November 2010 |
101105 |
ENERGIE-CHRONIK |
Obwohl zunächst auch einige CDU-regierte Länder ihren Widerstand bekundeten, hat der Bundesrat am 26. November die von der schwarz-gelben Mehrheit des Bundestags am 28. Oktober beschlossene Atom-Gesetzgebung passieren lassen, ohne von seiner Einspruchsmöglichkeit nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen. Neben der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke im Atomgesetz gehören dazu die neue Brennelemente-Steuer und die Einrichtung eines sogenannten Klimafonds (101002).
Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich lediglich um sogenannte Einspruchsgesetze, die letztendlich nicht der Zustimmung der Ländervertretung bedürfen. Bei der Änderung des Atomgesetzes ist dies allerdings strittig, zumal die schwarz-gelbe Koalition einen juristischen Trick angewendet hat, um die Zustimmungspflichtigkeit zu umgehen (100904). Die Brennelemente-Steuer berührt zumindest finanzielle Interessen der Länder: Sie erhöht zwar die Einnahmen des Bundes, schmälert aber zugleich die Einnahmen der Kommunen aus der Körperschafts- und Gewerbesteuer insoweit, als sie von den KKW-Betreibern als gewinnmindernde Betriebsausgabe abgesetzt werden kann.
Auch CDU-regierte Länder erwogen deshalb zunächst, dem Kernbrennstoffsteuergesetz ihre Zustimmung zu versagen und nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes den Vermittlungsausschuß einzuberufen. Der Bundesrat hätte damit das Gesetz zwar nicht verhindern, aber bei Ausnutzung aller Möglichkeiten von Artikel 77 doch monatelang verzögern können. Die schwarz-gelbe Koalition wäre so unter Druck geraten, den Ländern bzw. deren Kommunen eine finanzielle Entschädigung für die Ausfälle bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer zu gewähren.
Am 12. November faßten die Bundesratsausschüsse für Umwelt und Finanzen tatsächlich entsprechende Empfehlungen. "Durch die Brennelementesteuer wird der Bund finanziell bevorteilt", hieß es in der Empfehlung des Umweltausschusses, den Vermittlungsausschuß einzuberufen. Der Bund müsse deshalb den Ländern und Gemeinden eine finanzielle Entschädigung gewähren. Deren Umfang hänge davon ab, wieweit es den KKW-Betreibern gelinge, die neue Steuer auf die Verbraucher abzuwälzen. Auf Basis des von der Bundesregierung erwarteten Steueraufkommens von 2,3 Milliarden Euro jährlich würden bundesweit etwa 690 Millionen Euro weniger an Körperschafts- und Gewerbesteuer anfallen, falls die Brennelemente-Steuer nicht mit dem Strompreis auf die Verbraucher überwälzt würde.
Kurz danach verließen die CDU-regierten Länder aber die Linie des gemeinsamen Widerstands mit den SPD-regierten Ländern gegen das Kernbrennstoffsteuergesetz. Am 15. November beschlossen die Ausschüsse für Umwelt, Finanzen, Inneres und Wirtschaft, dem Bundesrat den Verzicht auf die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu empfehlen. Zwar drohten verschiedene CDU-Regierungschefs noch am 25. November damit, der schwarz-gelben Koalition bei der Brennelementesteuer die Gefolgschaft zu versagen. Anscheinend diente dies aber nur der Einstimmung auf ein "Kamingespräch" mit der Bundeskanzlerin, das am Abend desselben Tages in der hessischen Landesvertretung stattfand. Die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einigte sich dabei mit den CDU-Ministerpräsidenten auf die Einsetzung einer Arbeitsgruppe aus den Finanzministern von Bund und Ländern, die bis Ende 2012 die Einnahmeausfälle aus der Körperschafts- und Gewerbesteuer beziffern soll. Auf dieser Grundlage soll dann eine Entschädigung geprüft werden. Am folgenden Tag ließ die Bundesratsmehrheit das Kernbrennstoffsteuergesetz ebenso anstandslos passieren wie das geänderte Atomgesetz.
Der Hickhack um das Kernbrennstoffsteuergesetz zeigte immerhin, daß diese neue Steuer nicht in erster Linie die KKW-Betreiber belastet, sondern letztendlich zu Lasten von Verbrauchern und Kommunen geht. Bisher haben alle Bundestagsparteien entweder ignoriert oder bestritten, daß die neue Steuer eigentlich die Verbraucher belastet, weil die KKW-Betreiber sie auf die Preise überwälzen werden (100704). Auch die Bundesregierung ging in der Begründung des Gesetzentwurfs davon aus, "daß eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten nur in geringem Umfang möglich sein wird". Nun wird allmählich offenbar, daß entweder die Verbraucher, die Kommunen oder beide die Leidtragenden sind.
Das Mainzer Kabinett beschloß am 16. November unter der Leitung von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), daß Rheinland-Pfalz gemeinsam mit den Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Berlin und Bremen einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht einreichen wird, falls die vom Bundestag beschlossene Änderung des Atomgesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft treten sollte. Das Gesetz berühre offensichtlich die Verwaltungshoheit der Länder, weshalb der Bundesrat zustimmen müsse, sagte Beck. Auch der Rechtsausschuß des Bundesrates faßte mit den Stimmen der Länder Hamburg (CDU/Grüne) und Saarland (CDU/FDP/Grüne) eine entsprechende Entschließung.