August 2010

100810

ENERGIE-CHRONIK


 

Mit jeweils eigenen Prospekten für Stadtwerke, sonstige Energievertriebe und Letztverbraucher empfiehlt sich die Telekom als Dienstleister für die schöne neue Welt des "Smart Metering"

Telekom steigt ins Geschäft mit "intelligenten Zählern" ein

Die unkritische Begeisterung für sogenannte intelligente Zähler flaut allmählich ab. "Die Kosten sind oft weit größer als der Nutzen", konstatierte der "Spiegel" (16.8.) in einem Artikel über "Smart Metering". Als Folge der zunehmenden Skepsis stellen Gerätehersteller und Meßdienstleister mit Bedauern fest, daß ihr Geschäft hinter den Erwartungen zurückbleibt. Die Branche verfügt jedoch nach wie vor über eine solide Grundlage in den Vorgaben, die vor zwei Jahren mit dem "Gesetz zur Öffnung des Meßwesens bei Strom und Gas" (080301, 080601) in das Energiewirtschaftsgesetz eingefügt wurden. Auch auf EU-Ebene ist es der Zähler-Lobby gelungen, die Politiker von angeblich enormen Energieeinsparungen und sonstigen Vorzügen der "intelligenten Zähler" zu überzeugen (090303). Daß den Kosten tatsächlich kein entsprechender Nutzen gegenübersteht, spielt unter diesen Umständen kaum noch eine Rolle. "Smart Metering" wird den Verbrauchern praktisch aufgedrängt. Inzwischen will sogar die Telekom massiv in das neue Geschäftsfeld einsteigen. In Verbindung damit scheint sie auch einen eigenen Stromvertrieb zu erwägen.

Gemäß § 21b EnWG müssen seit 1. Januar 2010 in allen Neubauten elektronische Zähler installiert werden, "soweit dies technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar ist". Die Energieversorger sind verpflichtet, elektronische Meßeinrichtungen anzubieten und deren Betrieb zu ermöglichen. Durch § 40 EnWG wird ihnen außerdem ab 2011 auferlegt, grundsätzlich lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife anbieten, die sich mit elektronischen Zählern nutzen lassen. Sofern der Letztverbraucher es wünscht, sind Stromrechnungen auch monatlich, viertel- oder halbjährlich zu erstellen. Die Entgelte für den Meßstellenbetrieb und die Messung sind dabei wie die Netzentgelte gesondert auszuweisen.

Unter Verweis auf die neuen gesetzlichen Regelungen empfiehlt sich die Telekom als Dienstleister für alle "Smart-Metering-Lösungen". Mit jeweils eigenen Prospekten umwirbt sie Stadtwerke, Stromvertriebe und Letztverbraucher. Sie bietet nicht nur das Ablesen sämtlicher Zähler für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme an, sondern auch die aktive Steuerung von Thermostaten, Heizungsanlagen oder elektrischen Geräten. "Der Zukunftsmarkt Energie ist ein wichtiger Teil der neuen Strategie der Deutschen Telekom", bekräftigte Vorstandsmitglied Reinhard Clemens gegenüber dem "Handelsblatt" (18.8.).

Ablesen der Stromzähler könnte ein lukratives Geschäft wie die Heizkostenabrechnung werden

Die von der Telekom beabsichtigte Integration aller Meßdienstleistungen ist nur konsequent: Schon seit Jahren ist das Ablesen von Wärmezählern und die Auswertung der Daten ein ein lukratives Geschäft, weil die Heizkostenverordnung die "verbrauchsabhängige Abrechnung" verbindlich vorschreibt. In der Folge entstand ein neues Gewerbe, das diese Dienstleistung übernimmt. Prinzipiell könnte auch der Hauseigentümer die verbrauchsabhängige Abrechnung durchführen. Er darf dann aber dafür keine Kosten geltend machen. Die Rechnungen der Meßdienstleister können die Hausverwaltungen dagegen ohne weiteres auf Mieter bzw. Wohnungseigentümer abwälzen. Das ist auch ein Grund für die stark überhöhten Preise in dieser Branche. Inzwischen entfallen etwa 15 Prozent der Heizkostenabrechnungen allein auf die "Heiznebenkosten", die hauptsächlich aus den Kosten für die Meßdienstleister bestehen.

Das Ablesen von Stromzählern könnte zu einem ähnlich lukrativen Geschäftszweig werden, nachdem das "Gesetz zur Öffnung des Meßwesens bei Strom und Gas" den ersten Schritt zur zwangsweisen Einführung der elektronischen Zähler mit Fernablesung getan hat. Die seit Anfang 2010 obligatorische Ausrüstung von Neubauten mit elektronischen Zählern läßt notwendigerweise ein entsprechend spezialisiertes Dienstleistungsgewerbe entstehen. Im Prinzip könnten die Netzbetreiber wie bisher die Zählerablesung und Auswertung der Daten übernehmen. Die veränderten technischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen begünstigen aber die Auslagerung des wesentlich aufwendiger gewordenen Geschäfts in juristisch eigenständige Töchter oder die Übertragung an Dritte, die sich wie die Telekom als Spezialisten für "massenmarktfähige Smart-Metering-Lösungen" empfehlen.

