Mai 2012 |
120502 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und der neue Umweltminister Peter Altmaier (CDU) trafen sich am 23. Mai mit den Ministerpräsidenten der Länder in Berlin, um gemeinsam die sogenannte Energiewende voranzubringen. Anschließend verkündete Merkel, daß man dieses Treffen "auf der Chefebene" künftig halbjährlich wiederholen werde, "um Fortschritte und nicht erledigte Aufgaben zu identifizieren". Die Kanzlerin hat damit die Energiepolitik, die eigentlich in die Ressorts der beiden Minister für Wirtschaft und Umwelt fällt, demonstrativ zur Chefsache erklärt, um die sie sich künftig persönlich kümmern will.
Die Schaffung eines einheitlichen Energieministeriums lehnte die Kanzlerin jedoch ab. "Es gibt sehr gute Gründe, die Aufsicht über die Kernkraftwerke ministeriell getrennt von dem Betrieb von Kraftwerken zu betrachten", sagte sie zur Begründung, weshalb sich beide Ministerien weiterhin die Zuständigkeit teilen sollen.
Bei einem regulären Treffen mit den Ministerpräsidenten am 14. Juni werde man als erstes über einen Zeitplan zur Umsetzung des ersten Netzentwicklungsplans beraten, den die vier Transportnetzbetreiber am 30. Mai vorlegten (120508). Ferner habe man sich über die Schaffung von "Kapazitätsmärkten" (111104) verständigt, um "den Ausbau der erneuerbaren Energien mit der Notwendigkeit von grundlastfähigen Kraftwerken, die auch gebaut werden müssen, zu harmonisieren". Schließlich habe man über die zwischen Bund und Ländern strittigen Energiefragen gesprochen, die derzeit den Vermittlungsausschuß beschäftigen. Vor allem bei den Themen Gebäudesanierung (111019) und Kürzung der Solarstrom-Förderung (120504) dränge die Zeit. Eine spezielle Arbeitsgruppe werde deshalb das Vermittlungsverfahren "so vorbereiten, daß wir noch vor der Sommerpause eine Einigung hinbekommen werden".
Die sogenannte Energiewende war bisher kein Ruhmesblatt für die Kanzlerin und ihre Regierung. Es fing schon damit an, daß die schwarz-gelbe Koalition im März 2011 unter dem Druck der Katastrophe von Fukushima schlagartig die Stillegung von acht Kernkraftwerken verfügte (110501). Diese überzogene Entscheidung mißachtete alle netztechnischen Gegebenheiten. Sie läßt sich nur so erklären, daß man es aus Gründen der politischen Dramaturgie nicht dabei bewenden lassen wollte, einfach zur alten Ausstiegsregelung zurückzukehren (110301). Die Bundesregierung verschärfte so die bereits vorhandenen Probleme, die sich aus der "Liberalisierung" des Strommarktes in Verbindung mit der zunehmenden Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ergeben hatten (100101, 101011, 110114). Die Bundesnetzagentur bescheinigte der Regierung auch mehrfach – natürlich in der für eine Behörde gebotenen diskreten Form – , wie ignorant sie vorgegangen war (110401, 120503). Hinzu kam das Gerangel zwischen den jeweiligen Wirtschafts- und Umweltministern, die sich als Energiepolitiker vor allem persönlich und parteipolitisch zu profilieren versuchten (120214). Die immer umfangreichere Gesetzgebung zum Energierecht trug auch nicht viel zur Lösung der Probleme bei. Sie hatte eher den Charakter von Flickschusterei und machte alles noch unübersichtlicher (110602, 110704). Ebenso war die Bundesnetzagentur trotz ihrer immer weiter ausgreifenden Vollmachten als Regulierungsbehörde überfordert damit, die Eigengesetzlichkeiten und Widersprüche des liberalisierten Energiemarktes mit den Erfordernissen der "Energiewende" in Übereinstimmung zu bringen (siehe Hintergrund). Zu allem Überfluß stiegen die Strompreise unentwegt weiter und belasteten die Endverbraucher immer stärker, statt ihnen die versprochenen Segnungen des Wettbewerbs zu bescheren (120506).
Daß die Kanzlerin am 16. Mai Knall auf Fall den Umweltminister Norbert Röttgen entließ und durch ihren Vertrauten Peter Altmaier ersetzte, hatte auch mit dem verblassenden Ansehen des Umweltministers zu tun. Es war aber in erster Linie eine Reaktion auf Röttgens Wahlniederlage im wichtigsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, die unter dem Druck der Schwesterpartei CSU zustande kam und in großen Teilen der CDU auf Unverständnis stieß (120501). Damit hat sich die Kanzlerin innerhalb ihrer Partei selber beschädigt. Sie hat somit allen Grund, nunmehr in der Pose der zupackenden Chefin aufzutreten, die nicht vor der Entlassung von unfähigem Personal zurückschreckt und notfalls die Dinge selber in die Hand nimmt. Über kurz oder lang wäre das sich abzeichnende Debakel bei der "Energiewende" sowieso nicht mehr zu verheimlichen gewesen und letztendlich ihr angekreidet worden.
Das Schlagwort "Energiewende" steht für den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und die Erhöhung der Energieeffizienz bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie sowie möglichst geringem Einsatz von fossilen Brennstoffen. Ursprünglich wurde es von der Umweltbewegung geprägt, die damit ihre entschiedene Ablehnung der herrschenden Energiepolitik von Regierung und Konzernen zum Ausdruck bringen wollte. MIt den rot-grünen Bundesregierungen ab 1998 gelangte es erstmals ins regierungsamtliche Vokabular. Es verschwand daraus aber wieder, als ab 2005 eine Große Koalition aus Union und SPD regierte. Die 2009 folgende Koalition aus Union und FDP vermied das Wort ebenfalls peinlichst, da sie sogar eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke anstrebte und durchsetzte (101214). Erst mit ihrer atompolitischen Volte im März 2011 übernahm die schwarz-gelbe Koalition die "Energiewende" auch in ihren Sprachgebrauch. Sie strapazierte seitdem den mittlerweile "weichgespülten" Begriff noch erheblich mehr, als dies einst unter der rot-grünen Bundesregierung der Fall war.