März 2023 |
230304 |
ENERGIE-CHRONIK |
Mit einem Jahresüberschuss von 1.335 Millionen Euro erzielte die RWE AG im vergangenen Jahr ihr bisher bestes Ergebnis seit der Neuaufstellung des Konzerns, die sich aus der 2018 mit E.ON vereinbarten Aufteilung des deutschen Energiemarktes ergeben hat (180301). Die früheren Jahresergebnisse, die 2007 einen Überschuss von knapp drei Milliarden Euro und 2015 einen noch größeren Fehlbetrag erbrachten, lassen sich damit nur bedingt vergleichen. Sie verdeutlichen aber die tiefe Krise, in die der Konzern unter dem bis 2012 amtierenden Vorstandsvorsitzenden Jürgen Großmann geriet, weil dieser hartnäckig weiterhin auf Kohle und Kernenergie setzte. Erst unter seinem Nachfolger Peter Terium wurden die erneuerbaren Energien zumindest perspektivisch zum Schwerpunkt des Geschäfts und 2016 mit anderen zukunftsträchtigen Bereichen in der neu gegründeten Tochter Innogy zusammengefasst, deren Führung Terium übernahm. Noch im selben Jahr war die Tochter an der Börse zweieinhalbmal soviel wert wie die Mutter (161002). Auch der Jahresüberschuss von 1,4 Milliarden Euro, den die RWE AG 2017 erzielte, war nur der Einbeziehung von Innogy in die Konzernbilanz zu verdanken. Trotzdem wurde Terium noch vor Ende dieses erfolgreichen Jahres vom Aufsichtsrat abrupt gefeuert (171203). Als vordergründiger Anlass diente ein leichter Knick im Aktienkurs. Der wirkliche Grund war anscheinend, dass hinter Teriums Rücken bereits die Verhandlungen mit E.ON über die Aufteilung des deutschen Energiemarktes liefen und er sich der geplanten Zerschlagung von Innogy vermutlich energisch widersetzt hätte. |
Der RWE-Konzern hat im vergangenen Jahr einen Jahresüberschuss von 1.335 Millionen Euro und einen Bilanzgewinn von 670 Millionen Euro erwirtschaftet. Damit konnte er das Ergebnis des Vorjahrs trotz des russischen Überfalls auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise um 20,5 Prozent verbessern. Dies ergibt sich aus dem Geschäftsbericht, den das Unternehmen am 21. März anläßlich einer Bilanzpressekonferenz veröffentlichte. Noch eindrucksvoller wirkte dieses Ergebnis, wie es in der RWE-Pressemitteilung vom 21. März präsentiert wurde: Mit einem "bereinigten EBITDA" von 6.310 Millionen, einem "bereinigten EBIT" von 4.568 Millionen und einem "bereinigten Nettoergebnis" von 3.232 Millionen.
Schon früh hatte sich abgezeichnet, dass RWE zu den Gewinnern des durch Russland verursachten Gasmangels gehören würde. Der Konzern stand zwar auf der Liste der Gasimporteure, die mit der zunächst geplanten "Gasumlage" für die Kosten entschädigt werden sollten, die ihnen vom 1. Oktober 2022 bis zum 1. April 2024 für die Ersatzbeschaffung von Gas entstehen würden. Es handelte sich aber nur um einen der sechs kleineren Ansprüche. Am 11. August teilte dann der Konzernchef Markus Krebber mit, dass RWE diese Verluste selber tragen wolle. Der Ausgleichsanspruch sei nur formal geltend gemacht worden (220805).
Es war kein großes Opfer. In Wirklichkeit verhielt es sich so, dass der Konzern gute Gründe hatte, nicht als notleidendes Unternehmen aufzutreten, weil er sogar die Abschöpfung von Übergewinnen befürchten musste und entsprechenden Forderungen keinen Vorschub leisten wollte. Die Übergewinne von RWE und anderen Stromerzeugern kamen durch den etablierten Börsenmechanismus zustande, der die "Merit Order" mit dem betriebswirtschaftlichen Theorem der "Grenzkosten" derart verkoppelt, dass die enorm gestiegenen Brennstoffkosten der Gaskraftwerke das gesamte Strompreisniveau in völlig unverhältnismäßiger Weise nach oben treiben und den Großhandelspreis bis um das Zwölffache verteuern konnten (siehe Hintergrund, Januar 2023). Gegenüber den so erzielten Zufallsgewinnen war die Belastung gering, die sich für RWE als Gasimporteur ergab.
Die EU-Kommission traute sich nicht, an diesen fatalen Börsenmechanismus zu rühren. Sie sah aber doch die Notwendigkeit, die Empörung über die milliardenschweren Zufallsgewinne der Stromerzeuger zu Lasten der Verbraucher etwas zu dämpfen. So kam es zu der am 6. Oktober erlassenen EU-Verordnung über "Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise", die von der Bundesregierung als Teil 3 ihres "Strompreisbremsegesetzes" in nationales Recht umgesetzt und vom Bundestag am 15. Dezember beschlossen wurde (221201). Die Zufallsgewinne werden demnach zu neunzig Prozent abgeschöpft, wenn sie zwischen dem 30. November 2022 und dem 30. Juni 2023 bestimmte Höchstgrenzen überschreiten, die in § 16 des Gesetzes für die einzelnen Stromerzeugungsarten festgelegt sind.
