März 2010 |
100301 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bis 1997 gab es in Deutschland sogar neun Regelzonen. In den folgenden fünf Jahren verringerte sich die Zahl um mehr als die Hälfte. Das war eine Folge des Konzentrationsprozesses, der an die Stelle von ehemals neun "Verbundunternehmen" die vier marktbeherrschenden Konzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW treten ließ. Inzwischen haben E.ON und Vattenfall ihre Stromtransporteure verkauft und sich damit auch vom Regelzonenbetrieb verabschiedet. RWE hat sein Stromtransportnetz behalten, aber in "Amprion" umbenannt. |
Die Bundesnetzagentur hat am 16. März die vier Stromtransportnetzbetreiber verpflichtet, ihre Regelzonen bis spätestens 31. Mai 2010 in einem "Netzregelverbund" zu betreiben. Damit soll der Aufwand an Regelenergie stark verringert werden, ohne die vier Regelzonen durch eine bundesweite Zentralregelung zu ersetzen, wie dies der Praxis in den anderen europäischen Ländern entspräche. Die in den einzelnen Regelzonen auftretenden Diskrepanzen zwischen Stromangebot und -nachfrage werden künftig nicht mehr unabhängig voneinander ausgeglichen, sondern über alle vier Zonen hinweg saldiert, sodaß nur noch der verbleibende Rest durch den Einsatz von Regelenergie ausgeglichen werden muß.
Mit dem Beschluß beeendete die Bundesnetzagentur ein Mißbrauchsverfahren gegen die vier Regelzonenbetreiber, das sie im Frühjahr 2008 auf Betreiben des Bundesverbands Neuer Energieanbieter (BNE) und des Ökostrom-Anbieters Lichtblick eröffnete (080408). Die beiden Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, daß durch die separate Regelung der vier Netzgebiete mehr Kosten entstehen als bei einer bundesweit einheitlichen Regelung. Sie beriefen sich dabei auf § 22 Abs. 2 EnWG , der die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, "zur Senkung des Aufwandes für Regelenergie unter Berücksichtigung der Netzbedingungen zusammenzuarbeiten".
Faktisch gibt es die jetzt angeordnete Kooperation schon seit über einem Jahr. Sie beschränkte sich bisher aber auf Transpower (früher E.ON Netz), 50Hertz Transmission (früher Vattenfall Transmission) und EnBW Transportnetze (081005). Die drei Transportnetzbetreiber wollten mit der freiwilligen Zusammenarbeit demonstrieren, daß eine Senkung der Regeleenergie-Kosten auch bei Beibehaltung der vier Regelzonen möglich ist. Zugleich richtete sich ihre Kooperation gegen den Anspruch von RWE, "Systemführer" einer bundesweit einheitlichen Regelung zu werden (080702). Durch den Beschluß der Bundesnetzagentur wird nunmehr auch RWE verpflichtet, seinen Regelzonenbetreiber Amprion in die Kooperation einzubringen.
Am sinnvollsten wäre sicher die Einbringung aller Transportnetze mit ihren Regelzonen in eine "Deutsche Netz AG" gewesen, wie dies von der Bundesnetzagentur auch anfangs befürwortet wurde (080710). Diese Netz AG hätte dann als unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber für ganz Deutschland zugleich die Regelung des Ausgleichs von Stromangebot und -nachfrage übernommen. Diese Lösung scheiterte jedoch daran, daß RWE und EnBW/EDF ihre Transportnetze nicht abgeben wollten. Stattdessen gelang es ihnen sogar, eine Entschärfung der von der EU-Kommission geplanten Entflechtungsregelung durchzusetzen (090303).
Unter diesen Umständen ging es für die Bundesnetzagentur nur noch darum, sich für eines von zwei Modellen zu entscheiden, die von den Netzbetreibern vorgeschlagen worden waren, um das Problem des "Gegeneinanderregelns" und der dadurch verursachten höheren Kosten für Regelenergie zu beseitigen. Das eine Modell namens "Netzregelverbund" praktizierten E.ON, Vattenfall und EnBW seit Ende 2008, indem sie den Bedarf an Regelenergie für ihre Zuständigkeitsbereiche gemeinsam abstimmten (081005). Das andere kam vom RWE-Konzern und sah eine zentrale Regelung durch dessen Transportnetz-Tochter Amprion vor, die schon bisher den deutschen Regelblock gegenüber den anderen Regelblöcken des kontinentaleuropäischen Verbundsystems vertritt (100116).
Um ihre Entscheidung abzusichern, gab die Bundesnetzagentur ein Gutachten zur "Optimierung der Ausregelung von Leistungsungewichten" in Auftrag, das die Technische Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen E-Bridge erstellte. Dieses Gutachten bescheinigte dem von RWE favorisierten zentralen Netzregler (ZNR) "moderate wirtschaftliche Vorteile", hielt aber auch den von E.ON, Vattenfall und EnBW pratizierten Netzregelverbund (NRV) für geeignet, die angestrebte Senkung der Kosten für Regelenergie zu erzielen.
