September 2015

150908

ENERGIE-CHRONIK


TenneT hat Zertifizierung als Transportnetzbetreiber bekommen

Nach einer mehr als drei Jahre dauernden Auseinandersetzung hat die Bundesnetzagentur dem größten der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber doch noch die Zertifizierung erteilt, die nach § 4a des Energiewirtschaftsgesetzes die Voraussetzung für den Betrieb von Transportnetzen ist. Für die TenneT TSO GmbH endet damit die rechtliche Grauzone, in der sie sich bewegte, seitdem die Bundesnetzagentur ihren Antrag auf Zertifizierung am 9. Dezember 2012 abgewiesen hatte. Die Behörde vermißte damals einen Nachweis darüber, daß TenneT die Kosten tragen könne, die sich aus den gesetzlichen Verpflichtungen für Transportnetzbetreiber ergeben. Insbesondere fehle es dem Unternehmen an dem notwendigen Geld, um die Netzanbindung aller Windkraftanlagen in der deutschen Nordsee finanzieren zu können (121105).

Wie die Bundesnetzagentur seinerzeit erläuterte, bedeutete die Verweigerung der Zertifizierung nicht, daß TenneT der Betrieb des Übertragungsnetzes untersagt worden wäre. Der Weiterbetrieb eines Transportnetzes ohne Zertifizierung stelle aber eine Ordnungswidrigkeit dar, die aufgrund von § 95 des Energiewirtschaftsgesetzes mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden könne (140311). Ob TenneT nun ein solches Bußgeld zu zahlen hat, wollte die Behörde auf Anfrage nicht mitteilen.

Niederländer unterschätzten beim Kauf des E.ON-Transportnetzes die Verpflichtungen, die damit in der Nordsee auf sie zukamen

Die Tennet TSO GmbH ist die deutsche Tochter des niederländischen Netzbetreibers TenneT TSO B.V., der hundertprozentig dem Staat gehört und dem niederländischen Finanzministerium untersteht. Die Niederländer hatten Ende 2011 für rund eine Milliarde Euro das von den Alpen bis zur Nordsee reichende Übertragungsnetz des E.ON-Konzerns erworben (091101). Sie scheinen allerdings nicht bedacht zu haben, daß sie damit auch die Milliarden-Lasten schultern mußten, die sich aus der gesetzlichen Verpflichtung zur Netzanbindung aller Windkraftanlagen vor der deutschen Nordsee-Küste ergaben (für die Anbindung von Windkraftanlagen in der Ostsee ist der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz zuständig). Jedenfalls erklärte sich die TenneT TSO in einer Pressemitteilung vom 14. November 2011 öffentlich außerstande, diese Verpflichtungen erfüllen zu können. Vorausgegangen waren drei Schreiben an die Bundesregierung, in denen der Netzbetreiber die "fehlenden personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen aller Beteiligter" beklagte und eine "grundlegende Veränderung des Rechtsrahmens" verlangte.

Behörde mußte die Zertifizierung ablehnen, nachdem TenneT öffentlich den Offenbarungseid geleistet hatte

Für die Bundesnetzagentur waren diese Pressemitteilung sowie die drei Brandbriefe an Kanzleramt, Wirtschafts- und Umweltministerium eine Steilvorlage, um den Antrag auf Zertifizierung, den TenneT am 2. März 2012 einreichte, ablehnen zu können. Im Grunde blieb der Behörde sogar keine andere Wahl, nachdem der Netzbetreiber derart öffentlich den Offenbarungseid geleistet hatte, was seine finanzielle Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der gesetzlich auferlegten Pflichten betraf.

"Die Antragstellerin hat nicht nachgewiesen, daß sie als Transportnetzbetreiberin über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt, um die Aufgaben nach Teil 3 Abschnitt 1 bis 3 des EnWG wahrzunehmen (§ 8 Abs. 2 S. 9 EnWG)", hieß es zur Begründung des Ablehnungsbescheids, der acht Monate später erging und vom Präsidenten der Bundesnetzagentur bereits angekündigt worden war (120904). Nach Überzeugung der Behörde mangelte es TenneT "insbesondere an den finanziellen Ressourcen zur Erfüllung der Netzanschlußpflicht gemäß § 17Abs. 2a Satz 1 EnWG". Gemeint war damit die frühere Regelung, wonach die Übertragungsnetzbetreiber den Netzanschluß von Offshore-Windkraftanlagen spätestens bis zu deren Betriebsbereitschaft herzustellen hatten.

