geben, daß eine Koalitionsvereinbarung den íEinstieg in den Ausstiegí vorsähe."
Der Präsident der Vereinigung Deutscher
Elektrizitätswerke (VDEW), Heinz Klinger, zeigte sich am
29.9. im Norddeutschen Rundfunk zuversichtlich, daß es auch
mit einer rot-grünen Regierung möglich sei, zu einer
Einigung in der Kernenergie-Frage zu kommen. "Wir wollen
ja nicht bewußt Prozesse führen, sondern wir wollen
eine vernünftige, langfristige Lösung haben" sagte
Klinger mit Blick auf hohe Schadenersatzforderungen, die eine
vorzeitige Abschaltung betriebsfähiger Reaktoren nach sich
ziehen würde.