September 2013

130901

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die Initiative "Unser Hamburg – unser Netz", die den erfolgreichen Volksentscheid erwirkte, wird von über 45 Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Kirche, Verbraucher- und Mieterschutz getragen. Zu den sechs Gründungsmitgliedern gehörten attac, BUND und Verbraucherzentrale.

 

Hamburger votieren bei Volksentscheid für hundertprozentige Rekommunalisierung der Energienetze

Die Hamburger Bürger haben sich am 22. September bei einem Volksentscheid mit einer knappen Mehrheit von 50,9 Prozent für die vollständige Rekommunalisierung der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag mit 68,2 Prozent fast so hoch wie bei der gleichzeitig durchgeführten Bundestagswahl (69,6 Prozent). Das Ergebnis des Volksentscheids zwingt die regierende SPD unter Bürgermeister Olaf Scholz, ihre bisher ablehnende Haltung gegenüber einer hundertprozentigen Rekommunalisierung aufzugeben.


Ein ähnlicher Volksentscheid wie in Hamburg steht am 3. November in Berlin an. Dabei geht es um die Rekommunalisierung des Stromnetzes und die Neugründung von Stadtwerken.

Schon am 25. September billigte das Parlament der Hansestadt einen von der SPD eingebrachten Fahrplan zur Einleitung der notwendigen Schritte. Zunächst soll versucht werden, die betroffenen Versorger Vattenfall (Strom/Fernwärme) und E.ON (Gas) zum Verkauf ihrer bisher mehrheitlichen Beteiligung an den Netzen zu bewegen. Die Stadt Hamburg könnte dadurch ihrer bestehenden Viertelbeteiligungen an den drei Netzbetreibern auf hundert Prozent erhöhen.

Allerdings werden Vattenfall und E.ON kaum bereit sein, ihre Mehrheitsbeteiligungen zu einem akzeptablen Preis zu überlassen. Wahrscheinlicher ist deshalb, daß der Senat von der Rückgabemöglichkeit Gebrauch macht, die er sich beim Erwerb der Viertelbeteiligungen an den Netzen ausbedungen hat, um den sich bereits abzeichnenden Volksentscheid nicht zu präjudizieren. Er wird dann eigene kommunale Netzgesellschaften gründen müssen, die sich in Konkurrenz zu den bisherigen Netzbetreibern um die Neuvergabe der auslaufenden Konzessionsverträge bewerben. Besonders dringlich ist die Bewerbung um die 2014 auslaufende Konzession für das Stromnetz, die bis Januar nächsten Jahres angemeldet werden muß. Die Konzession für das Gasnetz endet 2016. Die Fernwärmeversorgung müßte nicht neu ausgeschrieben werden, doch bestreitet hier Vattenfall ein Rückkaufrecht der Stadt.

Privatisierung der Energieversorgung gilt heute als verhängnisvolle Fehlentscheidung

Ein Rückkauf der Energienetze würde die Stadt Hamburg Schätzungen zufolge rund zwei Milliarden Euro kosten. Wenn die Mehrheit der Bürger dennoch für eine hundertprozentige Rekommunalisierung votiert, zeigt dies deutlich, daß die parallel zur "Liberalisierung" des Energiemarkts vor 15 Jahren einsetzende Privatisierung von kommunalen Energieversorgern heute als verhängnisvolle Fehlentscheidung gesehen wird.

Die Energieversorgung der Hansestadt oblag einst vollständig den "Hamburgischen Electricitätswerken" (HEW). In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre begann die in Hamburg regierende SPD jedoch mit der Privatisierung der HEW (970105), die im Herbst 2000 eine Tochter des Vattenfall-Konzerns wurden (001002) und schließlich völlig in diesem aufgingen (020106). Die HEW-Tochter Hein Gas, die für die Gasversorgung zuständig war, gelangte im Wege eines Tauschhandels an die E.ON Hanse, wofür Vattenfall das E.ON-Aktienpaket an der Berliner Bewag erhielt (020907). In ähnlicher Weise wurde die Bewag von der in Berlin regierenden schwarz-roten Koalition sukzessive privatisiert. Am Ende waren HEW und Bewag nur noch Vertriebsmarken des Vattenfall-Konzerns, bis auch diese liquidiert und durch englischsprachige Vertriebsbezeichnungen ersetzt wurden (051113, 130309).

Mit "Hamburg Energie" und einer Viertelbeteiligung an den Netzen wollte der Senat den zunehmenden Unmut bremsen

Wegen der zunehmenden Unzufriedenheit mit Vattenfall und der gesamten Privatisierung im Energiebereich, zu deren Sprecher sich die damals mitregierenden Grünen machten, kam es 2009 zur Gründung der "Hamburg Energie" als neuem kommunalen Vertriebsunternehmen für Strom (090511, 130511). Außerdem erwarb der Senat, der seit 2011 wieder allein von der SPD gestellt wird, von Vattenfall und E.ON jeweils eine Viertelbeteiligung an den Netzen für Strom, Gas und Fernwärme (111107). Aus der so entstandenen "Vattenfall Stromnetz Hamburg GmbH" verschwand ab April 2013 der Name Vattenfall (130309). Dies alles reichte freilich nicht aus, die Kampagne für einen Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Netze zu bremsen, die ein breites Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen unter dem Motto "Unser Hamburg – unser Netz" betrieb (120313). Auch eine massive Werbekampagne, die Vattenfall kurz vor dem Volksentscheid unter Verletzung der Vorschriften für die operationelle Entflechtung von Netz und Vertrieb startete (130812), fruchtete nicht viel, wie das Ergebnis der Abstimmung zeigt.

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