Verbraucher wollen realen Nutzen sehen

Zweifelsfrei profitabel ist "smart metering" nur für die damit befaßten Dienstleister und Gerätehersteller. Ferner könnten Stromanbieter an einer lastvariablen Differenzierung ihrer Preise interesssiert sein. Der Nutzen für Umwelt und Verbraucher durch Energie- und Kosteneinsparung wurde dagegen bisher stark übertrieben. Der emsigen Propaganda der Lobby erlagen nicht nur Politiker, sondern auch Verbraucherorganisationen und Umweltverbände. Den Endverbrauchern versprach man, sie könnten künftig durch bessere Kontrolle und Steuerung des Stromverbrauchs am häuslichen Bildschirm ihre Kosten senken. Deren PC-Spieltrieb und Bereitschaft, sich am Bildschirm auf ein zeitraubendes Strommanagement einzulassen, halten sich aber offenbar in Grenzen. Bei einer Umfrage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) erklärten sich zwar 69 Prozent der Befragten mit dem kostenlosen Einbau eines elektronischen Zählers einverstanden. Aber nur vier Prozent wären bereit, die Anschaffungskosten für einen solchen Zähler zu tragen. Für 25 Prozent müßte sich die Anschaffung zumindest rentieren, indem der Preis niedrig und die Einsparmöglichkeiten groß sind. Die Umfrage wurde im Auftrag des vzbv vom Institut Forsa Ende April durchgeführt und Ende Mai veröffentlicht (siehe Link).

Kleine Energieversorger scheuen zusätzlichen Aufwand

Auch die Energieversorger sind nicht durchweg glücklich mit der gesetzlichen Neuregelung, die von der Zähler-Lobby mit phantasievoll ausgemalten Energieeinspar-Szenarien durchgesetzt wurde. Die meisten bieten ohnehin schon Schwachlasttarife an, die mit konventionellen Zweitarifzählern genutzt werden können. Vor allem kleineren Unternehmen bangt vor dem Aufwand, den die Umstellung auf elektronische Fernablesung und Auswertung der Zählerdaten erfordert. Entsprechend groß ist ihre Bereitschaft, das grundlegend veränderte Geschäftsfeld nun Dienstleistern wie der Telekom zu überlassen.

Konzerne arbeiten an eigenen Entwicklungen

Die vier Energiekonzerne und andere große Versorger verfügen dagegen über genügend Ressourcen, um die komplizierter gewordene Zählerablesung in eigener Regie zu einem lukrativen Geschäftsfeld zu entwickeln. Schon im Herbst 2007 warb die EnBW-Vertriebstochter Yello mit sogenannten "Sparzählern" (071012). Kurz darauf präsentierte Vattenfall seinen "Profizähler" (071113). Der RWE-Konzern kündigte Anfang 2008 Pilotversuche mit digitalen Zählern an, die er als "Smart Meter" bezeichnete (080214). Im Oktober 2008 bot die Energie Baden-Württemberg (EnBW) ihren Haushaltskunden die Umstellung auf elektronische Zähler an (081013).

Bundesnetzagentur formuliert Mindestanforderungen

Die Bundesnetzagentur versucht schon seit geraumer Zeit, die Anforderungen an "intelligente" Zähler näher zu regeln (090312, 090710). Ende Juni präsentierte sie ein Positionspapier mit technischen Mindestanforderungen, denen die Geräte gerecht werden sollten. Beispielsweise sollen sie einen Überblick über den Verbrauch des jeweils letzten Zeitabschnitts ermöglichen (Tag, Woche, Monat). Die Nutzungszeit sollte mindestens in zwei getrennten Abteilungen dargestellt werden, beispielsweise bei Tag und bei Nacht. Die Art der grafischen Darstellung – etwa Balken- oder Kuchendiagramm – überläßt die Behörde den Meßstellenbetreibern. Sämtliche Verbrauchsdaten müssen sich aber vom Netzbetreiber oder einem Dritten elektronisch auslesen lassen. Ferner sollen alle Geräte die Möglichkeit bieten, auch am häuslichen PC ausgelesen zu werden. Die Kosten für die "intelligenten" Zähler müssen von den Netzbetreibern in einen wettbewerblichen und einen regulierten Bereich aufgeteilt werden. Während der regulierte Bereich in den Berechnungsgrundlagen der Anreizregulierung berücksichtigt wird, sind wettbewerbliche Kosten nicht anerkennungsfähig.

