Dezember 2013

131211

ENERGIE-CHRONIK


Putin läßt Chodorkowskij nach zehn Jahren frei

Der frühere Chef des russischen Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowskij, wurde nach über zehn Jahren Haft am 20. Dezember von Kremlchef Putin "begnadigt". Noch am selben Tag verließ er das Straflager an der finnischen Grenze und flog mit einer Privatmaschine nach Berlin. Das Flugzeug hatte ein deutscher Unternehmer zur Verfügung gestellt, der mit dem früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher befreundet ist. Genscher war von Chodorkowskijs Anwälten gebeten worden, sich für die Freilassung ihres Mandanten einzusetzen.

Der Yukos-Chef hatte politische Tabus verletzt

Mit der Verhaftung und anschließenden Verurteilung Chodorkowskijs hatte Putin 2003 den neureichen "Oligarchen" signalisiert, daß er ihnen ihre Riesenvermögen, die sie unter dubiosen bis kriminellen Umständen zusammengerafft hatten, nur bei politischem Wohlverhalten belassen würde. Vor allem machte er damit deutlich, daß die Machthaber im Kreml den Großteil der Erlöse aus dem Export der russischen Bodenschätze für sich selber beanspruchen und deshalb einen Ausverkauf der russischen Gas- und Ölförderung an ausländische Konzerne nicht dulden würden. Chodorkowskij hatte diese politischen Tabus verletzt, indem er auf liberale Reformen drängte, oppositionelle Medien förderte und mit US-Konzernen über den Einstieg in sein Ölunternehmen Yukos verhandelte (031117).

Dem ersten Prozeß folgte noch eine zweite Verurteilung

In einem ersten Verfahren wurden Chodorkowskij und sein Geschäftspartner Lebedew am 16. Mai 2005 zu je neun Jahren Straflager verurteilt (050610). Ein Berufungsgericht reduzierte die Strafe anschließend auf acht Jahre (050914). Im Februar 2007 brachte Putin ein zweites Strafverfahren in Gang, um beide noch länger inhaftieren zu können (070214). Es endete am 30. Dezember 2010 mit einer Verlängerung der Haft auf jeweils 14 Jahre. Aber auch hier folgten anschließend wieder Abstriche am Strafmaß, so daß Chodorkowskij und Lebedew in ein paar Monaten ohnehin entlassen worden wären. Die vorzeitige Freilassung Chodorkowskijs zeigt, daß er für Putin keine Gefahr mehr bedeutet.

Das wichtigste Produktionsunternehmen des Yukos-Konzerns, die Öl-Fördergesellschaft Yuganskneftegaz, sollte zuerst von Gazprom übernommen werden. Die westlichen Banken, die Gazprom dafür einen Kredit von zehn Milliarden Dollar zur Verfügung stellen wollten, bekamen aber kalte Füße, nachdem die Yukos-Anwälte mit Schadenersatzansprüchen drohten. Deshalb wurde Yuganskneftegaz 2004 dem Staatsunternehmen Rosneft einverleibt (041210). Im Juli 2006 verkaufte Rosneft 14,8 Prozent seines Kapitals für 10,4 Milliarden Dollar an private Investoren. Das Management des Yukos-Konzerns versuchte vergebens, den Londoner Börsengang von Rosneft vor Gericht mit dem Argument zu verhindern, daß die Yuganskneftegaz durch Rosneft praktisch "gestohlen" worden sei (060706).

Straßburger Richter sahen keine politische Motivation der Verfahren

Unabhängig davon, wie Chodorkowskijs Energie-Imperium einst zustande gekommen war, handelte es sich bei seiner Anklage und Verurteilung durch eine willfährige Justiz um einen Schauprozeß nach sowjetischem Muster. Es ging dem Kreml letztendlich nur darum, einen politischen Gegner auszuschalten und sich dessen Vermögen anzueignen. Das galt ebenso für die zweite Verurteilung. Die Prozesse machten deutlich, daß Rußland noch immer weit von rechtsstaatlichen Verhältnissen entfernt ist. Sie verstießen auch eindeutig gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die von Rußland im März 1998 ratifiziert wurde, nachdem es - allen Bedenken zum Trotz - am 24. Januar 1996 in den Europarat aufgenommen worden war. Daran ändern auch zwei Urteile nichts, mit denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 31. Mai 2011 und am 25. Juli 2013 zwar die Art der Prozeßführung kritisierte, aber eine politische Motivation des Verfahrens – und damit eine Verletzung des Diskriminierungsverbots in Artikel 14 der Europäischen Menschensrechtskonvention – nicht zu erkennen vermochte. Da die politische Motivation der Prozesse gegen Chodorkowskij mit Händen zu greifen ist, läßt sich diese Sichtweise wohl nur so erklären, daß sie selber nicht frei von politischer Motivation ist.

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