Januar 2010 |
100115 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die schwarz-gelbe Bundesregierung gewährt dem französischen Atomkonzern Areva eine Hermes-Bürgschaft über 2,5 Milliarden Euro, um den 1995 gestoppten Bau von Block 3 im brasilianischen Kernkraftwerk Angra weiterführen und vollenden zu können. Am 27. Januar wurde davon gemäß § 3 des Haushaltsgesetzes 2009 der Haushaltsausschuß des Bundestags unterrichtet, da die Garantiesumme den Betrag von einer Milliarde Euro übersteigt. Ein Vetorecht steht dem Haushaltsausschuß nicht zu. Ein Antrag der Grünen, den Punkt von der Tagesordnung abzusetzen, wurde von der schwarz-gelben Mehrheit der Ausschußmitglieder abgelehnt.
Das brasilianische Kernkraftwerk Angra liegt in einem Erdbebengebiet. Die Reaktoren 1 (rechts) und 2 (links) sollen durch einen dritten Reaktor ergänzt werden, für den jetzt die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Exportgarantie gewährt. Foto: Wikipedia/Sturm
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"Wir fordern die Bundesregierung dringend auf, nicht wieder in die Exportförderung von Atomtechnologie einzusteigen", hieß es im Antrag der Grünen. Der Standort für das geplante Atomkraftwerk liege in der einzigen erdbebengefährdeten Region Brasiliens, nur etwa 100 Kilometer von der Millionenstadt Rio de Janeiro entfernt. Zudem sei der geplante Druckwasserreaktor Angra 3 technologisch veraltet und wirtschaftlich hochriskant. Bereits Angra 2 sei mit Fertigstellungskosten von 7 bis 10 Milliarden US-Dollar zum ökonomischen Desaster geworden.
Ähnlich äußerten sich zuvor Greenpeace, Robin Wood, campact, Urgewald und andere Gruppen in einem Brief an Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU). Sie verwiesen auch darauf, daß der Weg zur Atombombe meistens über zivile Atomprogramme führe. Die Bundesrepublik habe in dieser Hinsicht schon einmal einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie dem Siemens-Konzern in den siebziger Jahren eine Hermes-Bürgschaft für den Bau des Atomreaktors Buschir im Iran gewährte (031017).
Die Vergabe der Exportgarantie an Areva NP (NP = Nuclear Power) wird damit begründet, daß auch in Deutschland gelegene Betriebe des französischen Atomkonzerns an der Vollendung von Angra 3 beteiligt sein werden. Der Reaktor Angra 3 sollte nämlich ursprünglich – wie auch schon Angra 2 – vom Siemens-Konzern errichtet werden, dessen Nukleargeschäft vor zehn Jahren im heutigen Areva-Konzern aufging. Siemens ist zur Zeit noch mit 34 Prozent an Areva beteiligt, betreibt aber schon seit einem Jahr die Auflösung dieser Geschäftsverbindung und will stattdessen mit dem russischen Atomkonzern kooperieren (090202). In Deutschland arbeiten rund 4.300 Personen an fünf Standorten für Areva NP.
Der erste Druckwasserreaktor in Angra stammte noch vom US-Hersteller Westinghouse und ging 1982 mit einer Leistung von 626 MW ans Netz. Die von Siemens gelieferten Reaktoren Angra 2 und 3 mit einer Leistung von 1274 MW entsprechen dagegen technisch den "Konvoi"-Reaktoren Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2, die in Deutschland in den achtziger Jahren als letzte Kernkraftwerke gebaut wurden. Die Verträge mit Siemens wurde bereits in den siebziger Jahren geschlossen und politisch durch ein Abkommen zwischen der Bundesregierung und der damaligen Militärdiktatur abgesichert. In den achtziger Jahren verhängte jedoch die nunmehr wieder zivile Regierung wegen ökologischer und finanzieller Bedenken einen Baustopp (930112). Angra 2 ging deshalb erst im Januar 2001 ans Netz (000716). Die technische Ausrüstung für Angra 3, die Siemens 1995 geliefert hatte, blieb vorläufig ungenutzt und wurde eingelagert.
Erst nach der Jahrtausendwende faßte Brasilien die Vollendung von Angra 3 ins Auge. Unter dem seit 2003 amtierenden Präsidenten Lula da Silva wurde nun sogar der Bau zahlreicher weiterer Kernkraftwerke geplant. Die rot-grüne Bundesregierung war allerdings nicht bereit, das seinerzeit mit der Militärdiktatur geschlossene Kooperationsabkommen in der bisherigen Form zu verlängern, zumal mit dem brasilianischen Nuklearprogramm auch militärische Absichten verbunden zu sein schienen (041009, 041109).
Schon 2001 beschloß die rot-grüne Bundesregierung, keine Exportgarantien für den Neubau bzw. die Umrüstung von Atomanlagen zu gewähren. Als Siemens 2003 eine Hermes-Bürgschaft für die Mitwirkung am Neubau des ersten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) in Finnland haben wollte, wurde auch dieser Antrag abgelehnt, obwohl Siemens lediglich mit konventioneller Technik zum Bau des Kernkraftwerks beitrug (031201).
Das änderte sich mit der Großen Koalition: Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2008 nach Brasilien reiste und dort ein neues Energieabkommen schloß, versprach sie unter anderem deutsche Unterstützung bei der Vollendung von Angra 3. In einer Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 15. Mai 2008 hieß es dazu: "Das Abkommen über Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie aus dem Jahr 1975 sowie spätere ergänzende Regelungen bleiben neben dem neuen Abkommen weiter gültig."
Den förmlichen Beschluß zur Fortführung von Angra 3 faßte Brasilien bereits im Sommer 2007. Daß Areva den Antrag auf Gewährung einer Exportgarantie erst jetzt stellte, hat offensichtlich damit zu tun, daß man erst den Regierungswechsel in Berlin abwarten wollte. Denn trotz des neuen Energieabkommens mit Brasilien wäre ein solcher Antrag von der Großen Koalition kaum durchgewunken worden. Gerade in der Endphase der Koalition war die SPD auf strammen Anti-Kernkraft-Kurs gegangen, um bei den Wählern zu punkten und ihre sozialpolitischen Defizite zu überdecken.