November 2007 |
071102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Neun Jahre nach der Deregulierung der Energiewirtschaft gibt es in Deutschland bei Strom und Gas noch immer keinen funktionsfähigen Wettbewerb. Zu dieser Feststellung gelangt die Monopolkommission in ihrem 49. Sondergutachten "Strom und Gas 2007", das sie am 6. November vorlegte. Als Abhilfemaßnahme schlägt die Kommission vor, den marktbeherrschenden Großstromerzeugern eine Zwangspause beim Neubau von Kraftwerken aufzuerlegen, damit die Kraftwerksprojekte von Konkurrenten größere Chancen bekommen (siehe unten).
Die Kommission sieht "zahlreiche strukturelle und verhaltensbedingte Wettbewerbsbeschränkungen" auf allen Ebenen der Strom- und Gasversorgung. Die Markteintrittsbarrieren für neue Unternehmen seien nach wie vor hoch. Die Zahl an Lieferantenwechseln durch Endverbraucher sei gering, obwohl die Zahl der Wechselwilligen im Berichtszeitraum zugenommen habe. Ein grenzüberschreitender Handel finde nur in geringem Maße statt, weil die Kapazität an den Grenzübergangsstellen zu knapp und das Engpaßmanagement nicht bedarfsgerecht sei.
Die Erzeugungskapazitäten von Elektrizität befänden sich immer noch in der Hand von wenigen großen Energieunternehmen, was die Großhandels- und Regelenergiemärkte anfällig für strategisches Verhalten der Anbieter mache. Im Gasmarkt sei die Preisbildung weiterhin geprägt durch die hohe Konzentration der langfristigen Bezugsverträge auf wenige Importgesellschaften und die mehrheitliche Bindung des Gaspreises an Öl. Eine wesentliche Verbesserung der Preissituation seien daher nur durch eine erhebliche Wettbewerbsbelebung auf den den Netzen vor- und nachgelagerten Märkten möglich. Gleichwohl seien niedrige Netzentgelte und ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Leitungsnetzen unabdingbare Voraussetzungen für einen Wettbewerb auf diesen Wirtschaftsstufen. Das Konzept der Anreizregulierung (071103) sei in diesem Zusammenhang als ein wichtiger Baustein anzusehen, weise aber in seiner Ausführung noch erhebliche Mängel auf.
Kritisch sieht die Monopolkommission insbesondere die vielen Beteiligungen der marktbeherrschenden Konzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW an Stadtwerken und anderen Weiterverteilern. Sie hat deshalb für jeden der vier Konzerne eine Übersicht zusammengestellt, die Auskunft gibt über die Unternehmensstruktur, wesentliche Mehr- und Minderheitsbeteiligungen, Anteilseigner, Kraftwerke und Kraftwerksbeteiligungen. Außerdem hat sie die Verflechtungen der vier Konzerne auf der Ebene der regionalen Versorger untersucht (siehe Links).
Die gegenwärtigen Entflechtungsvorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes bieten nach Feststellung der Monopolkommission keine Gewähr für eine klare Trennung des Netzbetriebs von anderen Konzernaktivitäten. Die Anreize zur Bevorzugung von Erzeugungs- und Vertriebsschwestern seien nach wie vor gegeben. "Eine vollständige Beseitigung dieser Anreize ließe sich nur durch eine eigentumsrechtliche Entflechtung erreichen", stellt sie wörtlich fest. Dennoch hält sie – im Einklang mit der Bundesnetzagentur – die von der EU geforderte eigentumsrechtliche Entflechtung der großen Netzbetreiber für bedenklich. Neben dem tiefen Eingriff in die privaten Eigentumsrechte bestehe die Gefahr einer starken Verminderung der Investitionsanreize bei Netzen und Kraftwerken. Hinzu komme, daß die beabsichtigte Trennung von Netz und Erzeugung das Problem der hohen Konzentration auf der Erzeugerstufe nicht zu lösen vermöge. Die Monopolkommission empfiehlt daher, die Wirkungen des erst seit 2005 in Kraft getretenen Regulierungsrahmens abzuwarten. Außerdem plädiert sie für die zusätzliche Einführung eines zeitlich befristeten Moratoriums für die Erweiterung von Erzeugungskapazitäten durch die marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen. Auf diese Weise sollen Wettbewerber bessere Chancen erhalten, eigene Kraftwerkskapazitäten zu schaffen.
