Oktober 2022 |
221004 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der RWE-Konzern wird die beiden Braunkohle-Blöcke D und E im Kraftwerk Neurath, die über eine Leistung von jeweils 600 MW verfügen, nicht bis zum Jahresende stilllegen, wie das bisher in der Anlage 2 des vor zwei Jahren beschlossenen Kohleausstiegsgesetzes (200701) vorgesehen ist. Stattdessen werden die beiden Blöcke noch bis Ende März 2024 in Betrieb bleiben, um den Risiken besser begegnen zu können, die sich aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine für die gesamte Energieversorgung ergeben. Die Bundesregierung wird dann bis Ende 2023 entscheiden, ob die Anlagen bei Bedarf noch ein Jahr länger im Strommarkt bleiben oder gegebenenfalls in eine Reserve überführt werden. Darauf einigten sich am 4. Oktober das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das Landesministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen und die RWE AG in einer sechs Seiten umfassenden Vereinbarung zur "Stärkung von Versorgungssicherheit und Klimaschutz" (siehe PDF). Bestandteil der Vereinbarung ist zugleich, dass RWE sich verpflichtet, den Ausstieg aus der Kohleverstromung acht Jahre früher zu vollziehen. Konkret bedeutet dies, dass die RWE Braunkohleblöcke Neurath F und G sowie Niederaußem K mit einer Leistung von insgesamt 3000 MW bereits Ende März 2030 anstatt erst 2038 vom Netz gehen (siehe Tabelle).
"Putins Angriffskrieg zwingt uns, vorübergehend stärker Braunkohle zu nutzen, damit wir in der Stromerzeugung Gas sparen", erklärte dazu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, "Das ist schmerzhaft, aber angesichts der Gasknappheit nötig. Die Vereinbarung ist da ein guter Weg. Sie hilft, in der angespannten Energiesituation Sicherheit zu schaffen und ist gleichzeitig ein großer Schritt hin zu Klimaschutz. Wir sparen damit 280 Millionen Tonnen Braunkohle und also rund 280 Millionen Tonnen CO2."
Die Umsetzung der Vereinbarung soll durch die Anpassung des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (200701), des öffentlich-rechtlichen Vertrages zur Reduzierung und Beendigung der Braunkohleverstromung in Deutschland (210102) sowie weiterer gesetzlicher Regelungen und Verordnungen erfolgen. Parallel dazu laufen Gespräche zur beihilferechtlichen Genehmigung der Maßnahmen durch die Europäische Kommission.
Aufgrund des im Juli vom Bundestag beschlossenen "Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes" (220705) wird außerdem zwei Dutzend Kraftwerken aus der Netzreserve, die mit Steinkohle oder Mineralöl betrieben werden, bis zum 30. April 2023 die Rückkehr an den Strommarkt erlaubt (220706). Eine gesetzliche Verpflichtung gibt es hierfür jedoch nicht. Zunächst hatte nur der geschäftstüchtige EPH-Konzern von diesem Angebot Gebrauch gemacht und Anfang August das Kraftwerk Mehrum (690 MW) wieder in Betrieb genommen. Die Anlage war zum Jahresende 2021 vom Netz gegangen, nachdem EPH für die Stilllegung in der zweiten Ausschreibungsrunde für Steinkohlekraftwerke eine Prämie von schätzungsweise 40 Millionen Euro bekommen hatte (210402).
Am 21. Oktober teilte nun auch Uniper mit, dass das Steinkohlekraftwerk Scholven C noch länger betrieben wird. Anstatt zum Ende des Monats abgeschaltet zu werden, wie ursprünglich vorgesehen war, werde der 345-MW-Block mindestens noch in diesem Winter die Strom- und Wärmeversorgung im Ruhrgebiet absichern. Für Scholven C hatte Uniper bei der dritten Ausschreibung zur Stilllegung von Kohlekraftwerken den Zuschlag bekommen. Am selben Standort ist außerdem der Block B in Betrieb, der im Mai bei der fünften Ausschreibung als erster Kohleblock zwangsweise stillgelegt wurde, aber noch bis November 2024 am Netz bleiben darf (220513).
Außerdem äußerte die finanziell angeschlagene Steag die "feste Absicht", diese Chance zu nutzen und mit 2.300 MW Erzeugungsleistung vorübergehend in den Markt zurückzukehren. Das vor der Verstaatlichung stehende Energieunternehmen Uniper prüft ebenfalls die Reaktivierung von insgesamt mehr als 2.000 MW. Insgesamt ergäbe das rund 5.000 MW, während es bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten 8.000 MW sein könnten. Aber vielleicht ändert sich das noch, da Anfang Oktober eine vom Bundeskabinett beschlossene Änderung der "Stromangebotsausweitungsverordnung" in Kraft trat, mit der die Befristung dieser Verordnung bis 30. April 2023 aufgehoben und durch das Datum 31. März 2024 ersetzt wird. Zugleich wird den Kraftwerksbetreibern eine Übergangsfrist von einem Vierteljahr eingeräumt, falls die seit 23. Juni geltende "Alarmstufe" (220601) vor diesem Datum entfallen sollte.
Parallel dazu trat eine neue "Verordnung zur befristeten Ausweitung des Stromerzeugungsangebots durch Anlagen aus der Versorgungsreserve" in Kraft, die das Bundeskabinett ebenfalls aufgrund der Verordnungsermächtigungen beschloss, die dem Energiewirtschaftsgesetz mit dem "Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz" eingefügt wurden. Damit können auch fünf leistungsstarke Braunkohle-Blöcke, die sich derzeit in "Sicherheitsbereitschaft" befinden, vorerst bis 30. Juni 2023 an den Strommarkt zurückkehren. Damit die Kraftwerksbetreiber den erzeugen Strom auf Termin vermarkten können, wird ihnen bei einer vorherigen Aufhebung der "Alarmstufe" ebenfalls die Übergangsfrist von einem Quartal eingeräumt. Im einzelnen handelt es sich um die LEAG-Kraftwerksblöcke Jänschwalde E und F im Lausitzer Revier sowie die RWE-Kraftwerksblöcke Niederaußem E und F und Neurath C im Rheinischen Revier. Zusammen verfügen sie über eine Leistung von 1.816 MW.