Im RWE-Geschäftsbericht wird relativ ausführlich auf diese Abschöpfung von Zufallsgewinnen eingegangen. Von den nationalen Regelungen, die aufgrund der EU-Verordnung erlassen wurden, ist der Konzern demnach nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden betroffen. Außerdem hat auch das Nicht-EU-Land Großbritannien, wo er viel Windstrom erzeugt, ab Januar eine eigene Regelung eingeführt. Die Abschöpfungen sind allerdings überall so bemessen, dass sie nur bei exzessiven Preisen greifen, wie sie im Vorjahr besonders im August bei einem "Phelix base" von 465 Euro/MWh auftraten. Vor allem gilt die Regelung in Deutschland wie in den Niederlanden erst ab Dezember 2022, als der durchschnittliche Großhandelspreis nochmals einen Sprung von 174 auf 252 Euro/MWh machte, bevor er seinen bereits begonnenen Rückgang fortsetzte. Eine rückwirkende Anwendung ab dem 1. März 2022 war in Habecks Ministerium zunächst anscheinend geplant, aber nicht verwirklicht worden. Unklar bleibt, ob dies in erster Linie auf den Aufschrei der Lobby oder auf juristische Bedenken zurückzuführen war.
In der Praxis bedeutet dies, dass RWE und andere Stromerzeuger die enormen Zufallsgewinne behalten dürfen, die sie bis November zu Lasten der Verbraucher eingestrichen haben. Die Abschöpfung ist insofern bloß Symbolpolitik, um nicht von einer Farce zu sprechen. Die im Dezember fällig gewordene Abschöpfung ist zwar real, aber vergleichsweise gering. Dem RWE-Geschäftsbericht lässt sich ihre Höhe nicht entnehmen. Erst auf Nachfrage einer Journalistin nannte der Finanzvorstand Michael Müller in der Bilanzpressekonferenz eine Summe von insgesamt 250 Millionen Euro. Dabei versäumte er nicht den Hinweis, dass sich das im laufenden Jahr noch ändern und zu einer größeren Belastung für RWE werden könnte, da die Abschöpfungs-Regelung bis Ende Juni gilt. Unterhalb eines "Phelix base" von 130 Euro/MWh dürfte das Risiko einer Erlösabschöpfung allerdings gering sein. – Und das ist bereits ein deutlich überhöhter Preis, der vor dem Herbst 2021 noch nie erreicht wurde. Bis dahin lag der Großhandelspreis im Durchschnitt aller Monate seit Beginn der Notierungen im Januar 2002 bei nur 38 Euro/MWh. In den beiden ersten Monaten dieses Jahres betrug er 118 und 128 Euro/MWh. Im März lag er noch leicht über 100 Euro/MWh.
Wie der Stromhändler LichtBlick am 12. März mitteilte, hat er gemeinsam mit 25 Betreibern von Solar-, Wind- und Biomassekraftwerken beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Erlösabschöpfung eingelegt. Es handele sich um eine "unzulässige Sonderabgabe", werde in der Beschwerdeschrift argumentiert. Die Abschöpfung verletze die Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie der betroffenen Unternehmen.
Die Erneuerbaren-Branche hat ganz besonders von der Strompreis-Explosion profitiert und entsprechend mehr zu verlieren. Das liegt an dem erwähnten fatalen Börsenmechanismus, der allen Stromerzeugern die hohen Grenzkosten der Gaskraftwerke zubilligt, die in der Regel die Höhe des "Markträumungspreises" bestimmen. Die Differenz zu den tatsächlichen Erzeugungskosten ist somit bei den Betreibern von Wind- und Solarstromanlagen am größten, da bei ihnen die Brennstoffkosten entfallen und die Betriebskosten konkurrenzlos minimal sind.
In der Lichtblick-Pressemitteilung wird unter anderem argumentiert, "die
Regelung könne bei besonders hohen Börsenpreisen dazu führen, dass die
gesamte EEG-Vergütung einer Anlage wieder abgeschöpft werde". Diese
Formulierung erweckt den irreführenden Eindruck, als ob den Abgeschöpften
nicht mal die Erlöse in normaler Höhe verbleiben würden. Tatsächlich wird
aber den Betreibern von Erneuerbaren-Anlagen in §
16 nicht nur der für die Marktprämie oder sonstige Direktvermarktung
maßgebliche "anzulegende Wert" garantiert, sondern zusätzlich noch ein
"Sicherheitszuschlag" von 30 Euro/MWh. Für Solar- und Windstromanlagen
erhöht sich dieser Zuschlag noch nach einer bestimmten Formel, und für
Biogasanlagen ist er von vornherein dreimal so hoch. Allein die 30 Euro
"Sicherheitszuschlag" zum garantierten Basiserlös pro Megawattstunde
hätten bis vor zwei Jahren noch als normaler Großhandelspreis gelten
können.