Juni 2014

140611

ENERGIE-CHRONIK


Kartellamt warnt vor Einführung von Kapazitätsmärkten

Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, warnt vor der voreiligen Einführung sogenannter Kapazitätsmärkte, mit denen den Betreibern konventioneller Kraftwerke schon die bloße Vorhaltung ihrer Kapazitäten honoriert werden soll. Insbesondere wendet er sich die Ansicht, daß nur so die Versorgungssicherheit aufrechterhalten werden könne. Er widerspricht damit der regen Propaganda, die seit einiger Zeit von den Kraftwerksbetreibern, den Branchenverbänden oder auch von der "Deutschen Energie-Agentur" (dena) für ein derartiges Subventionsmodell gemacht wird, das die Stromverbraucher zusätzlich belasten würde (130702).

"Es drohen Fehlsteuerungen, Fehlanreize und unnötige Kosten"

In seinem Beitrag zu einer Broschüre, die von den Organisatoren der "Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft 2015" seit Mai an das Fachpublikum verschickt wird, mahnt Mundt zur "Vorsicht mit Kapazitätsmärkten". Er stellt fest, daß sinkende Preise und Stillegungen von Kraftwerken eine normale Marktreaktion seien. Der deutsche Strommarkt sei derzeit von erheblichen Überkapazitäten gekennzeichnet. Das daraus resultierende Rentabilitätsproblem der Kraftwerksbetreiber dürfe nicht einfach mit dem Problem der Versorgungssicherheit vermengt werden. Andernfalls bestehe ein großes Risiko, daß es zu Fehlsteuerungen, Fehlanreizen und unnötigen Kosten komme. Notfalls stehe mit der Reservekraftwerksverordnung (130605) ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich vergleichsweise flexibel und günstig verhindern läßt, daß auch netzstrategisch wichtige Kraftwerksreserven aus rein kommerziellen Überlegungen stillgelegt werden.

Für Mundt ist es "längst nicht ausgemacht, daß der Markt nicht funktioniert und die Versorgungssicherheit bedroht ist". In der öffentlichen Debatte stünden denn auch oft nicht die Versorgungssicherheit, sondern die Finanzprobleme von Kraftwerksbetreibern im Vordergrund. Ganz unverständlich seien deren Klagen nicht. Die Branche durchlebe zur Zeit einen grundlegenden Wandel: "Die Geschäftsmodelle von früher lassen sich nicht einfach fortschreiben. Viele der Probleme sind auf staatliche Eingriffe zurückzuführen. Und die waren in den letzten Jahren häufig und zum Teil erratisch. Vor allem das Hin-und-her beim Atomausstieg war beträchtlich. Und auch der durch staatliche Förderung angereizte massive Ausbau erneuerbarer Energien war in diesem Ausmaß schwer vorhersehbar."

"Es gibt in Deutschland zumindest kurzfristig kein Kapazitätsproblem"

In der Diskussion um Kapazitätsmärkte müsse in jedem Fall sauber getrennt werden, ob es allein um finanzielle Hilfen für Kraftwerke geht oder um die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. Schließlich gebe es in Deutschland zumindest kurzfristig kein Kapazitätsproblem. Wenn man dennoch ein Instrument einsetze, das auf Versorgungssicherheit abziele, müsse man sich bewußt sein, daß es dadurch zu massiven Verwerfungen kommen könne: "So führt ein Kapazitätsmarkt immer auch zu Windfall-Profits bei Kraftwerken, die eine Hilfe eigentlich gar nicht benötigen. Kraftwerke, die sonst aus dem Markt ausscheiden würden, werden künstlich am Leben erhalten. Überkapazitäten werden nicht abgebaut."

Außerdem bestehe ein unübersehbarer Widerspruch zwischen dem Ziel eines europäischen Strombinnenmarktes und der Einführung nationaler Kapazitätsmärkte: "Der Wettbewerb der Stromerzeuger wird massiv verzerrt. Die Nase vorn hat nicht derjenige, der den günstigsten Strom erzeugt, sondern der, der das großzügigste nationale Fördersystem hat. Aus dem Wettbewerb um den günstigsten Strom wird ein Wettbewerb der nationalen Fördersysteme."

"Am Ende profitieren doch in erster Linie die Großen Vier"

Ähnlich äußerte sich Mundt in einem Interview mit dem Fachmagazin "BIZZ energy today" (12.5.). Er gab dabei zu bedenken, daß hauptsächlich die vier Großstromerzeuger von einer solchen Regelung profitieren würden: "Wer kann denn Kapazitäten in ausreichender Menge zur Verfügung stellen? Am Ende sind das doch in erster Linie die Großen Vier, die durch Kapazitätsmärkte ihre Macht wieder ausbauen könnten. Kleinere inländische Anbieter werden es schwerer haben, gesicherte Kapazitäten anzubieten. Und ausländische Anbieter, seien sie noch so günstig, werden kaum gesicherte Kapazitäten in Deutschland anbieten können, weil die Grenzkuppelstellen dazu einfach nicht ausreichen."

Behörde überprüft Sonderregelung für Gaskraftwerk Irsching

Mundt bestätigte in diesem Interview, daß das Bundeskartellamt die Sonderregelung für das E.ON-Gaskraftwerk Irsching untersucht, die noch vor Erlaß der Reservekraftwerksverordnung getroffen wurde (130418 ). Die Behörde stößt sich hier offenbar an der großzügigen Auslegung der Resdispatch-Regelung durch die Bundesnetzagentur, mit deren Erlaubnis der Netzbetreiber TenneT die Fixkosten des Kraftwerksbetriebs übernehmen und über die Netzentgelte auf die Strompreise abwälzen darf. Außerdem hat man E.ON die Möglichkeit eingeräumt, die Blöcke in Irsching weiterhin zur eigenen Stromerzeugung einzusetzen, soweit sie nicht für netztechnische Zwecke benötigt werden. Bei jenen Kraftwerken, deren geplante Stillegung aufgrund der Reservekraftwerksverordnung gestoppt wird, ist dies nicht zulässig. Das Kraftwerk darf dann nur noch als netztechnisches Betriebsmittel eingesetzt werden und ist nach Vertragsende abzubauen, wobei eventuelle Verkaufserlöse dem Übertragungsnetzbetreiber zustehen (130605).

Auch Vattenfall will erst mal auf die "Kräfte des Marktes" setzen

Die deutsche Tochter des schwedischen Vattenfall-Konzerns ist ebenfalls der Ansicht, daß die Probleme im fossilen Kraftwerksbereich "zunächst durch die Kräfte des Marktes bereinigt" werden sollten. Der Abbau vorhandener Überkapazitäten werde sich preisstabilisierend auf die anderen Kraftwerke auswirken, prognostiziert das Unternehmen in der Juni-Ausgabe seines "Newsletters Energie.Politik". Unter der Überschrift "Deutschland hat kein Kapazitätsproblem" heißt es weiter: "Flächendeckende und meist irreversible zentral gesteuerte Kapazitätsmechanismen werden nicht zum Ziel führen, da solche Systeme komplex und fehleranfällig sind und zu Dauersubventionen führen." Angesichts der Diskussion um die preistreibende Wirkung des EEG sei es außerdem fraglich, ob sich ein derartiges Kapazitätsmarktmodell überhaupt durchsetzen lasse.

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