November 2022 |
221101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Strom- und Gaspreisbremsen, die von der Bundesregierung am 29. September angekündigt wurden (220904), treten weiterhin erst ab März in Kraft, weil die Energieversorger sich außerstande sehen, die dafür erforderliche Umstellung ihres Rechnungswesens früher vornehmen zu können. Sie werden dann aber rückwirkend auch für Januar und Februar die Strom- und Gasverbraucher entsprechend entlasten. Dies ergibt sich aus der neuesten Fassung des Gesetzentwurfs, den die Bundesregierung am 22. November in die Ressortabstimmung ab und der Ende des Monats in erster Lesung dem Bundestag vorlag. Die Änderung erfolgte auf Drängen der Bundesländer, die eine Schließung dieser "Winterlücke" verlangt hatten. Unabhängig davon bleibt es bei der am 10. November vom Bundestag beschlossenen "Soforthilfe", mit der die Bundesregierung die für den Monat Dezember anfallenden Rechnungen von Gas- und Wärmekunden übernimmt (221102).
Wie aus einer Darstellung des Bundeswirtschaftsministeriums hervorgeht, wird die Gaspreisbremse Haushalte und Unternehmen mit einem jährlichen Gasverbrauch unter 1,5 Millionen Kilowattstunden entlasten, indem sie den Gaspreis von März 2023 bis April 2024 auf 12 Cent brutto pro Kilowattstunde begrenzt und rückwirkend auch die Monate Januar und Februar erfasst. Das gilt aber nur für 80 Prozent des Verbrauchs vom Vorjahr. Für die restlichen 20 Prozent ist der mit dem jeweiligen Versorger vereinbarte Marktpreis zu entrichten. Für Fernwärmekunden liegt der Preisdeckel bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde. Eine Härtefallregelung soll dafür sorgen, dass auch unzumutbar betroffene Nutzer von ÖL- oder Pelletheizungen entlastet werden können.
Die Strompreisbremse umfasst denselben Zeitraum unter Einbeziehung der beiden vorherigen Monate. Der Strompreis für Haushalte und Unternehmen wird auf 40 Cent pro Kilowattstunde brutto begrenzt. Aber auch hier gilt das nur für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Für große Industrieverbraucher beträgt die Deckelung 13 Cent pro Kilowattstunde zuzüglich Steuern, Abgaben und Umlagen, solange 70 Prozent des bisherigen Verbrauchs nicht überschritten werden.
Die Kosten dieser weitgehenden Subventionierung der Gas- und Strompreise bis April 2024 sind Bestandteil des dritten Entlastungspakets, das der Koalitionsausschuss Anfang September beschloss und insgesamt 65 Milliarden Euro umfasst. Sie wurden ursprünglich mit 33 Milliarden Euro veranschlagt und dürften sich nun durch die Einbeziehung von zwei weiteren Monaten auf 38 Milliarden erhöhen. Das Geld dafür kommt aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), dessen Einrichtung die Bundesregierung am 29. September angekündigt hat und der als "Abwehrschirm" gegen die Energiekrise außerplanmäßge Ausgaben von bis zu 200 Milliarden Euro ermöglichen soll (220904). Dieses schuldenfinanzierte "Sondervermögen" wurde von Bundeskanzler Scholz salopp als "Doppel-Wumms" charakterisiert und unter dieser Bezeichnung bekannt. Der Ausdruck bezieht sich dabei auf einen anderen "Abwehrschirm" von 100 Milliarden Euro zur besseren Ausrüstung der Bundeswehr, den Scholz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine als "Wumms" angekündigt hatte.
