November 2021

211102

ENERGIE-CHRONIK


Bundesnetzagentur veröffentlicht erstmals Erlösobergrenzen der Netzbetreiber

Die Bundesnetzagentur hat am 22. November erstmals die Erlösobergrenzen und andere Kostendaten der Strom- und Gasnetzbetreiber veröffentlicht. Sie nutzt damit die im Juni dieses Jahres erfolgte Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, das seitdem in § 23b den Strom- und Gasnetzbetreibern detaillierte Veröffentlichungspflichten auferlegt. Diese Regelung ersetzt und erweitert die bislang in § 31 der Anreizregulierungsverordnung enthaltenen Vorgaben. Die jetzt veröffentlichte Liste im Excel-Format (siehe Link) soll regelmäßig im ersten und vierten Quartal eines Jahres aktualisiert werden.

Netzbetreiber konnten Einblick in unternehmensbezogene Kostendaten 15 Jahre lang verhindern

Die Gesetzesänderung wurde erforderlich und war längst überfällig, weil bisher die Netzbetreiber die Veröffentlichung von unternehmensbezogenen Daten nur in anonymisierter Form zulassen wollten. Damit wurde es auch und gerade Fachleuten 15 Jahre lang unmöglich gemacht, die Angemessenheit von Kosten und Erträgen der einzelnen Netzbetreiber zu beurteilen, obwohl diese ein staatlich reglementiertes Geschäft betreiben, das über die Netzentgelte von den Stromverbrauchern finanziert werden muss.

Riesige Netzkosten-Unterschiede trotz vergleichbarer Strukturen

Wie wichtig eine größere Transparenz im regulierten Netzgeschäft ist, zeigte der erste und bislang einzige Kostenvergleich, den die Bundesnetzagentur im August 2006 veröffentlichte und der trotz vergleichbarer Strukturen riesige Netzkosten-Unterschiede offenbarte: Die teuersten Stromnetzbetreiber machten bis zu fünfzigmal so hohe Kosten geltend wie die billigsten, und auch von den Mittelwerten entfernen sie sich um bis zu mehr als das Siebenfache. Etwas geringer waren die Schwankungsbreiten der Netzkosten bei den Gasnetzbetreibern. Aber auch hier lag das teuerste Unternehmen um mehr als das 15-fache über dem billigsten Netzbetreiber derselben Strukturklasse. Der Mittelwert einer Strukturklasse wurde bis zum fünffachen übertroffen (060801).

Auf Verlangen von 115 Netzbetreibern durften Abzocker nicht namentlich genannt werden

Ursprünglich wollte die Bundesnetzagentur das Ergebnis dieser Untersuchung, die noch vor Einführung der sogenannten Anreizregulierung (071103) stattfand, nicht nur summarisch veröffentlichen, sondern unter Nennung der Unternehmensnamen. Dagegen zogen jedoch 115 betroffene Netzbetreiber vor Gericht. Sie behaupteten, dass es sich bei diesen unplausiblen Abweichungen um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handele, die geschützt werden müssten. So erreichten sie im Wege eines Vergleichs mit der Bundesnetzagentur tatsächlich eine anonymisierte Form der Darstellung, die sich auf einige nach Strukturklassen zusammengefasste Ergebnisse beschränkte und dann auch für die spätere Veröffentlichungspraxis der Behörde maßgeblich wurde (060801).

Stromnetzregulierung fehlte in hohem Maße die notwendige Transparenz

Aus diesem Grund fehlte der Stromnetzregulierung in Deutschland in hohem Maße die notwendige Transparenz. Selbst Wissenschaftlern lagen grundlegende Informationen nicht vor. Für Politiker und die Akteure auf dem Strommarkt ergab sich daraus die Gefahr, falsche Entscheidungen treffen. Diese Schlussfolgerungen zog die Initiative "Agora Energiewende" aus einer 2015 veröffentlichten Studie, die in ihrem Auftrag das Beratungsunternehmen Infracomp erstellte (150609).

Bundesnetzagentur begrüßt die neue gesetzliche Regelung

Nun soll sich das also endlich ändern, und die Bundesnetzagentur macht keinen Hehl daraus, dass sie gern dazu beiträgt: "Indem wir Kostendaten veröffentlichen, schaffen wir Transparenz in der Netzentgeltbildung", erklärte Jochen Homann, der Präsident der Behörde. "Das novellierte Energiewirtschaftsgesetz beinhaltet neue Transparenzregelungen und Veröffentlichungspflichten. Das ist ganz in unserem Sinne."

