September 2018

180906

ENERGIE-CHRONIK


Österreich will Urteil zu Atomstrom-Beihilfen nicht hinnehmen

Österreich will das Urteil nicht akzeptieren, mit dem das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg am 12. Juli seine Klage gegen die Genehmigung hoher staatlicher Beihilfen für den Bau des britischen Kernkraftwerks Hinkley Point C zurückgewiesen hat (180711). Es vertritt weiterhin den Standpunkt, "dass Atomkraft keine Technologie der Zukunft ist und es ein falsches Signal darstellt, Subventionen für den Bau von Atomkraftwerken als unbedenklich einzustufen". Das Kabinett in Wien billigte deshalb am 5. September den Antrag der zuständigen Bundesministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), das Urteil auf Grundlage des Art. 256 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) anzufechten.

Freibrief zur Absegnung ähnlicher Beihilfen in Tschechien, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien oder der Slowakei

Die Europäische Kommission hatte die Fördermaßnahmen für das neue britische Kernkraftwerk am 8. Oktober 2014 für vereinbar mit den beihilferechtlichen Bestimmungen für den Binnenmarkt erklärt (141020). Sie schuf damit einen Präzedenzfall, der auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU fatale Konsequenzen hat. Er bedeutet nämlich einen Freibrief zur Absegnung ähnlicher Subventionen für neue Kernkraftwerke in Tschechien, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien oder der Slowakei. Nicht zufällig waren es diese EU-Staaten, die in dem Verfahren als "Streithelfer" für Großbritannien auftraten. Dagegen wurde Österreich nur von Luxemburg unterstützt. Die schwarz-rote Bundesregierung in Berlin, die sich sonst gern als Vorkämpferin für einen europaweiten Atomausstieg darstellt, hatte einen Beitritt zu der Klage mit der Begründung abgelehnt, dass sie keine hinreichenden Erfolgsaussichten sehe.

Die von der EU-Kommission genehmigte Beihilfe sichert den Betreibern des Kernkraftwerks einen staatlich garantierten, an den Verbraucherpreisindex gebundener Abnahmepreis über eine Laufzeit von 35 Jahren, der weit über dem Marktpreis des Atomstroms liegt. Ferner enthält sie eine staatliche Kreditgarantie von bis zu 17 Milliarden britische Pfund und sogenannte Ausgleichzahlungen, falls es zu einer vorzeitigen Schließung der Anlage kommen sollte.

Nicht die Kernenergie ist der relevante Wirtschaftszweig, sondern die Stromerzeugung an sich

Unter Berufung auf Art. 256 Abs. 1 AEUV wird Österreich das Urteil vor allem aus drei Gründen anfechten:

1. Kein Vorliegen eines Zieles von gemeinsamem Unionsinteresse: Eine der Voraussetzungen für die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt ist, dass sie einem gemeinsamen Unionsinteresse dient. Österreich bestreitet, dass die Förderung der Errichtung und des Betriebs von neuen Atomkraftwerken im gemeinsamen Interesse der EU liegt.

2. Verfehlte Annahme vom relevanten Wirtschaftszweig: Eine Beihilfe ist gemäß Art. 107 Abs. 3 AEUV nur dann mit dem Binnenmarkt vereinbar, wenn sie einen Beitrag zur Entwicklung des relevanten Wirtschaftszweiges leistet, ohne den Wettbewerb unverhältnismäßig zu verzerren. Österreich bestreitet die Sicht der Europäischen Kommission und des Gerichts der Union, wonach der relevante Wirtschaftszweig nur der Markt für Kernkraft sei. Tatsächlich sei das relevante Produkt der Strom, den verschiedene Erzeuger anbieten, die im liberalisierten Elektrizitätsbinnenmarkt miteinander konkurrieren und sich unterschiedlicher Erzeugungstechniken bedienen. Der Markt für Kernenergie dürfe deshalb nicht isoliert betrachtet werden. Der relevante Wirtschaftszweig sei vielmehr der Elektrizitätsmarkt schlechthin.

3. Keine Zulässigkeit von Betriebsbeihilfen: Nach Auffassung Österreichs sind vor allem Betriebsbeihilfen für eine ausgereifte Technologie nicht zulässig. Die Kernenergie befinde sich bereits seit Jahrzehnten auf dem Markt und habe sich nicht als rentabel erwiesen, sofern alle Kosten gemäß dem Verursacherprinzip berücksichtgt werden. Die hohen Beihilfen führten lediglich zu unverhältnismäßigen Wettbewerbsverzerrungen auf dem liberalisierten Elektrizitätsbinnenmarkt.

 

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