August 2009 |
090803 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die mangelnde Transparenz der Strombörse wird neuerdings verstärkt als Grundübel des liberalisierten Marktes erkannt, das den Stromkonzernen Milliardengewinne zu Lasten der Verbraucher ermöglicht. So unterstreicht die Monopolkommission in ihrem Sondergutachten zur Situation auf dem Strom- und Gasmarkt, das sie am 4. August vorlegte (090802), erneut und noch pointierter als in ihren vorangegangenen Stellungnahmen die Notwendigkeit, den Strommarkt einer besonderen Marktaufsicht zu unterstellen, wie dies beim Finanzmarkt bereits der Fall ist. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß die Großstromerzeuger den Börsenmechanismus für Insider-Geschäfte zum Hochtreiben der Preise mißbrauchen. Zu ähnlichen Schlüssen und Forderungen gelangt ein Gutachten, das im Auftrag des Bundesumweltministeriums angefertigt und von diesem am 6. August veröffentlicht wurde.
Neun Jahre nach Beginn des Börsenhandels mit Strom in Deutschland (000614) scheint sich damit auch auf politischer Ebene allmählich die Erkenntnis durchzusetzen, daß Strom keine Ware ist, die sich in herkömmlicher Weise an einer Produktenbörse handeln läßt, und daß es zumindest spezieller Vorkehrungen bedarf, damit ein formal korrektes Börsengeschehen nicht zur Alibi-Veranstaltung für Preistreiberei wird. Der EU-Kommission in Brüssel liegen offenbar schon seit längerem Beweise dafür vor, daß die Energiekonzerne den Strompreis via Börse manipulieren, denn sonst hätte sich der E.ON-Konzern schwerlich zum Verkauf seines Transportnetzes und von Kraftwerkskapazitäten verpflichtet, um eine Einstellung des Verfahrens wegen Verstoßes gegen das europäische Wettbewerbsrecht zu erreichen (081101). Ob den Praktiken der Konzerne auch mit dem Instrumentarium des Strafrechts beizukommen ist, muß sich noch zeigen: Entsprechende Strafanzeigen gegen E.ON und RWE liegen den Staatsanwaltschaften in Düsseldorf und Essen vor (090502).
Die Monopolkommission glaubt zwar weiterhin, daß die Strombörsen "grundsätzlich" einen Beitrag zum Preiswettbewerb leisten könnten. Unter der in Deutschland gegebenen Situation einer "weitgehend vermachteten Stromerzeugung" seien aber sowohl Anreize als auch Möglichkeiten zur mißbräuchlichen Ausnutzung von Erzeugermacht auf dem Stromgroßhandelsmarkt gegeben. Aus der Perspektive eines gewinnmaximierenden Erzeugers sei die strategische Zurückhaltung von Erzeugungskapazitäten geradezu eine gebotene Strategie, heißt es in dem Sondergutachten (S. 87). Insbesondere gelte dies für die Bereitstellung bzw. Zurückhaltung von Kraftwerkskapazitäten zur Abdeckung von Spitzenlasten durch die vier Regelzonenbetreiber E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall. Die damit gegebenen Möglichkeiten zur Ausübung von Marktmacht ließen sich durch Modifikationen der Kontrollmechanismen und der handelsrechtlichen Vorschriften allenfalls erschweren, jedoch nicht dauerhaft beseitigen.
Es genüge deshalb nicht, die Strombörse und den Stromgroßhandel ausschließlich in der bestehenden Form nach den Maßgaben des Börsengesetzes, des Wertpapierhandelsgesetzes und des allgemeinen Kartellrechts zu beaufsichtigen. Der Börsenaufsicht und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht fehle im Wesentlichen die Legitimation und vermutlich auch die sachliche Kompetenz zu einer Untersuchung und Unterbindung der beschriebenen Strategien. Nach dem Börsengesetz würden durch die Börsenaufsicht nur die Börse und der börsliche Handel selbst überwacht, nicht jedoch die Phase der Erzeugung und des außerbörslichen erstmaligen Absatzes von Strom. Unzureichend seien auch freiwillige Zusagen der Branche zur Erhöhung der Markttransparenz (060710, 071008). Stattdessen müsse eine Stelle geschaffen werden, der gegenüber die Marktteilnehmer zu umfassender Auskunft verpflichtet sind. Diese Marktaufsicht würde neben dem eigentlichen Börsengeschehen alle relevanten Sektoren im Blick haben, einschließlich des außerbörslichen Stromgroßhandels und des Marktes für Regelenergie. Auf dieser Grundlage könnte sie dann "die Bietstrategien der Marktteilnehmer auf marktkonformes Handeln und Manipulationsversuche überprüfen".