Bei der großen Mehrheit der kleineren Netzbetreiber müssen die Landesregulierungsbehörden für Transparenz sorgen

Die von der Bundesnetzagentur jetzt veröffentlichten Gesamtliste (siehe Link) enthält nur jene 174 Strom- und 147 Gasnetzbetreiber, für die sie direkt oder im Wege der sogenannten Organleihe zuständig ist. Nicht enthalten ist die ungefähr viermal so große Anzahl der kleineren Netzbetreiber, die den Landesregulierungsbehörden unterstehen und bei denen diese für die gesetzlich vorgeschriebene Transparenz sorgen müssten (siehe Links). Aber auch so haben beide Listen eine beachtliche Spannweite, die von Netzbetreibern mit einer zehnstelligen Erlösobergrenze im Milliardenbereich bis zum Windpark-Netz mit einer gerade mal vierstelligen Summe reicht.

Die höchste Erlösobergrenze hat der E.ON-Verteilnetzbetreiber Westnetz

So richtig deutlich wird dies allerdings erst, wenn man die in der Excel-Tabelle nach Betriebsnummern aufgelisteten Unternehmen nach der Höhe ihrer Erlösobergrenzen sortiert (siehe Links). Dass den größten Unternehmen auch die höchsten Erlöse zugestanden werden, war zu erwarten. Dass aber in der Spalte "Beschiedene EOG" die vier Übertragungsnetzbetreiber TenneT, 50 Hertz, Amprion und TransnetBW erst an vierter, siebter, achter und sechszehnter Stelle auftauchen, überrascht dann doch etwas. Dies verdeutlicht das wirtschaftliche Schwergewicht der Verteilnetzbetreiber Westnetz, Netze BW und Bayernwerk, die noch vor TenneT rangieren, wobei Westnetz und Bayernwerk dem E.ON-Konzern gehören, während die Netze BW eine Tochter der Energie Baden-Württemberg ist. Ähnliches gilt für die Verteilnetzbetreiber Avacon, Mitnetz, E.DIS, Stromnetz Berlin, DB Energie, EWE, SH-Netz, Stromnetz Hamburg und TEN, die mit den Übertragungsnetzbetreibern 50Hertz, Amprion und TransnetBW die folgenden zwölf Plätze belegen. Nimmt man als Auswahlkriterium die letztendlich maßgeblichen "Angepassten EOG", sind die Erlösobergrenzen noch höher – und zwar in unterschiedlichem Maße, weshalb dann beispielsweise TenneT mit 2,02 Milliarden Euro auf den zweiten Platz nach Westnetz mit 2,63 Milliarden Euro aufrückt.

Erlösobergrenzen sind Bestandteil der "Anreizregulierung"

Die Erlösobergrenzen sind Bestandteil der sogenannten Anreizregulierung, die 2005 auf Drängen des Bundesrats ins neue Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen wurde (050301). Die erste Fassung der entsprechenden Anreizregulierungsverordnung trat am 6. November 2007 in Kraft (071103). Sie kam gegen den Widerstand der Netzbetreiber zustande (070505) und wurde vor allem von den Stadtwerken als unzumutbare Belastung empfunden (080414).

Der Grundgedanke der Anreizregulierung besteht in einem simulierten Wettbewerb, der die Netzbetreiber zu möglichst effizientem Wirtschaften veranlassen soll, um die Spanne zwischen ihren tatsächlichen Kosten und einer von der Regulierungsbehörde festgelegten "Erlösobergrenze" zu vergrößern; denn diese Differenz dürfen sie behalten. Mit Beginn der ersten Regulierungsperiode am 1. Januar 2009 entfiel deshalb die Festlegung der Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde, die sonst nach § 23a des Energiewirtschaftsgesetzes erforderlich wäre. Stattdessen gab die Regulierungsbehörde den jeweiligen Netzbetreibern individuelle Erlösobergrenzen inklusive der Netzentgelte vor.

Unterschied zwischen "beschiedenen EOG" und "angepassten EOG"

Die Festlegung dieser individuelle Erlösobergrenzen erfolgt zunächst nach den Vorgaben von Anreizregulierungsverordnung und Stromnetzentgeltverordnung bzw. Gasnetzentgeltverordnung. Die Erlösobergrenzen werden grundsätzlich vor Beginn der Regulierungsperiode festgelegt und werden in den jetzt veröffentlichten Datentabellen als "beschiedene EOG" bezeichnet. Während der Regulierungsperiode sind die Netzbetreiber nach § 4 der Anreizregulierungsverordnung zur Anpassung der beschiedenen Erlösobergrenzen berechtigt und verpflichtet. Die von den Netzbetreibern angepassten Erlösobergrenzen werden deshalb in der Datentabelle als "Angepasste EOG" bezeichnet. Anpassungen der beschiedenen Erlösobergrenze können sowohl zu Erhöhungen als auch zu Verringerungen führen, je nachdem ob die anpassbaren Kosten insgesamt steigen oder sinken. Die Regel sind allerdings Erhöhungen, die sich vor allem durch Berücksichtigung der allgemeinen Geldwertentwicklung, der Anpassbarkeit bestimmter Kosten oder der Genehmigung von Kapitalkostenaufschlägen und Investitionsmaßnahmen ergeben.

 

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