Vorangegangen waren zwei Entlastungspakete im Umfang von 30 Milliarden Euro. Dazu gehörten der um ein halbes Jahr vorgezogene Verzicht auf die EEG-Umlage (220410), höhere Heizkostenzuschüsse für Haushalte mit geringem Einkommen, die Erhöhung von Pendlerpauschale und Steuerfreibeträgen sowie ein "Corona-Hilfe-Paket" (220206). Nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine kam es zusätzlich zu einer dreimonatigen Senkung der Mineralölsteuer von Anfang Juni bis Ende August, um die enorme gestiegenen Preise für Diesel und Benzin etwas zu mildern (220304). Für denselben Zeitraum wurde bundesweit ein 90 Tage lang gültiges Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr zum Preis von neun Euro eingeführt. Ferner wurde allen steuerpflichtigen Erwerbstätigen eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro gewährt, eine bereits beschlossene Einmalzahlung von 100 Euro für Empfänger von Sozialleistungen verdoppelt und ein Einmalbonus zum Kindergeld gezahlt (220308). Nicht alle Maßnahmen waren sinnvoll oder ausreichend. So wurde die einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro erst im Rahmen des dritten Entlastungspakets auch Rentnern zugebilligt (221011). Die dreimonatige Senkung der Mineralölsteuer, die auf Betreiben der FDP zustande kam, begünstigte vor allem Besserverdienende sowie die Mineralölkonzerne, die sie aufgrund ihrer Marktmacht teilweise zur weiteren Erhöhung ihrer Gewinne verwenden konnten.
Aktuell stößt auf Kritik, dass die Energieversorger weiterhin Dividenden an Aktionäre oder Boni an Manager zahlen dürfen, obwohl die Gas- und Strompreisbremsen ihr Geschäft zu Lasten des Steuerzahlers subventionieren. "Großkonzerne sollen offenbar Millionen unserer Steuergelder erhalten und dann einfach an ihre Aktionäre ausschütten dürfen", erklärte dazu am 22. November der Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, Gerhard Schick. "Das wäre ein absolutes Unding. Staatshilfen sollten Unternehmen schützen sowie Arbeitsplätze sichern, nicht Dividenden. Gibt es kein umfassendes Dividendenverbot bei Staatshilfen, verheizt der Staat ohne Not Milliarden unserer Steuergelder - und das in Zeiten knapper Kassen."
Immerhin soll die Entlastung durch die Strompreisbremse, wie vorgesehen (220904), teilweise über die Abschöpfung von Zufallsgewinnen im Strommarkt refinanziert werden. Die Bundesregierung stützt sich dabei auf die Vorgaben aus der EU-Verordnung vom 6. Oktober 2022 über "Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise" (HTML). Die Abschöpfung wird so ausgestaltet, dass die Unternehmen weiterhin Gewinne erzielen können. Betroffen sind also nur Gewinne in einer Höhe, mit der niemand gerechnet hat und die nur aufgrund einer außergewöhnlich großen Belastung der Verbraucher zustande kommen konnten. Und auch diese sollen nur zu 90 Prozent abgeschöpft werden, so dass den betroffenen Unternehmen mindestens zehn Prozent der Zufallsgewinne verbleiben.
Konkret sieht das so aus, dass vom 1. September 2022 bis mindestens zum 30. Juni 2023 jene Kraftwerke einen Teil ihrer Zufallsgewinne abführen müssen, die wegen ihrer niedrigen Erzeugungskosten und dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Börsenmechanismus den Strom zu überhöhten Preisen verkaufen konnten und können (siehe 220801 und Hintergrund, Oktober 2021). Dazu gehören Wind-, PV- und Wasserkraftanlagen, Abfallverbrennungsanlagen, Kernkraftwerke und Braunkohlekraftwerke. Nur bei diesen Kraftwerken werden Zufallsgewinne abgeschöpft. Die EU-Verordnung würde es auch erlauben, die Gewinne von Steinkohlekraftwerken einzubeziehen. Davon wird aber aus Gründen der Versorgungssicherheit abgesehen, weil sich sonst der Anteil der Gasverstromung erhöhen könnte, was wegen der Knappheit dieses Brennstoffs unbedingt zu vermeiden ist.
Die Höhe der jeweiligen Zufallsgewinne wird aufgrund der erzeugten Mengen, der Produktionskosten und der am Markt erzielten Preise ermittelt. Die erzeugten Mengen sind den Netzbetreibern bekannt. Zu den Produktionskosten, vor allem zu Kosten für Brennstoffe und CO2-Zertifikate, gibt es öffentlich zugängliche Daten, aus denen sich Referenzkosten errechnen lassen. Zusätzlich Informationen ergeben sich aus der Höhe der Gebote bei den Auktionen für Erneuerbare-Energien-Anlagen. Falls die Kraftwerksbetreiber ihre Ertragslage nicht selber offenlegen wollen, werden ihre Erlöse anhand der durchschnittlichen Preise am Spot- und Terminmarkt berechnet.