September 2009 |
090902 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Ökostrom-Anbieter Lichtblick hat ein neues Konzept für den Betrieb und das Marketing von kleinen Blockheizkraftwerken (BHKW) entwickelt, das er im September unter dem Schlagwort "Zuhause-Kraftwerk" geschickt in den Medien zu präsentieren verstand. Die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) teilte am 16. September mit, daß sie den Einbau der "Zuhause-Kraftwerke" ab sofort aus dem Konjunkturprogramm II des Bundes mit rund zwei Millionen Euro fördere. Lichtblick führe bereits Vertragsgespräche mit der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten, dem Wohnungsunternehmen SAGA und dem Verein Fördern & Wohnen. Die ersten Anlagen sollen im Mai 2010 den Betrieb aufnehmen.
Das von Volkswagen gelieferte Klein-BHKW paßt in jeden Heizungskeller. Hinzu kommen allerdings noch die beiden Behälter des Wärmespeichers mit jeweils 800 Litern. Die zentrale Steuerung der Anlagen zur Stromerzeugung erfolgt über Mobilfunk, wobei der Wärmebedarf des Kunden Priorität hat. Pressefoto Lichtblick
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Das Lichtblick-Konzept zielt auf größere Wohneinheiten und sonstige Verbraucher mit erhöhtem Wärmebedarf. Als untere Grenze wird ein Doppelhaus mit einem jährlichen Wärmebedarf von etwa 40.000 kWh genannt. Die gasbetriebenen Blockheizkraftwerke haben eine elektrische Leistung von 20 Kilowatt und eine Wärmeleistung von 34 Kilowatt. Sie werden direkt am Ort des Wärmeverbrauchs installiert, wo sie die bisherige Heizungsanlage ersetzen. Die erzeugte Wärme wird aber nicht direkt genutzt, sondern an einen 2 x 800 Liter großen Wärmespeicher abgegeben, aus dem sie nach Bedarf abgerufen wird. Dies ermöglicht es, die Stromerzeugung vom momentanen Heizungsbedarf zu entkoppeln und die Blockheizkraftwerke gezielt zur Abdeckung von Mittel- und Spitzenlast einzusetzen. Bisher werden Blockheizkraftwerke üblicherweise wärmeseitig gefahren und speisen den dabei erzeugten Strom unabhängig von der aktuellen Bedarfssituation ins Netz ein. Beim Lichtblick-Konzept folgt die Stromerzeugung dagegen grundsätzlich dem Strombedarf im Netz und den dabei erzielbaren Preisen, soweit sich dies mit dem Wärmebedarf des Kunden vereinbaren läßt.
Lichtblick kann so einerseits von der Vergütung für KWK-Strom profitieren (080302) und zugleich von den besonders hohen Preisen für Spitzenlast-Strom, der sich durch Starten der Gasmotoren binnen Minuten bereitstellen läßt. Durch zentrale Steuerung – die Übermittlung der Steuersignale soll per Mobilfunk erfolgen – könnten die bescheidenen Einzelleistungen von Tausenden solcher Kleinkraftwerke zur Leistung eines normalen Gaskraftwerks gebündelt werden. Lichtblick spricht sogar vollmundig davon, mit 100.000 Anlagen "mindestens zwei große Atomkraftwerke oder Kohlemeiler" zu ersetzen. "Man muss sich die Zuhause-Kraftwerke wie einen Fischschwarm vorstellen", erklärte der Vorstandsvorsitzende der Lichtblick AG, Christian Friege. "Viele kleine Einheiten bilden eine große, leistungsfähige Gemeinschaft, die SchwarmStrom erzeugt."
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) geriet ebenfalls ins Schwärmen: "Unflexible und gefährliche Atomkraftwerke sind von gestern", begrüßte er das Vorhaben in einer Pressemitteilung seines Ministeriums vom 9. September. "Die Zukunft liegt in der Kombination aus Erneuerbaren Energien und flexiblen Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen. Damit kann jeder ohne großen Aufwand zu Hause Strom und Heizwärme erzeugen."
In Wirklichkeit geht es aber nicht darum, Grundlastkraftwerke zu ersetzen. Die "Zuhause-Kraftwerke" sind vielmehr ein neues Geschäftsmodell, mit dem Lichtblick hohe Preise für Spitzenstrom sowie die KWK-Vergütung und Einnahmen aus dem Wärmeverkauf erzielen möchte. Als Abnehmer kämen sowohl der eigene Stromvertrieb als auch andere Interessenten in Betracht. Bei Vergütung durch die Netzbetreiber, die KWK-Strom vorrangig abnehmen müssen, wäre zumindest der "übliche Preis" gesetzlich garantiert. Nach § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 6 das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes kann Lichtblick für alle Anlagen, die bis 31. Dezember 2016 in Dauerbetrieb genommen werden, zehn Jahre lang einen Zuschlag in Höhe von 5,11 Cent pro Kilowattstunde beanspruchen. Besonderen Charme hat zusätzlich, daß die Wärmekunden einen Installationszuschuß von 5000 Euro leisten und ihren Heizungskeller für nur 5 Euro monatlich zur Verfügung stellen müssen. Für den Verbrauch der erzeugten Wärme haben sie dagegen einen monatlichen Grundpreis von 20 Euro plus 5,79 Cent pro Kilowattstunde zu zahlen (alle Preisangaben gelten vorläufig nur für Hamburg).