Miele präsentiert erstmals "smart-grid-fähige Haushaltsgeräte"


Durch ein Zusatzmodul läßt sich dieser Waschautomat von Miele so programmieren, daß er einen günstigeren Stromtarif nutzt.
Pressefoto Miele

Auf der Elektronik-Messe IFA, die vom 3. bis 8. September in Berlin stattfindet, präsentiert die Firma Miele erstmals "smart-grid-fähige Haushaltsgeräte", die über ein Zusatzmodul per PC so programmiert werden können, daß sie automatisch den günstigsten Stromtarif nutzen. Es handelt sich um eine Waschmaschine und einen Trockner, also um jene Haushaltsgeräte, die sich noch am ehesten zeitvariabel nutzen lassen. Das Problem, daß eine um Mitternacht laufende Waschmaschine den nachbarschaftlichen Frieden stören könnte, wird dadurch aber nicht gelöst. Außerdem bleibt die Mühe des manuellen Programmierens. Eine automatische Übertragung der jeweils geltenden lastvariablen Tarife des Versorgers auf das Steuerungsmodul wäre zwar technisch machbar, ist aber im Anforderungskatalog der Bundesnetzagentur bisher wohlweislich nicht vorgesehen, um kleinere Versorger nicht zu überfordern.

Auf die Leistungsmessung bei Haushalten könnte durchaus weiter verzichtet werden

Unter "intelligenten" Zählern werden elektronische Meßeinrichtungen verstanden, die eine Fernablesung der Verbrauchsdaten per Funk oder DSL in Echtzeit ermöglichen. Konventionelle Haushaltsstromzähler registrieren die elektrische Arbeit (in Kilowattstunden) am Ort des Verbrauchs und müssen dort abgelesen werden. Die jeweils aus dem Netz bezogene Leistung (in Kilowatt) zeigen sie nur durch eine mehr oder minder schnell rotierende Aluminiumscheibe an (080410). Elektronische Zähler erfassen im Grunde ebenfalls nur Arbeit und Leistung. Sie registrieren aber beide Größen genauer und im zeitlichen Verlauf. In Verbindung mit der Fernablesung wird so die Einführung leistungsabhängiger Tarife auch für Haushalt möglich. Bisher gibt es eine viertelstündliche Leistungsmessung nur für Großverbraucher. Bei Haushalten spielt dagegen die Höhe der Leistungsaufnahme grundsätzlich keine Rolle. Sie wird nur durch die Belastbarkeit der Stromkreise begrenzt, die in der Regel mit 16 Ampere abgesichert sind. Es besteht auch keinerlei Notwendigkeit, daran etwas zu ändern, da sich der Gesamtverbrauch der Kleinkunden gut prognostizieren läßt und der Leistungsbezug eines einzelnen Haushalts völlig irrelevant ist.

Einspar-Versprechungen halten der Realität nicht stand

Das Versprechen der Energie- und Kosteneinsparung durch "intelligente" Zähler gründet sich hauptsächlich auf die mögliche Nutzung lastvariabler Tarife. Die Energieeinsparung soll sich durch ein effektiveres Lastmanagement ergeben, das verstärkt die Verbraucher einbezieht ("Demand-Site-Management"), und die Kosteneinsparung aus der Weitergabe der damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile an den Kunden. Beide Annahmen stehen auf schwachen Füßen. In jedem Falle wäre Voraussetzung, daß die Verbraucher ihre elektrischen Geräte nicht mehr zu einem beliebigen Zeitpunkt einschalten, sondern dann, wenn der Strom gerade billiger ist. Das ist selbst bei Waschmaschinen, Trocknern und Kühlgeräten nur sehr begrenzt möglich. Völlig unzumutbar und realitätsfremd wäre eine zeitliche Verlagerung des Stromverbrauchs bei fast allen anderen Geräten.

Ein beliebtes Argument ist ferner, daß der Haushaltskunde seine Verbrauchsdaten auf dem Bildschirm betrachten könne. Er könne so eine bessere Kontrolle über seinen Stromverbrauch erlangen und "Stromfresser" ausfindig machen. In Wirklichkeit ist aber eine auf dem Bildschirm dargestellte Arbeits- und Leistungskurve nicht viel aussagekräftiger als der althergebrachte Blick auf den Zähler. Einzelne "Stromfresser" werden hier wie dort nicht angezeigt. Um den Verbrauch einzelner Geräte am Bildschirm ablesen zu können, müßten diese Geräte erst selber noch mit einer entsprechenden "intellligenten" Elektronik ausgestattet werden. Dasselbe gilt für die automatische Nutzung lastvariabler Tarife.

In jedem Fall wäre die Einsparung für Haushalte nur gering. Laut "Spiegel" (16.8.) errechnete der Aachener Energieberater Peter Klafka eine Summe von jährlich 21,50 Euro. Das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste in Bad Godesberg sei auf 9 bis 42 Euro gekommen. Selbst die Bundesnetzagentur, die "Smart Metering" erklärtermaßen vorantreiben will, kalkuliere nur mit 12 bis 50 Euro. Diesem "überschaubaren Nutzen" stünden neben der einmaligen Gebühr für den Austausch des Zählers jährlich anfallende Dienstleistungsgebühren zwischen 60 und 240 Euro gegenüber. "Unterm Strich also legt der Verbraucher gewaltig drauf."

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