Die beiden Beschwerdeführer sind da allerdings anderer Ansicht. Noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Beschlusses veröffentlichten der Bundesverband Neuer Energieanbieter (BNE) und die LichtBlick AG am 5. März ein Gutachten, wonach der "Netzregelverbund" (NRV) erheblich ineffizienter ist als ein "Zentraler Netzregler" (ZNR). Der NRV belasse den kurzfristigen Handel weiterhin in vier sachlich und räumlich getrennten Märkten, anstatt sie zusammenzufassen. Dadurch werde das Stromangebot unnötig verknappt. Eine einheitliche Regelzone würde dagegen den Wettbewerb fördern, die Kosten senken und die Verbraucher entlasten. Lichtblick erhofft sich von einer einheitlichen Regelzone besonders die notwendigen Rahmenbedingungen, um die gemeinsam mit Volkswagen entwickelten "Zuhause-Kraftwerke" (090902) für die Lieferung von Regelenergie einsetzen zu können.
Die Bundesnetzagentur rechnet dennoch mit "dauerhaften Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe" als Folge des jetzt verfügten Netzregelverbunds. Diese Einsparungen dürften dann allerdings in erster Linie Industriekunden zugute kommen, die direkt an das Hochspannungsnetz angeschlossen sind. Bei Niederspannungskunden werden sie kaum zu Buche schlagen, da hier die Verteilernetze den größten Anteil an den Netznutzungskosten ausmachen.
Nach Angaben der Bundesnetzagentur gaben die vier deutschen Regelzonenbetreiber im vergangenen Jahr ingesamt 818 Millionen Euro für die Vorhaltung von Regelenergie aus. Davon entfielen 435 Millionen auf die automatisch ablaufende Sekundärregelung und 251 Millionen auf die Minutenreserve, die bei Bedarf telefonisch angefordert wird, um die Sekundärregelung abzulösen. Der Rest waren Kosten für die Teilnahme an der Primärregelung, die aber ohnehin auf der Ebene des Verbundnetzes stattfindet und deshalb bei dem Verfahren nicht zur Debatte stand.
Zum Vergleich: Für das Jahr 2005 bezifferte die Behörde die gesamten Ausgaben für Regelenergie mit 826 Millionen Euro. Davon entfielen 467,7 Millionen auf Sekundärregelung, 270,3 Millionen auf Minutenreserve und 88,3 Millionen auf die Primärregelung (060905). Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die Kooperation der drei Netzbetreiber E.ON, Vattenfall und EnBW bereits Wirkung gezeigt habe. Die Einsparung von acht Millionen Euro wäre aber doch vergleichsweise gering. Sie rechtfertigt kaum die Erwartung einer Summe in "dreistelliger Millionenhöhe", wenn die freiwillige Kooperation nun zur Pflichtveranstaltung unter Einschluß von RWE wird. Nicht zuletzt bleiben dabei verdeckte Kosten außer Betracht, die zur Vermeidung eines sonst fälligen Bedarfs an Regelenergie über die Börse abgewickelt werden. So mußten die Netzbetreiber allein am 26. Dezember 2009 riesige Mengen an Windstrom verschenken und noch 22 Millionen Euro hinterherwerfen, damit sich ein Abnehmer fand und sie von einem sonst drohenden Regelenergie-Debakel befreite (100101).
Im liberalisierten Energiemarkt sind die Netz- und Regelzonenbetreiber nicht mehr mit den Kraftwerksbetreibern identisch, wie dies in der integrierten Stromversorgung der Fall war. Sie müssen deshalb auch ihren Bedarf an positiver oder negativer Regelenergie im Wege einer gemeinsamen Ausschreibung beschaffen. Der Bedarf an Minutenreserve wird seit Dezember 2006 täglich und der an Sekundärregel-Leistung seit Dezember 2007 monatlich im Internet ausgeschrieben. Der Kreis der möglichen Lieferanten ist aber nach wie vor sehr exklusiv. Nach Feststellung der Bundesnetzagentur gab es Ende 2009 insgesamt acht Anbieter für Sekundär-Regelleistung, von denen aber vier "mit Abstand das größte Angebotsvolumen" aufwiesen. Man braucht sicher nicht lange zu rätseln, wer diese vier Kraftwerksbetreiber waren. Bei der Minutenreserve, die technisch geringere Anforderungen stellt und nur relativ selten angefordert wird, zählte die Behörde immerhin 24 "aktive Anbieter".
Deutschland ist mit seinen vier Regelzonen ein Unikum in der europäischen Stromlandschaft. In den anderen Ländern stimmen die Regelzonen bzw. Regelblöcke fast durchweg mit den nationalen Grenzen überein. Zu den Ausnahmen gehören Österreich (Vorarlberg/Tirol) und Dänemark (Jütland), wo Teile des Landes aus historisch-geographischen Gründen in den deutschen Regelblock eingebunden sind. Zum deutschen Regelblock gehört ferner noch die öffentliche Stromversorgung Luxemburgs. Bis 2006 zählte auch die Schweiz zu den Ausnahmen. In dem kleinen Land gab es sogar sieben unabhängige Höchstspannungsnetzbetreiber, die sich Ende 2006 in der Netzgesellschaft "Swissgrid" zusammenschlossen (050311).