Die Hauseigentümer werden somit nicht Besitzer oder Betreiber der Anlagen. Sie schließen vielmehr mit Lichtblick einen Vertrag, der das Unternehmen zur Aufstellung der Anlagen in den Gebäuden berechtigt und sie als Wärmekunden verpflichtet. Der Vertrag bindet Lichtblick für zehn Jahre. Die Hauseigentümer können bereits nach zwei Jahren aussteigen, müßten sich dann aber auf eigene Kosten eine neue Heizung besorgen. Immerhin brauchen sie sich nicht um Betrieb und Wartung der Anlage zu kümmern. Zudem sollen sie mit 0,5 Cent pro Kilowattstunde am Erlös des eingespeisten Stroms beteiligt werden, was wie die 5 Euro monatliche Miete allerdings eher symbolische Erträge ergäbe.
Die Idee solcher kleinen Blockheizkraftwerke für den häuslichen Heizungskeller ist nicht neu und wird durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ausdrücklich gefördert. Die EnBW erprobt ähnliches mit Brennstoffzellen vom Typ Sulzer Hexis HXS, die allerdings für eine Wärmeleistung von maximal 24,5 Kilowatt ausgelegt sind und die elektrische Leistung von maximal einem Kilowatt quasi nebenbei ins Netz einspeisen (010220). Im Unterschied dazu setzt Lichtblick auf erprobte BHKW-Technologie und stromgeführten Einsatz. Technisch dürfte die Umsetzung des Konzepts kaum Schwierigkeiten bereiten. Die Frage ist eher, ob das kaufmännische Kalkül aufgeht. Im Testmarkt Hamburg steht Lichtblick von vornherein nur jener Teil des Wärmemarkts zur Verfügung, der nicht von der gut ausgebauten Fernwärmeversorgung besetzt ist, weil sonst nach § 5 Abs. 2 des KWK-Gesetzes der Anspruch auf KWK-Vergütung erlischt.
Wie Lichtblick und Volkswagen am 9. September mitteilten, haben sie an diesem Tag einen Vertrag über die Lieferung der kleinen Blockheizkraftwerke unterzeichnet. Volkswagen wird die Anlagen im Werk Salzgitter herstellen und damit etwa 160 Mitarbeiter beschäftigen. Basis des Blockheizkraftwerks mit der Bezeichnung "EcoBlue" ist ein gasbetriebener Pkw-Motor. Nach Angaben von VW wurde die Kooperation mit Lichtblick bereits im Rahmen der Tarifrunde 2006 zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat vereinbart. Der VW-Betriebsrat sehe darin einen "ersten wichtigen Schritt zur alternativen Beschäftigung neben der herkömmlichen Motorenproduktion". Die Aufnahme der BHKW-Fertigung sei Bestandteil der Bemühungen um die Entwicklung umwelteffizienter und innovativer Technologien unter der Marke "BlueMotion".
Lichtblick trat 1999 erstmals als Ökostrom-Anbieter an (991019). Das Unternehmen betrieb seine Werbung mit dezent umweltschützerischem Pathos und grenzte sich gegenüber allzu schrillen Tönen der Branche ab (991124). Es konnte sich wiederholt gegen etablierte Konkurrenten durchsetzen (040411, 041016), erprobte neue Vertriebswege (010908) und war mehrfach an Auseinandersetzungen um die Netznutzung beteiligt (991109, 011006, 051002). Seinen neuesten juristischen Erfolg erzielt es mit einer Klage gegen den Regionalversorger EnviaM, der seinen Tarifkunden den überwiegend aus zertifiziertem Atomstrom bestehenden RWE-Tarif "ProKlima Strom 2011" (081109) mit auch juristisch fragwürdigen Praktiken unterzujubeln versuchte (090916). Lichtblick spielte eine maßgebliche Rolle bei der Gründung der "Initiative pro Wettbewerb" im Jahr 2000 (000910) sowie zwei Jahre später bei der Gründung des Bundesverbands Neuer Energieanbieter (BNE) (021013). Neuerdings dringt das Unternehmen gemeinsam mit dem BNE vor allem auf eine Vereinheitlichung der vier Regelzonen (080408). Seit 2008 hat es auch mit "Bioerdgas" aufgepepptes Erdgas im Angebot (081118). Nach eigenen Angaben verfügt es inzwischen über 530.000 Strom- und Gaskunden. Allerdings ist auch der von Lichtblick gelieferte Strom nicht so lupenrein "öko", wie sich das mancher Kunde vorstellt (080614).
Seit Juli dieses Jahres hat die bisherige LichtBlick – die Zukunft der Energie GmbH & Co KG das operative Geschäft abgegeben und firmiert unter dem neuen Namen Turina Holding GmbH & Co. KG. Zugleich wurde ihr Ökostrom- und Gashandelsgeschäft in die neue Tochter LichtBlick AG ausgegliedert. Die Aktien dieser Tochter werden nicht an der Börse gehandelt, sondern gehören durchweg der Turina Holding GmbH & Co. KG. Diese Holding befindet sich nach eigenen Angaben "zu 100 Prozent in Privatbesitz vornehmlich Hamburger Kaufleute". Geschäftsführende Gesellschafter sind Wilfried Gillrath und Heiko von Tschischwitz.
Die Turina Holding besitzt neben der LichtBlick AG maßgebliche Beteiligungen
an den Firmen Choren (Biokraftstoffe der zweiten Generation und Biomasse-Vergasung),
Concord Power (Kraftwerks- und Pipeline-Entwicklung sowie -beteiligungen) und ESR
Energie Sulzbach-Rosenberg (Strom- und Wärmeerzeugung aus Biomasse). Die Concord
Power wollte ursprünglich am Standort Lubmin ein Gaskraftwerk errichten, hat
das Projekt aber inzwischen an den E.ON-Konzern verkauft, der es gemeinsam mit Gazprom
verwirklichen will (080303). Außerdem verfügt
sie über die Rechte zum Bau der Pipeline "Nordal", die aber durch die
parallel dazu geplante Pipeline "Opal" von Wingas und E.ON stark an Wert
verloren haben (090306).