März 2023

230310

ENERGIE-CHRONIK


Schröder darf in der SPD bleiben

Die Schiedskommission des SPD-Bezirks Hannover wies am 2. März zum zweiten Mal den Antrag von mehreren SPD-Gliederungen zurück, den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen seiner engen persönlichen und finanziellen Beziehungen zum russischen Diktator Wladimir Putin aus der Partei auszuschließen. Das Parteiordnungsverfahren war ursprünglich von 17 verschiedenen Kreis- und Ortsverbänden der SPD aus den Landesverbänden Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen beantragt worden. Davon hatten sieben Berufung eingelegt, nachdem der Antrag im August vorigen Jahres von der Schiedskommission abgelehnt worden war (220802).

Die erneut abgewiesenen Antragsteller reagierten mit "Enttäuschung und Unverständnis". Wie sie in einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten, sind sie weiterhin "der festen Überzeugung, dass Gerhard Schröders Freundschaft zu Kreml-Chef Wladimir Putin und seine Tätigkeit für am russischen Angriffskrieg mittelbar beteiligte russische Staatsunternehmen sowie seine mangelnde Distanzierung von Putins völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht mit sozialdemokratischen Grundwerten vereinbar sind". Zugleich appellierten sie an Schröder, die Partei freiwillig zu verlassen, um ihr keinen weiteren Schaden zuzufügen.

Die SPD-Gliederungen könnten jetzt allenfalls noch Berufung bei der Bundesschiedskommission einlegen, doch ist es fraglich, ob eine solche zugelassen würde. Die Parteispitze sprach von einer "juristischen Entscheidung", die aber nichts daran ändere, "dass Gerhard Schröder mit seinen Positionen zu Russland in der SPD politisch isoliert ist".

Ein Buch beschreibt, wie die "Moskau Connection" zwischen Schröder und Putin zustande kam

Am 13. März stellten die Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner ihr gemeinsam verfasstes Buch "Die Moskau-Connection" vor, das im Verlag C. H. Beck erschienen ist (18.- Euro). Es schildert auf 300 Seiten akribisch, wie "Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit" zustande kamen. So der Untertitel. Beide Autoren sind hauptberuflich für die "Frankfurter Allgemeine" tätig. Bingener berichtet als Korrespondent aus Hannover und Niedersachsen, wo Schröder einst seinen politischen Aufstieg bis zum Bundeskanzler begann und bis heute nicht nur privat verwurzelt geblieben ist, wie jetzt ein weiteres Mal die wiederholte Ablehnung seines Parteiausschlusses durch die Hannoveraner Schiedskommission der SPD gezeigt hat. Der Koautor Wehner hat für die FAZ fünf Jahre lang aus Moskau berichtet und miterlebt, wie Putin die Macht im Kreml übernehmen durfte, nachdem er seinem Vorgänger Boris Jelzin eine umfassende Amnestie zugesichert hatte. Bis heute schreibt der promovierte Osteuropahistoriker oft über russische und osteuropäische Themen.

