Februar 2020 |
200201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die vier Bundesländer Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Saarland verlangen Nachbesserungen am Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes, den die Bundesregierung am 29. Januar beschloss (200102). Auch die Bürgermeister von mehr als fünfzig größeren Kommunen protestierten. Sie befürchten den Verlust von Investitionen, den ihre Stadtwerke in Steinkohlekraftwerke getätigt haben. Am 4. und 27. Februar kam es deshalb zweimal zu Gesprächen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), bei denen unter anderen der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und die Gewerkschaft Verdi ihre Kritik an dem Gesetzentwurf vortrugen. Das Kohleausstiegsgesetz wurde inzwischen dem Bundestag zugeleitet und soll am 5. März in erster Lesung beraten werden.
In einem gemeinsamen Brief an Altmaier verlangten die vier Bundesländer am 14. Februar, den Gesetzentwurf in insgesamt zwölf Punkten nachzubessern. Vor allem beanstanden sie, dass er sich zu weit von den Beschlüssen der Kohleausstiegskommission entferne, Steinkohlekraftwerke und deren Betreiber im Vergleich zu Braunkohlekraftwerken benachteilige sowie zu wenig Anreize für Kraft-Wärme-Kopplung, den Umstieg auf Gas oder erneuerbare Energien enthalte (siehe PDF).
Die vier Umwelt- bzw. Energieminister, die den Brief unterzeichneten, kritisieren zunächst die extrem kurze Frist von 24 Stunden, die Ländern und Verbänden eingeräumt wurde, um zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Damit sei ihnen eine angemessene Bewertung und Willensbildung versagt worden. Das beabsichtigte Vorgehen zur Stilllegung von Steinkohlekraftwerken führe zu einer erheblichen Ungleichbehandlung gegenüber den Braunkohlekraftwerken und sei auch mit dem in der Kohle-Kommission erzielten Kompromiss nicht vereinbar. Es schwäche kommunale Unternehmen und vernachlässige die benötigte Wärmeversorgung durch KWK-Kraftwerke. Die vorgesehene entschädigungslose Stilllegung durch Ordnungsrecht ab 2024 bzw. 2027 könne nicht akzeptiert werden. Auch sonst sei die Entschädigungshöhe insgesamt unzureichend. Wichtige Aspekte der Versorgungssicherheit bzw. Netzstabilität blieben unberücksichtigt.
Zuvor hatten sich Verbände und einzelne Unternehmen der Energiewirtschaft in ähnlicher Weise geäußert. "Enteignungsgleiche Regelungen für hochmoderne und effiziente Steinkohlekraftwerke erschüttern die Planungssicherheit für ein modernes Energiesystem und verstoßen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz", hieß es beispielsweise in einer Stellungnahme des Stadtwerke-Verbunds Trianel. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) verwies auf die kritische Netzsituation in Süddeutschland, die den dortigen Betreibern keine realistische Chance lasse, ihre Steinkohlekraftwerke vorzeitig vom Netz zu nehmen, um noch in den Genuss einer Entschädigung zu gelangen. Die EnBW gehört jeweils zur Hälfte dem Land Baden-Württemberg und kommunalen Körperschaften.
Kurz vor dem zweiten Gespräch mit Altmaier protestierten die Oberbürgermeister von Essen, Aachen, Dortmund und Bochum sowie die Chefs von fünfzig weiteren Gemeinden, die zum Aktionärskreis des Steinkohle-Verstromers Steag (130110) oder zum Stadtwerke-Verbund Trianel (140911) gehören. In einem gemeinsamen Brief an die Fraktionen von Union und SPD sowie die Ministerpräsidenten der Kohleländer warnten sie am 26. Februar vor der Entwertung von über 10 Milliarden Euro, die von den Kommunen im Vertrauen auf die Kontinuität der politischen Rahmenbedingungen in Steinkohlekraftwerke investiert worden seien. Den Braunkohlekraftwerken werde dagegen trotz ihrer schlechteren Effizienz sowohl eine längere Laufzeit als auch eine höhere Entschädigung zugestanden.
Die Rentabilität von Kohlekraftwerken wird umso geringer, je mehr der Preis für CO2-Zertifikate steigt. Darauf macht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem "Politikberatung"-Papier aufmerksam, das es im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erstellt hat (siehe HTML). Bei den aktuellen Berechnungen der Entschädigungszahlungen für stillzulegende Braun- und Steinkohlekraftwerke seien offensichtlich die Preisentwicklungen für das Emittieren von CO2 nicht ausreichend berücksichtigt worden. Schon jetzt seien viele Kohlekraftwerke unrentabel. Ein weiteres Ansteigen der CO2-Preise werde ihre Wirtschaftlichkeit weiter beeinträchtigen, was die bisher vorgesehenen Entschädigungszahlungen unverhältnismäßig mache (siehe 200202).
In diesem Zusammenhang erwähnt das DIW-Papier, dass die Tagebauplanung der ostdeutschen LEAG schon vor den Verhandlungen zum Kohleausstieg ab 2017 eine noch verbleibende Förderung von rund 870 Millionen Tonnen Braunkohle vorgesehen habe. Die jetzt durch das Kohleausstiegsgesetz erzielte Begrenzung der Restförderung sei gerade mal zehn Millionen Tonnen bzw. rund ein Prozent niedriger – wobei nun jedoch die Braunkohleverstromer insgesamt 4,35 Milliarden Euro für die vorzeitige Stilllegung ihrer Anlagen erhalten. Problematisch sei ferner, dass die geplanten Entschädigungszahlungen nicht Bestandteil des Gesetzes werden, sondern unabhängig davon in öffentlich-rechtlichen Verträgen festgehalten werden sollen. Dies erschwere einer neuen Regierung das Nachverhandeln für einen klimapolitisch wirksameren Kohleausstieg.
Schon am 21. Januar – als der komplette Entwurf für das Kohleausstiegsgesetz noch nicht vorlag – hatten die ehemalige Vorsitzende der Kohlekommission (KWSB), Prof. Barbara Praetorius, und sieben weitere ehemalige Mitglieder der Kommission gegen den "Stilllegungspfad" für die Braunkohlekraftwerke protestiert, wie er am 15. Januar zwischen den vier Braunkohle-Bundesländern und der Bundesregierung vereinbart wurde (200101). Bund und Länder hätten damit ihre ursprüngliche Zusicherung, den von der Kommission gefundenen Kompromiß ohne Änderungen umzusetzen, "klar und sehr einseitig verlassen". In der Summe sei dieser Abschaltplan nicht nur klimapolitisch falsch, sondern mit seinen starken Sprüngen auch energiewirtschaftlich und energiepolitisch hoch problematisch, da das Stromsystem und der Strommarkt hoch belastet würden. Die hohen Entschädigungszahlungen an die Kraftwerksbetreiber könnten zudem die zunehmende Wirksamkeit des CO2-Preises im europäischen Emissionshandel konterkarieren (siehe PDF).