April 2008 |
080415 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt handelt die HEAG Südhessische Energie AG (HSE) nicht unter mißbräuchlicher Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 1 GWB, wenn sie im Gebiet der konkurrierenden GGEW über eine Tochtergesellschaft das Gas billiger anbietet als den eigenen Kunden. In einer am 19. Februar 2008 verkündeten Entscheidung hob der Kartellsenat deshalb ein Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 7. März 2007 auf, das zur entgegengesetzten Beurteilung gekommen war (070308). Die Aufhebung des Urteils erfolgte ausschließlich deshalb, weil der Bundesgerichtshof inzwischen in einem Zivilprozeß (070614) die Meinung vertreten hat, die Gasversorger besäßen keine Monopolstellung, da sie auf dem Wärmemarkt mit Öl, Strom, Kohle und Fernwärme konkurrieren müßten.
Der Bundesgerichtshof hatte die etwas weltfremd anmutende Unterstellung eines einheitlichen Wärme-Marktes in dem damaligen Urteil eher beiläufig erwähnt. Sie diente ihm als eines von zwei Argumenten, um in dem zivilrechtlichen Verfahren gegen die Stadtwerke Heilbronn, das ein pensionierter Richter angestrengt hatte, eine rückwirkende Gaspreis-Überprüfung abzulehnen. In den sechs Leitsätzen der damals vielbeachteten Entscheidung tauchte sie nicht auf. Indessen wird dieser Passus nun von unteren Instanzen aufgegriffen, um auch in kartellrechtlichen Verfahren von der Fiktion eines einheitlichen Wärmemarktes auszugehen. So hat das Oberlandesgericht Celle am 10. Januar 2008 unter Berufung auf das BGH-Urteil eine marktbeherrschende Stellung der Stadtwerke Uelzen in deren Vertriebsgebiet verneint (080304).
Auch der Bundesgerichtshof konnte sich nicht der Einsicht verschließen, daß die beklagten Stadtwerke im Bereich der Stadt Heilbronn "der einzige Anbieter von leitungsgebundener Versorgung mit Gas und daher auf dem Gasversorgungsmarkt keinem unmittelbaren Wettbewerb ausgesetzt" sind. Er relativierte diesen Befund aber damit, daß alle Gasversorger "auf dem Wärmemarkt in einem (Substitutions-)Wettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme" stünden. Aus diesem Grund habe auch der Gesetzgeber in der Vergangenheit - anders als beim Strom - auf eine behördliche Genehmigung der Gaspreise verzichtet. Zumindest Neukunden könnten zur Deckung ihres Wärmebedarfs unmittelbar zwischen verschiedenen Energieträgern wählen. Dadurch entstünde ein Konkurrenzsituation, die allen Kunden zugute komme, "auch wenn für den einzelnen Kunden unter Umständen der Wechsel zu einer anderen Energieart wegen der hiermit verbundenen Kosten keine echte Alternative darstellt".
Pfahl im Fleisch: Die GGEW ist nur in einem kleinen Gebiet um Bensheim der Grundversorger, während die in Darmstadt ansässige HEAG-HSE fast ganz Südhessen abdeckt. |
Faktisch bedeutet diese Sichtweise, daß Energieversorger ihre monopolartige Stellung weiterhin mißbrauchen können, um quasi "Strafaktionen" gegen unliebsame Konkurrenten durchzuführen, die ihnen über günstigere Bedingungen die Kunden oder gar ganze Konzessionsgebiete abspenstig machen (siehe auch 080111). Im vorliegenden Fall war es der kleine kommunale Versorger GGEW (Gruppen- Gas- und Elektrizitätswerk Bergstraße AG), der es gewagt hatte, an den Besitzstand der benachbarten HEAG Südhessische Energie AG (HSE) zu rühren. Denn schon kurz nach der Liberalisierung warb die GGEW bundesweit mit günstigen Stromangeboten (990805) und wechselte von der HEAG zu anderen Vorlieferanten (991215). Als die GGEW dann auch noch Anfang 2005 das Bundeskartellamt mobilisierte, weil die HSE die Verhandlungen über eine Verlängerung ihrer Konzessionsverträge mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit betrieb (080411) sah der große Regionalversorger anscheinend endgültig den Casus belli gegeben: Seit Juli 2006 warb die eigens gegründete HSE-Tochter e-ben GmbH im Versorgungsgebiet der GGEW - und nur hier - um Gaskunden. Sie bot dabei das Gas billiger an als die HSE im eigenen Versorgungsgebiet über ihre Vertriebstochter Entega. Die GGEW sah darin "Piratenpreise" und warf der HSE "unlautere Preisspalterei" vor (070201). Zwei Entega-Kunden erhoben Klage, weil sie für ihre Einfamilienhäuser, die nur wenige Kilometer vom Dumpingpreis-Gebiet entfernt lagen, weiterhin die höheren Entega-Preise zahlen mußte. Das Landgericht Frankfurt gab ihnen Recht, weil die Entega im früheren Monopolgebiet der HSE nach wie vor den Gasmarkt beherrsche und über die HEAG mit dem Billiggas-Anbieter e-ben gesellschaftsrechtlich verbunden sei (070308).
Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt, der jetzt dieses Urteil aufhob, ließ immerhin die Rechtsbeschwerde zu, weil das zitierte BGH-Urteil kein Kartellverfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) betraf, sondern im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens ergangen ist, bei dem ein Verbraucher die Überprüfung einer einseitigen Preiserhöhung durch den Gasversorger begehrte.