Das Buch besticht durch knappe, schnörkellose Sätze und viele Details, die man zum Teil schon gekannt haben mag, aber sicher nicht in dieser Verdichtung. Zum Beispiel bekommt man eine genauere Vorstellung von der Zusammensetzung des wichtigsten Klüngels, der sich zum wechselseitigen Geben und Nehmen um den politischen Aufsteiger Schröder geschart hatte. Zu diesen "Frogs" (Friends of Gerhard Schröder") zählten neben Parteifreunden wie dem heutigen Bundespräsidenten Steinmeier, Sigmar Gabriel oder Brigitte Zypries auch Unternehmer und Manager wie der "Drückerkönig" Carsten Maschmeyer, der spätere EnBW-Vorstandsvorsitzende Utz Claassen oder der VW-Vorstand Peter Hartz. Maschmeyer wurde erst später ein bekennender "Frog", steckte aber schon 1998 hinter einer anonymen Anzeigenkampagne, die wesentlich dazu beitrug, dass Schröder zum dritten Mal niedersächsischer Ministerpräsident werden konnte. Mit der neu errungenen absoluten Mehrheit im niedersächsischen Landtag gelang es Schröder dann, seinen Rivalen Oskar Lafontaine auszustechen und Kanzlerkandidat der SPD zu werden. Als er es schliesslich zum Bundeskanzler gebracht hatte, beauftragte er den "Frog" Peter Hartz mit jenem Konzept des Sozialabbaues, das umgangssprachlich als "Hartz IV" bekannt wurde und wie keine andere politische Maßnahme zum Niedergang der SPD beigetragen hat (noch vor dem Flop der Riester-Rente, von der nur Versicherungsverkäufer profitierten). Aber auch eher unbekannte Schröder-Vertraute werden gebührend gewürdigt. Dazu gehört vor allem der einstige niedersächsische SPD-Geschäftsführer Heino Wiese, der später wie Schröder zwischen seinem privatem Umfeld in Hannover und der beruflichen Tätigkeit in Berlin pendelte. Wiese betrieb dort eine PR-Firma, die auf die Anbahnung von Russland-Kontakten spezialisiert war und ihre Nähe zum Bundeskanzler schon rein äußerlich unterstrich, indem sie sich direkt unter Schröders Berliner Privatwohnung einquartierte.

In den beiden ersten Kapiteln wird geschildert, wie Schröder und Putin auf ihre jeweilige Weise und unter verschiedenen Systemen an die Spitze von Regierungen gelangten und sich dabei zunehmend so sympathisch fanden, dass daraus eine persönliche Freundschaft wurde (zumindest für Schröder, nicht unbedingt für Putin). Das dritte Kapitel beleuchtet den von der SPD begangenen Fehler, den Zusammenbruch der Sowjetunion auf die Entspannungspolitik zurückzuführen und diese auch partout gegenüber Putin fortsetzen zu wollen, obwohl der gelernte KGB-Mann keineswegs in die Fußstapfen von Gorbatschow trat, sondern längst mit massiver Gewalt bis hin zur Ermordung politischer Gegner herrschte. Das vierte Kapitel widmet sich vor allem den gaswirtschaftlichen Beziehungen mit Russland (unter Hinweis auf "Die deutsche Gasversorgung von den Anfängen bis 1998" in ENERGIE-WISSEN). Es folgen zwei chronologisch gegliederte Darstellungen der deutschen Russlandpolitik: Die erste befasst sich mit der "Illusion einer Partnerschaft" in den Jahren 1998 bis 2013. Die zweite beschreibt die zunehmend "toxisch" gewordene Beziehung bis 2021 (wobei zum Scheitern der beiden konträr angelegten Pipeline-Projekte Nabucco und South Stream auf einen Hintergrund-Artikel in der "Energie-Chronik" verwiesen wird). So ergibt sich eine zusammenhängende Darstellung der deutschen Russlandpolitik von Schröders Amtsantritt als Bundeskanzler bis zu Putins Überfall auf die Ukraine sowie der daraufhin endlich dämmernden Einsicht, dass da etwas schrecklich schief gelaufen sein muss.

Die Autoren lassen deutlich mehr Sympathien für Angela Merkel als für deren Vorgänger erkennen. Dennoch können sie auch ihr und der Union nicht den Vorwurf ersparen, die Blindheit gegenüber dem Kreml-Diktator geteilt und unterstützt zu haben. Generell gibt es, wie sie abschließend feststellen, in Deutschland "keine Partei, die Interesse an einer kritischen Aufarbeitung der Geschehnisse und an einer vertieften Ursachenforschung hat. Die SPD setzt sich nicht freiwillig auf die Anklagebank. Die CDU hat eben falls kein Interesse an einer Aufarbeitung, schließlich stellte sie von 2005 bis 2021 die Kanzlerin."

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