Die Monopolkommission sieht zugleich die Gefahr, daß eine lückenlose Übersicht des Marktgeschehens hauptsächlich nur wieder den vier großen Energiekonzernen nützen würde. Das Gebot vollkommener Transparenz soll deshalb nur gegenüber der Marktaufsicht gelten. Es bliebe dann der Behörde überlassen, wie sie diese Informationen verwertet und was sie davon an Außenstehende weitergibt.
Das im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellte Gutachten will die Strombörse ebenfalls nicht grundsätzlich in Frage stellen. Es ist sogar der Meinung, die Gründung der EEX sei "ein integraler Bestandteil des Liberalisierungsprozesses" gewesen, denn nur so bekämen neue Anbieter ohne hinreichende Erzeugungskapazitäten die Möglichkeit, sich über einen liquiden Großhandel einzudecken. Allerdings gebe es für den Stromspotmarkt keinerlei Verbotsvorschriften in Bezug auf Insiderhandel, wie dies bei Wertpapiermärkten der Fall ist. Ebenso fehlten jegliche Ad-hoc-Publizitätspflichten für kursrelevante Informationen wie ungeplante Kraftwerksausfälle. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf, da mit Einführung der Strombörsen die frühere Preisbildung, die auf den Durchschnittskosten der Erzeugung basierte, abgelöst wurde durch eine Preisbildung auf Grundlage der Grenzkosten.
Die Preisbildung auf Grundlage des betriebswirtschaftlichen Theorems der Grenzkosten bedeutet, daß der Börsen-Strompreis nicht die Durchschnittskosten der Stromerzeugung widerspiegelt, sondern sich nach den Kosten jenes letzten Kraftwerks bemißt, daß der Erzeugungs-Palette hinzugefügt werden muß, um die aktuelle Nachfrage zu befriedigen. Und das sind nun mal die Anlagen für Spitzenlast wie Pumpspeicher- und Gasturbinenkraftwerke, deren Betrieb besonders teuer ist. Mit der Höhe der Grenzkosten steigt aber die Differenz zu den durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung und damit der Gewinn. Für marktbeherrschende Kraftwerksbetreiber ergibt sich so die Möglichkeit, durch entsprechende Disposition von Kraftwerkskapazitäten die Grenzkosten und damit die "Windfall-Profits" für sich und andere Erzeuger in die Höhe zu treiben (060303). - Zumindest solange, wie die völlig unterschiedlichen Kosten von Grund-, Mittel- und Spitzenlast ignoriert oder vernachlässigt werden, was die tonangebende Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler bisher in erstaunlicher Weise fertiggebracht hat. Und da es beim Strom noch immer keinen echten Wettbewerb gibt, können die so zustande gekommenen überhöhten Börsenpreise auch nicht vom Markt korrigiert werden. Sie dienen vielmehr als Referenzpreis für den Stromhandel und treiben so das Preisniveau insgesamt nach oben.
Möglicherweise setzen die Konzerne sogar ihre Grenzkosten für Spitzenlast zu hoch an. Laut Gutachten des BMU läßt sich das ebenso wenig überprüfen wie die Kosten für Grund- und Mittellast, denn es seien "so gut wie keine Daten über tatsächliche Erzeugungskosten verfügbar". Darunter litten alle Studien, die den Zusammenhang zwischen Marktmacht und Preissteigerung zu durchleuchten versuchen, da sie auf "grobe Annahmen" angewiesen seien. Eine Ausnahme bilde lediglich eine Studie von London Economics, die im Auftrag der EU-Kommission die enorme Diskrepanz zwischen Kosten und Erlösen der Stromerzeuger untersuchte und im April 2007 veröffentlicht wurde (070404). Hier hätten für die Jahre 2003 bis 2005 die tatsächlichen Erzeugungsdaten zugrunde gelegt werden können. Die Studie zeige, daß es eines immensen Aufwands zur Überprüfung des Stromgroßhandelsmarktes bedürfe. In Deutschland gebe es wohl keine mit dem Energiemarkt befaßte Behörde, die in der Lage wäre, die Komplexität der von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie zu bewältigen. Derartiges Know-how müsse dringend aufgebaut werden.