In diesem Punkt ist die Bundesnetzagentur anderer Meinung: Bei der Vorlage des zweiten "Monitoringberichts" über die Situation im Strom- und Gasbereich (071107) lehnte ihr Präsident Matthias Kurth ein solches Moratorium ab, da bisher weder der Bau konventioneller Kraftwerke noch der Ausbau der deutschen Stromnetze im notwendigen Umfang vorankämen. "Wenn es hier nicht von allen Beteiligten zu verstärkten Anstrengungen kommt, könnte dies die Versorgungssicherheit mittelfristig tangieren", meinte er. Die Schaffung eines ausreichenden "Überangebots" durch Zubau von Erzeugungs- und Leitungskapazität sei eine wichtige Voraussetzung für Wettbewerb und funktionierenden Handel.
Die Stromnetzentgeltverordnung aus dem Jahre 2005 (050701) ist nach Ansicht der Monopolkommission einseitig auf die Interessen von Stromerzeugern und Großverbrauchern zugeschnitten, weil sie im wesentlichen die Kalkulationsprinzipien der früheren Verbändevereinbarungen übernommen habe. So lehne sich § 24 StromNEV an die Strukturklassen und das darauf aufbauende Vergleichsmarktkonzept an, das in der 3. Verbändevereinbarung (VV II plus) eingeführt wurde. Darüber hinaus sei der Gleichzeitigkeitsgrad (§ 16 StromNEV) als Faktor der Netzentgeltermittlung bereits aus der ersten Verbändevereinbarung des Jahres 1998 übernommen worden. Da an den Verhandlungen über die Verbändevereinbarungen keine Vertreter der Haushaltskunden beteiligt waren, liege die Vermutung nahe, daß neben den Interessen industrieller Verbraucher insbesondere die Interessen der Elektrizitätsversorger berücksichtigt worden seien. Diese Vermutung werde dadurch verstärkt, dass die Verbändevereinbarung auf die tatsächlichen Kosten des Netzbetreibers abstellte.
Die Monopolkommission ist ein Sachverständigenrat zur Begutachtung des
Wettbewerbs. Ihre Zusammensetzung, Aufgaben und Befugnisse sind durch
Gesetz bestimmt. Sie umfaßt fünf Mitglieder, die über besondere
volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische,
technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen
verfügen müssen und auf Vorschlag der Bundesregierung durch den
Bundespräsidenten für die Dauer von vier Jahren berufen werden.
Der gesetzliche Auftrag der Monopolkommission umfaßt die regelmäßige
Beurteilung des jeweiligen Standes und der absehbaren Entwicklung der
Unternehmenskonzentration in Deutschland, die Würdigung der Vorschriften
über die Zusammenschlußkontrolle sowie Stellungnahmen zu aktuellen
wettbewerbspolitischen Fragen. Die Kommission besitzt gegenüber
Unternehmen kein Auskunftsrecht. Sie erstellt regelmäßig alle zwei Jahre
über den vorangegangenen Zeitraum ein umfassendes Gutachten. Es wird der
Bundesregierung zugeleitet, die es den gesetzgebenden Körperschaften
unverzüglich vorlegt und in angemessener Frist dazu Stellung nimmt. Die
Gutachten der Kommission werden veröffentlicht und damit ebenso wie die
Stellungnahme der Regierung zum Gegenstand der parlamentarischen und der
öffentlichen Diskussion. Über die regelmäßige
Konzentrationsberichterstattung in den Hauptgutachten hinaus erstattet die
Kommission Sondergutachten wie das jetzt vorgelegte.