Drastische Absenkung der Offshore-Ausbauziele und andere gesetzliche Änderungen veränderten die Situation grundlegend

Die seit Anfang 2013 und August 2014 geltenden Neufassungen des Energiewirtschaftsgesetzes und andere rechtliche Regelungen veränderten dann die Rahmenbedingungen für die Planung von Windkraftanlagen vor der deutschen Küste und deren Netzanbindung ganz wesentlich. Es kam nun tatsächlich zu jener "grundlegenden Veränderung des Rechtsrahmens", die TenneT verlangt hatte. Zum Beispiel wurden nun in § 17b die Übertragungsnetzbetreiber zur Erstellung eines speziellen "Offshore-Netzentwicklungsplans" verpflichtet, der von der Bundesnetzagentur zu genehmigen war. Damit hatte die Netzanbindung nicht mehr der Errichtung von Windparks zu folgen, sondern umgekehrt: Wo es keine von der Regulierungsbehörde genehmigte Netzanbindung gab, wurde die Errichtung neuer Windparks sinnlos. Zugleich verfügte die schwarz-rote Koalition in § 3 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eine drastische Absenkung der bisherigen Ausbauziele für Offshore-Windstrom. Bis zum Jahr 2030 sollten jetzt nur noch 15 statt 25 Gigawatt installiert werden. Bis 2020 sind sogar höchstens 7,7 Gigawatt zulässig. Für rund vierzig Projekte im küstenfernen Bereich gibt es vorläufig nicht einmal ein Genehmigungsverfahren (150501).

"Der Nachweis ausreichender finanzieller Mittel ist nicht mehr entscheidungserheblich"

Unter diesem Umständen verwundert es nicht, daß TenneT mittlerweile stolz verkünden kann, das bis 2020 geltende Nordsee-Ausbauziel von 6.500 MW schon zu zwei Dritteln erreicht und sogar deutlich mehr Anbindungskapazität installiert zu haben, als die Gesamtleistung aller bisher betriebsbereiten Windparks erfordern würde (150910). Daß der Netzbetreiber nun doch die Zertifizierung erhalten hat, ist ebenfalls vor diesem veränderten Hintergrund zu sehen: "Zwar wird die Antragstellerin auch in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen zu tätigen haben", heißt es in der Entscheidung, die am 8. August getroffen wurde. Die zuständige 6. Beschlußkammer gehe nun aber "angesichts der geänderten Ausgangslage davon aus, daß die Antragstellerin in der Lage und bereit sein wird, diese von ihr selbst mit erarbeiteten und vorgeschlagenen Pläne umzusetzen". Außerdem wolle die Bundesregierung den Ausbau der Offshore-Windenergie in den kommenden Jahren erheblich weniger stark vorantreiben, als bei der Planung des Offshore-Netzentwicklungsplans 2013 noch angenommen wurde. Es sei deshalb von einem weiteren Rückgang des Investitionsbedarfs auszugehen. Insgesamt sei deshalb "die Frage, ob der Nachweis ausreichender finanzieller Mittel eine Voraussetzung für die Zertifizierung ist, für das vorliegende Verfahren nicht mehr entscheidungserheblich."

Positiv vermerkte die Beschlußkammer ferner, daß der Netzbetreiber seine drei Brandbriefe an die Bundesregierung und die darauffolgende Pressemitteilung, mit der er öffentlich bekundete, seine gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllen zu können, für "erledigt" erklärt habe. Übrigens wird man diese Pressemitteilung vom 14. November 2011 in der chronologischen Auflistung sämtlicher TenneT-Verlautbarungen inzwischen vergebens suchen. Sie ist nur noch mittels Volltext-Suche und passenden Stichworten auffindbar.

 

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