Daß die Strombörsen nicht im Sinne des Wettbewerbs funktionieren, sondern zur Preistreiberei geradezu einladen, ist längst ein offenes Geheimnis und von verschiedener Seite beklagt worden (030804, 041203, 050703, 051116, 060701, 070107, 070106, 071105). Ein Grundfehler bestand schon darin, die klassische Produktenbörse einfach in den Bereich der Elektrizitätswirtschaft zu übertragen. Im Unterschied zu Getreide und Kaffee oder auch zu Energieträgern wie Öl und Gas ist Strom nämlich nicht speicherbar. Er muß vielmehr in derselben Sekunde erzeugt werden, in der er verbraucht wird. Außerdem haben Schwankungen des Strompreises keine Auswirkungen auf die Nachfrage. Damit entfallen zwei ganz wesentliche Faktoren, die an einer herkömmlichen Produktenbörse für das Austarieren von Angebot und Nachfrage sorgen. Die von der Monopolkommission konstatierte "Vermachtung" der Stromwirtschaft ist dagegen eher ein nachrangiger Faktor. Erst im Zusammenwirken mit den technisch-physikalischen Besonderheiten der Stromwirtschaft und den Besonderheiten des computerisierten Strombörsen-Betriebs hat diese Vermachtung besonders fatale Folgen. Sie ermöglicht es den Großstromerzeugern, fast beliebig an der Preisschraube zu drehen. Unter der relativen Vielzahl von Börsenteilnehmern verfügen sie als einzige über die ganze Palette der Kraftwerkskapazitäten, die erforderlich ist, um die wechselnde Stromnachfrage abzudecken. Vor allem verfügen sie über die Anlagen zur Abdeckung von Spitzenlast. Durch gezielten Einsatz bzw. Nichteinsatz von Kraftwerkskapazitäten können sie so die "Grenzkosten" der Stromerzeugung bestimmen, die für den Börsenpreis maßgeblich sind, und von der enormen Differenz dieses Börsenpreises zu den durchschnittlichen Stromerzeugungskosten profitieren. Hinzu können sie diese Preistreiberei auch noch hinter der Anonymität des Börsengeschehens verstecken, da dieses ja formal korrekt abläuft und sich die Preise scheinbar aus dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage ergeben.
Vor und zu Beginn der Liberalisierung gab es in der Branche starke Befürchtungen, die Strombörsen könnten tatsächlich den Wettbewerb begünstigen und damit einen Preisverfall bewirken. Die Energiewirtschaft verhielt sich deshalb zunächst eher reserviert bis ablehnend (980810). Die Strombörsen verdankten ihre Entstehung auch nicht einem dringenden Bedürfnis nach einer Großhandels-Plattform für neue Anbieter ohne eigene Kapazitäten, wie der Autor des BMU-Gutachtens anzunehmen scheint. Der entscheidende Faktor war vielmehr das Expansionsstreben der Finanzwirtschaft, die auf der Suche nach neuen Geschäftsbereichen den soeben liberalisierten Strommarkt entdeckte. Die Frankfurter EEX sollte zunächst sogar eine reine Terminbörse werden (990601). Da der Handel mit Strompreis-Derivaten nicht im luftleeren Raum stattfinden kann, wurden als Bezugsgröße ("Underlying") zunächst irgendwelche Preis-Indexe wie der Swep oder sogar die Praxis der sogenannten Verbändevereinbarungen in Betracht gezogen. Ende der neunziger Jahre kam es dann aber überall zur Gründung von Spotmärkten, auf denen die Terminmärkte als der Hauptzweck des Unternehmens aufsetzen konnten (991014). Den so entstandenen Strombörsen wie der deutschen EEX wurde zugleich ein lebhaftes Eigeninteresse an der Ausweitung ihres Geschäfts mit in die Wiege gelegt, da sie als Kapitalgesellschaften auf Gewinn und Expansion ausgerichtet waren. Vor allem die Transaktionskosten der Terminmärkte, deren Handelsvolumen das der Spotmärkte bald bei weitem überstieg, wurde zu einer lukrativen Einnahmequelle. Dagegen dauerte es einige Zeit, ehe auch die Stromwirtschaft voll mit ins Boot stieg. Zumindest die Energiekonzerne lernten die Strombörsen aber bald als ein Instrument zu schätzen und zu handhaben, hinter dem sie ihre Marktmacht verstecken und hohe Strompreise als Ergebnis des freien Spiels der Marktkräfte ausgeben konnten.